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Über sowas lachen deutsche Polizeibeamte

Jan Böhmermann veröffentlicht im ZDF Magazin Royale rechtsextreme Chats der Frankfurter Polizei und entfaltet die alte Stärke der Sendung.

 

Jan Böhmermann geht im ZDF Magazin Royale eine Institution an, die weitestgehend als unantastbar gilt: die Polizei. Hin und wieder gibt es zwar Kritik, wenn Fälle von Gewalt oder Rassismus an die Öffentlichkeit geraten oder die nächste rechtsextreme Chatgruppe auffliegt. Letztendlich verschwindet die Kritik unter den Rufen „Einzelfälle“ oder „man weiß ja nicht, was vorher war“. Die breite Mehrheit steht hinter der Polizei. Da ist es nicht schick, als Politiker:in oder sonst wer auf die Schattenseiten zu zeigen.

Böhmermann verschafft, so verschlafen das ZDF Magazin Royale manchmal ist, seiner Sendung immer wieder den Hauch eines Investigativmagazins und bringt unangenehme, polarisierende Themen auf die Agenda des ZDF-Hauptprogramms. Nun also rechtsextremer „Humor“, geäußert in Chatgruppen. In dieser Folge des ZDF Magazins macht der Moderator jedoch nicht den Fehler, das Thema zu breit anzugehen. Stattdessen konzentriert er sich auf einen konkreten Fall: den Frankfurter „Itiotentreff“.

Jan Böhmermann veröffentlicht im ZDF Magazin Inhalte aus rechtsextremer Polizei-Chatgruppe

In der Chatgruppe von Polizeibeamt:innen wurden rechtsextreme und menschenverachtende Äußerungen und Fotos geteilt. Was genau, war zuvor nicht öffentlich. Böhmermann zeigt im ZDF Magazin Royale nun Auszüge und macht im Zuge gemeinsam mit FragDenStaateinen rekonstruierten Chat öffentlich. „Vielleicht ist die deutsche Polizei ja in Wahrheit nur ein missverstandenes Comedy-Kollektiv, das gerne Grenzen austestet?“, fragt Böhmermann noch. „So wie wir!“

Mit einem Schnipsen und einem Schnitt sitzt Böhmermann in einem Hitler-Kostüm da. „Der deutschen Polizei, unserem Freund und Helfer ein dreifaches Palimpalim“, sagt Böhmermann und deutet einen Hitlergruß an. Anschließend folgt eine Anspielung auf die Begründung des Frankfurter Landgerichts, die Anklage gegen die Mitglieder des „Itiotentreffs“ vorerst nicht zuzulassen. „Bitte beruhigen Sie sich, das ist doch nur Satire. Das ist von der Kunstfreiheit gedeckt“, sagte Böhmermann in der Sendung. Neben der Tatsache, dass die Inhalte der Gruppe nur an wenige Personen gegangen seien, bezog sich das Gericht auf genau dieses Argument: Die Inhalte seien teilweise unter „Satire“ gefallen.

Böhmermann füllt Adjektive „rechtsextrem“ und „menschenverachtend“ mit Bildern

Zurück zu den Inhalten, die Böhmermann veröffentlicht. Er füllt die Adjektive „rechtsextrem“ und „menschenverachtend“, die viel bedeuten können, mit Bildern, die nur so von Antisemitismus, Rassismus, Ableismus, Gewaltverherrlichung und Vergewaltigungsfantasien strotzen. Ein Beispiel? Ein Foto eines Artilleriegeschützes, kommentiert mit: „So sollten Asylantrag begrüsst werden (sic).“ Böhmermanns Kommentar dazu: „Über sowas lachen deutsche Polizeibeamte bei Whatsapp.“ Er setzt hinterher: „Vielleicht, weil sie das von ihren Kolleg:innen aus dem Arbeitsalltag kennen.“ Es folgt ein Bericht zum erschossenen Mouhamed Lamin Dramè.

Das Ganze ist durchaus schwer anzuschauen. Gerade für eine Satiresendung ist diese Episode keine leichte Kost, aber: Dadurch werden die Inhalte auch für das durchschnittliche ZDF-Publikum real, das normalerweise weniger mit diesen Formen von Menschenfeindlichkeit konfrontiert ist. Und weil die durchschnittlichen ZDF-Zuschauer:innen im Hauptprogramm eben in der Regel nicht betroffen sind, veranschaulicht Böhmermann das Problem mit einem Beispiel: „Jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie zeigen eine Vergewaltigung an, dann steht Ihnen im 1. Revier der Polizei Frankfurt ein Satire-Gott wie Johannes S. (einer der Polizisten, der Vergewaltigungsfantasien geteilt haben soll, Anmerkung der Redaktion) gegenüber.

Böhmermann macht ZDF Magazin-Folge zu rechtsextremen Polizeichats zu Sendung ohne Witz, aber mit viel Hitler

In einer Sendung ohne Witz, aber mit zu viel Hitler, zeigt Böhmermann, wie genau die Abgründe der Polizei aussehen. Dass es die Abgründe gibt, war allerdings schon vorher bekannt. Böhmermann hat die Polizei selbst schon früher wegen Rassismus kritisiert. Die Leistung der aktuellen Episode liegt viel eher darin, das Thema auf der Bühne anzustoßen und kritisch über die Polizei nachzudenken.Durch die Veröffentlichung der rekonstruierten Chatinhalte auf der eigens erstellten Domain itiotentreff.chat schafft Böhmermann ein neues Niveau von Transparenz. Eine bessere Aufklärung der mutmaßlichen Straftaten von Polizist:innen ist möglich. Bisher ist dabei viel Luft nach oben, wie etwa eine Studie zu Polizeigewalt zeigt. Oder eben die Entscheidung des Landesgerichts Frankfurt. Und auch die Polizei will die Polizisten nicht rauswerfen, obwohl sie das laut Böhmermann und dem von ihm befragten Verwaltungsrechtler Markus Ogorek von der Universität Köln könnte. Fehlerkultur sieht anders aus.

ZDF Magazin mit Jan Böhmermann wird zum Plädoyer für eine neue Fehlerkultur bei der Polizei

Das ist der zweite große Pluspunkt des ZDF Magazins. Die Sendung zeigt die bisher mangelhafte Fehlerkultur bei der Polizei – aber auch im Umgang mit ihr. Politiker:innen stellen sich jedes Mal hin und fordern Konsequenzen, je nach Parteifarbe mal wenig oder noch weniger glaubwürdig. Wie gesagt: Bisher ist es nicht gerade ein Garant für einen Wahlsieg, sprichwörtlichen (und Nazi-belasteten) „den Freund und Helfer“ zu kritisieren.

Letztendlich ist das auch nicht falsch: In einem demokratischen Rechtsstaat sollten sich die Bürger:innen darauf verlassen können, dass die Polizei ihre Arbeit richtig macht. Die Realität – das zeigen diese Fälle – ist jedoch kein kleinbürgerliches Bullerbü. Polizist:innen sind Menschen und machen Fehler. Weil sie aber eben auch Vertreter:innen des Staates sind und mit Waffen ausgestattet sind, müssen diese Fehler konsequenter aufbereitet werden – am besten von einer unabhängigen Stelle, die nicht, wie die Staatsanwaltschaft in der täglichen Arbeit von der Polizei abhängig ist. In einer idealen Welt ist das so, in der Realität werden Polizeigewerkschaften zu Parteien des rechten Spektrums die Sendung empört zurückweisen. Die regen sich bekanntlich gerne über Böhmermann auf. Auch der Satiriker will nachlegen. Teil zwei soll folgen.
 

Medium: Frankfurter Rundschau
Datum: 29.09.2023
Autor: Max Schäfer