Die 15-Kilometer-Regelung ist umstritten, seitdem sie Anfang Januar eingeführt wurde, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen. Nun äußert ein Rechtswissenschaftler juristische Bedenken. Er sehe „durchgreifende Zweifel“, dass eine solche Regelung „angemessen“ sei, schreibt der Kölner Professor Markus Ogorek in seiner Expertise im Auftrag der hessischen FDP-Landtagsfraktion.
Mit der Regelung wird Menschen aus Gebieten mit hohen Corona-Zahlen untersagt, sich weiter als 15 Kilometer von ihrem Heimatort zu entfernen, wenn es dafür keinen triftigen Grund gibt. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hatte erkennen lassen, dass er diese Vereinbarung zwischen Bund und Ländern skeptisch sieht, sie aber trotzdem umgesetzt. Die FDP teilt Ogoreks Einschätzung. „Ich finde, der Ministerpräsident sollte sich in seiner kritischen Haltung bestätigt sehen und sie ganz abschaffen“, sagte der FDP-Abgeordnete Jörg-Uwe Hahn der Frankfurter Rundschau. Die Politik müsse „Überzeugungsarbeit leisten“, statt mit Verboten vorzugehen.
„Bei einer Grundrechtseinschränkung, die so viele Menschen betrifft, muss gewährleistet sein, dass der mit ihr verfolgte Zweck spürbar gefördert wird“, argumentiert Ogorek. Das sei „schon deshalb zweifelhaft, weil nicht alle tagestouristischen Ziele außerhalb des 15-Kilometer-Radius überlaufen sein und damit ein besonders hohes Infektionsrisiko darstellen werden“. Stattdessen seien „bei einem Aufenthalt in den allermeisten Wald- und Landschaftsgebieten Abstände möglich“, heißt es in dem Gutachten. Ohnehin bestehe keine Infektionsgefahr, wenn Bewohnerinnen und Bewohner eines Risikogebiets „lediglich einen Ausflug mit Auto, Wohnmobil oder Motorrad unternehmen, ohne zu halten und in Kontakt mit anderen Personen zu treten“.
Daneben sei das Konzept in sich unschlüssig. Denn die besonders stark mit Corona belasteten Kreise und Städte dürften von Menschen aus anderen Teilen des Landes aufgesucht werden. Diese Personen brächten wiederum „möglicherweise Erreger in ihre eigenen Landkreise und kreisfreien Städte zurück“. Zudem benachteilige die Regelung die Menschen in kleineren Ortschaften, weil die 15 Kilometer von der Ortsgrenze an zählten. In den Städten sei mehr Platz bis zur Stadtgrenze vorhanden. Für diese Ungleichbehandlung gebe es keinen Grund, schreibt Ogorek. Es sei schließlich „nicht ersichtlich“, dass Bewohnerinnen und Bewohner kleiner Orte ansteckender seien als Städterinnen und Städter.
Eilverfahren anhängig
Hessen hatte nach Beschlüssen der Bundesländer und des Bundes vorgesehen, dass der Bewegungsradius in Städten und Landkreisen auf 15 Kilometer beschränkt wird, wenn die Zahl der Corona-Neuinfektionen innerhalb von sieben Tagen über 200 pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner liegt. Davon haben die stark betroffenen Landkreise Limburg-Weilburg, Gießen, Fulda und Vogelsberg Gebrauch gemacht. Die Beschlüsse werden nicht vom Land getroffen, sondern müssen von den Kommunen gefasst werden.
Auch dieses Verfahren sieht Professor Ogorek als „fragwürdig“ an. Es sorgt dafür, dass die 15-Kilometer-Regelung nicht hessenweit vor Gericht angegangen werden kann, sondern nur in der jeweiligen Kommune – so dass ein Urteil nicht für die anderen Gebiete bindend wäre. Vor hessischen Verwaltungsgerichten sind zwei Eilverfahren gegen die 15-Kilometer-Regel anhängig. Sie richten sich gegen Allgemeinverfügungen der Kreise Gießen und Limburg-Weilburg. Das Verwaltungsgericht Gießen rechnet noch in dieser Woche mit einer Entscheidung.
Rechtswissenschaftler Ogorek wendet sich keineswegs grundsätzlich gegen weitgehende Beschränkungen, um die Corona-Pandemie zu bekämpfen. Im Gegenteil. „Rechtsprechung und Literatur haben die besondere Bedeutung des Gesundheitsschutzes angesichts der großen Gefahr durch das neuartige Corona-Virus wiederholt hervorgehoben“, hält er in seinem Gutachten fest. Die konkrete Ausgestaltung mit der 15-Kilometer-Regelung findet Ogorek aber unangemessen. Ähnlich sieht er die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen in Kommunen mit hoher Corona-Belastung. Sie seien unverhältnismäßig, hatte er bereits im Dezember in einem FR-Interview geäußert.
Medium: Frankfurter Rundschau
Datum: 18.01.2021
Autor: Pitt von Bebenburg