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"Streiten Sie selbstbewusst"

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck sprach an der Uni Köln über Demokratie

 

Auf einmal herrscht ehrfürchtiges Schweigen statt Stimmengewirr. Joachim Gauck läuft zum Rednerpult. "Sie können ruhig weiter reden", bricht der Bundespräsident a.D. das Eis und erntet erleichtertes Lachen. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Kölner Gespräche zu Recht und Staat" sprach Gauck gestern an der juristischen Fakultät der Uni Köln. Thema waren die Herausforderungen der demokratischen Gesellschaft. Dabei erklärte er, warum ein Verbot der AfD nicht zum richtigen Umgang mit der Partei gehöre und wie andere Parteien Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen können.

"Er war nicht nur Pfarrer und Bundespräsident, sondern ist auch Bürgerrechtler", stellt Professor Markus Ogorek seinen Gast vor. Er habe schon immer den Stellenwert von politischer Freiheit betont. "Hier steht einer, der war 50 Jahre alt, als er zum ersten Mal an freien und gleichen Wahlen teilnehmen konnte", erklärt Gauck, der in Rostock geboren wurde. "Das hat so viel ausgelöst, dass ich nie eine Wahl verpasst habe." Die wachsende Macht der AfD in Deutschland sieht Gauck betont kritisch. "Ich fände Deutschland ohne diese Partei schöner", drückt er es diplomatisch aus.

Für die steigende Zustimmung zur AfD sei unter anderem das Versagen der konservativen Parteien verantwortlich. "Wir sind geprägt von dem Bedürfnis, vertraut mit dem zu bleiben, was uns umgibt." Vor allem Zuwanderungsmechanismen würden die Bevölkerung teils überfordern. Problematisch sei, dass die konservative Mitte keine "bindenden Angebote" mache. Trotzdem verbiete sich jede Art der Koalition mit Rechts. Ein Verbot der AfD sei keine Lösung. Man müsse sich auf die Diskussion einlassen: "Was wäre es für ein Signal, wenn wir meinen, dass wir argumentativ zu schwach sind, um mit der AfD zu streiten?", sagt Gauck.

Der Erfolg der AfD im Osten: "Der Ossi ist er nun undankbar oder einfach nur bekloppt?", fragt Gauck rhetorisch. Die Erklärung für die Entwicklung sieht Gauck in der "Traumatisierung" der Ostdeutschen, die auch in den jüngeren Generationen weiterlebe. "Es macht einen Unterschied, ob du zum Gehorsam erzogen wurdest oder zum mündigen Bürger." Gauck ist wichtig, diese Menschen nicht abzuhängen. Die Union habe sich sehr in die Richtung der Grünen und Sozialdemokraten gelehnt. Das habe viele abgeschreckt. Zudem prangerte er eine forcierte Fortschrittspolitik an. Viele würden sich dadurch nicht repräsentiert fühlen. "Ist die Politik der Offenheit, die wir machen, geeignet für Einheit in der demokratischen Mitte?", fragt Gauck. Veränderungen, vor allem in Klima- und Zuwanderungspolitik, sollten in maßvoller und zumutbarer Weise vollzogen werden.

Für Studierende, die sich für die Demokratie einsetzen wollen, hatte Gauck einen Rat: "Seien Sie im Bekanntenkreis nicht immer der gute Zuhörer. Öffnen Sie den Mund und streiten Sie - nicht gemein aber selbstbewusst."
 

Medium: Kölnische Rundschau
Datum: 29.11.2023
Autorin: Lia Gasch