Der Umgang mit großen Datenmengen gehört mittlerweile zum Alltag moderner Polizeiarbeit. Doch die Befugnisse, wie viele Informationen der Staat über seine Bürger zum Zweck der Strafverfolgung und Terrorismusabwehr speichern darf, stehen immer wieder auf dem Prüfstand. Gerichte müssen zwischen Freiheit und Sicherheit abwägen, und es kommt häufig auf Detailfragen an. Staatsrechtler Markus Ogorek über die Gratwanderung zwischen Datenschutz und Sicherheit.
ZDFheute: Ist der Datenschutz ein Hindernis für die moderne Polizeiarbeit?
Markus Ogorek: Tatsächlich sehen wir hier eine gewisse Zuspitzung. Die Sicherheitsbehörden können heute anders als früher weit im Vorfeld konkreter Gefahren tätig werden. Also bereits bei ersten Anhaltspunkten für einen relevanten Vorgang, zum Beispiel bei einem drohenden terroristischen Anschlag. Und dann geht es meist um informationelle Maßnahmen: Man versucht herauszubekommen, wer der Täter ist, mit wem er in Kontakt steht oder wo Materialien beschafft werden. Bei all diesen Bereichen spielen große Datenmengen und dementsprechend auch Datenschutz eine Rolle. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Das Sicherheitsrecht wandelt sich immer stärker zu einem Recht der Datenverarbeitung. Dieser Trend wird sich sicherlich weiter verschärfen durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz.
ZDFheute: Warum ist es so schwierig, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den Sicherheitsauftrag des Staates in Einklang zu bringen?
Ogorek: Der Kernkonflikt liegt darin, dass das Grundgesetz ein hohes Maß an Schutz aller persönlichen Daten garantiert. Gleichzeitig legt der Sicherheitsauftrag in einer vernetzten Welt nahe, nicht nur zielgerichtet auf einzelne Systeme zuzugreifen, sondern auch in größerem Umfang Informationen zu sammeln und zu verknüpfen.
Den Datenabgleich führt Deutschland teils selbst durch. Da wir aus nachvollziehbaren Gründen aber keine "strategische Aufklärung" im Inland betreiben, sind wir bei der Erhebung oft auf Hinweise von Partnern angewiesen, die genau das tun - ein Zustand, der alles andere als ideal ist.
ZDFheute: Welche Rolle spielt dabei das Bundesverfassungsgericht?
Markus Ogorek: Eine sehr zentrale Rolle. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt in der Vergangenheit den rechtlichen Rahmen abgesteckt für Überwachungsmaßnahmen von Polizei und Nachrichtendiensten. Zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung, Onlineüberwachung oder Ortung von Handys. Und das Gericht hat schon vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass es keine belanglosen Daten gibt. Die Verwendung personenbezogener Informationen bedarf also so gut wie immer einer Abwägung.
ZDFheute: Wie streng sind die Richterinnen und Richter in Karlsruhe?
Markus Ogorek: Insbesondere aus den Nachrichtendiensten höre ich manchmal die Frage, wo im Grundgesetz sich denn die Herleitung für exakt diese oder jene neue Vorgabe noch festmachen lässt. Neue Hürden aus Karlsruhe sorgen auch dafür, dass Ermittlungsinstrumente faktisch unbrauchbar werden. Aber natürlich will das Bundesverfassungsgericht nicht die Arbeit der Sicherheitsbehörden beeinträchtigen, sondern erkennt vor allem an, dass es aufgrund der Digitalisierung heute unzählige Formen von Grundrechtseingriffen gibt. Zu welchem Zweck werden Daten gesammelt? Wie lange werden sie gespeichert? Und an welche Behörden übermittelt? Vor dem Hintergrund dieser Fragen trifft das Bundesverfassungsgericht daher von Sicherheitsinstrument zu Sicherheitsinstrument eine Einzelentscheidung.
ZDFheute: Und dennoch scheint es in Deutschland häufig vorzukommen, dass das Bundesverfassungsgericht bei Sicherheitsbefugnissen einschreitet. Sind andere Länder in dem Bereich großzügiger?
Markus Ogorek: Das stimmt. Andere EU-Staaten wie beispielsweise Frankreich stellen in der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit den Schutz der Bürger stärker in den Vordergrund. Der Datenschutz genießt in Deutschland eine hohe Bedeutung. Das ist sicherlich nachvollziehbar, man muss sich dann allerdings auch im Klaren darüber sein, dass unsere Sicherheitsbehörden nicht immer so leistungsfähig sein dürfen, wie sie könnten.
Medium: ZDFheute
Datum: 01.10.2024
Autor: Jan Henrich (Interview)