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Wir müssen Russlands Spione besser bekämpfen

Die »Zeitenwende« betrifft auch Deutschlands Nachrichtendienste. Was wir tun müssen, um unsere Demokratie vor Moskaus Aggression zu schützen. Ein Gastbeitrag von Markus Ogorek.

 

Wenn von »Zeitenwende« die Rede ist, wissen mittlerweile die meisten Bürgerinnen und Bürger, worum es geht: Deutschland soll angesichts der Bedrohungen durch Russland militärisch wieder abwehrbereit werden. Adressiert wird mit dieser Forderung vor allem die Bundeswehr. Ein ebenso wichtiger Aspekt der Zeitenwende spielt dagegen in Öffentlichkeit und Politik nur eine Nebenrolle: ausländische Spionage. Doch auch in diesem Bereich ist die von Russland ausgehende Gefahr immens – und wir setzen ihr noch immer nicht genug entgegen.

Während Moskaus Agenten im Westen entfesselter denn je agieren, bleiben Deutschlands Nachrichtendienste durch eine Reihe rechtlicher Vorgaben und personeller Grenzen limitiert. Diese bestehen in der Regel aus historisch guten Gründen. Doch wenn Wladimir Putins Spione zusehends unverhohlener unsere Demokratie angreifen, müssen wir den Status quo auf den Prüfstand stellen. Der russische Präsident hat die klassische Aufgabenverteilung innerhalb seines Sicherheitsapparats faktisch aufgehoben, um seine Untergebenen zu immer offensiveren Aktionen anzuspornen. Moskaus Agenten stehen dadurch bewusst miteinander in Konkurrenz.

So machte in der letzten Zeit nicht der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR Schlagzeilen, sondern vor allem die eigentlich für das Militär zuständige Schwesterbehörde GRU. Ob mit dem viel beachteten Hackerangriff auf den Bundestag, der abenteuerlichen Agentenanwerbung des früheren Wirecard-Vorstandes Jan Marsalek oder den mutmaßlichen »Schallkanonen«-Angriffen auf US-Offizielle – mit jeder spektakulären Aktion, für die die GRU eigentlich gar nicht zuständig war, stieg sie in der Gunst Putins.

Inlandsdienst auf Auslandsreise

Dies erkannte auch der FSB, eigentlich für die Abwehr von Extremismus und Spionage innerhalb Russlands verantwortlich. Seither ist der Inlandsdienst nach Kräften im Ausland aktiv, greift ebenfalls IT-Netzwerke an, tötet wie im Fall des Tiergartenmords vermeintliche Staatsfeinde im Exil und rekrutiert sogar Mitarbeiter westlicher Sicherheitsbehörden. In Abgrenzung zur Spionageabwehr, die der »Agentenjagd« in den eigenen Landesgrenzen dient, operiert der FSB ebenfalls mit Mitteln der Gegenspionage. Diese Königsdisziplin der Ausforschung zielt darauf ab, durch das Anwerben von Doppelagenten und mit anderen aktiven Maßnahmen in gegnerischen Staaten die dortigen Dienste zu schwächen.

Prominentes Beispiel eines solchen Doppelagenten dürfte Carsten L. sein, dem derzeit in Berlin der Prozess gemacht wird. Als Referatsleiter im BND soll er taktische Informationen über die ukrainische Armee an den FSB verkauft und hierfür im Vergleich zu den »marktüblichen« Bedingungen horrende Summen erhalten haben. Doch der frühere Soldat L. ist nicht allein. In den vergangenen Jahren haben sich immer wieder Deutsche aus Militärkreisen der Russischen Föderation angedient. So wurde im vergangenen Jahr ein mutmaßlicher Spion im Bundeswehr-Beschaffungsamt enttarnt. Der Hauptmann hatte sich derart ungeschickt angestellt, dass sein Auftreten als »Selbstanbieter« gleich mehrfach von den deutschen Diensten registriert wurde. Und Ende 2022 wurde ein Reserveoffizier wegen Agententätigkeit verurteilt, weil er über Jahre Militärinformationen nach Moskau geleitet haben soll.

Immer wieder »Selbstanbieter«

Bei näherem Hinsehen treten jedoch deutliche Unterschiede zutage. Während Carsten L. sensibelstes Wissen geliefert haben soll – und deshalb nicht nur wegen Agententätigkeit, sondern Landesverrats vor Gericht steht – dürfte in den anderen Fällen weniger Relevantes abgeflossen sein. Die Betroffenen wollten sich aus politischer Sympathie wohl eher bei Moskaus Vertretern wichtig machen. Derartige »Selbstanbieter« sind für die deutschen Dienste vergleichsweise gut aufzuspüren, weil sie etwa unter Observation stehende Botschaftsgebäude betreten oder sich auf überwachten E-Mail-Konten melden. Andere Arten der Agententätigkeit sind weit schwerer aufzudecken. Hier sind die deutschen Stellen oft auf Hinweise ausländischer Partner angewiesen.

Um dies zu verstehen, bedarf es eines kurzen Blicks auf die Rechtslage. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Polizei und Inlandsdienst (Verfassungsschutz) hierzulande aufgespalten. Letzterer ist seither für die Spionageabwehr im Inland zuständig. Hinzu kommt der BND für die Auslandsaufklärung. Als Lehre aus der NS-Diktatur beschränkte man den Instrumentenkasten der Dienste stärker als in anderen westlichen Demokratien.

International im Nachteil

Bemerkbar macht sich dies vor allem beim BND, der auf internationaler Bühne mit chinesischen, iranischen oder eben russischen Widersachern bestehen muss. Deutsche Agenten dürfen auch im Ausland grundsätzlich niemanden erpressen, Entführungen oder gezielte Gewaltanwendungen sind undenkbar. Und spätestens seit das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum Ausland-Ausland-Fernmeldewesen 2020 festgestellt hat, dass deutsche Stellen überall an die Grundrechte unserer Verfassung gebunden sind, bleibt die technische Aufklärung deutlich hinter dem Möglichen zurück.

All diese Beschränkungen haben nachvollziehbare Gründe. Zur Wahrheit gehört jedoch, dass die deutschen Dienste im Schattenkrieg gegen fremde Mächte hierdurch strukturell im Nachteil sind. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung die Arbeit der Spionageabwehr beim Verfassungsschutz zu Beginn des Ukrainekriegs erschwert hat, indem sie (aus ebenfalls guten Gründen) in einer öffentlichen Aktion Dutzende russische Diplomaten auswies, die in Wahrheit als Agenten(führer) in Deutschland tätig waren.

Der Wegfall dieser den Behörden bekannten und somit leichter zu beobachtenden Akteure führte dazu, dass Moskaus Dienste temporär geschwächt wurden. Nun setzen sie allerdings vermehrt reisende Agenten ein, die sich nur kurze Zeit im Land aufhalten, und verstärken ihre Cyberangriffe. Vor allem IT-Attacken kann der Verfassungsschutz kaum abwehren, weil die Akteure außerhalb unseres Hoheitsgebiets ansässig sind. Doch wieso kann Deutschland nicht stattdessen zum Gegenangriff übergehen?

Schröder beendete Gegenspionage

Nach dem Kalten Krieg gingen viele westliche Staaten davon aus, die ausländische Einflussnahme werde stark abnehmen. Entsprechend wurden Ressourcen umverteilt, seit Anfang der Nullerjahre vor allem, um den islamistischen Terrorismus zu bekämpfen. Doch kaum ein Staat ging so weit wie Deutschland – ausgerechnet der Putin-nahe Kanzler Gerhard Schröder löste den für Gegenspionage zuständigen BND-Bereich gänzlich auf. Der deutsche Auslandsdienst betrieb fortan keine strukturierte und gezielte Aufklärung seiner gegnerischen Pendants mehr.

Seit 2018 existiert eine solche Einheit zwar wieder, zur benötigten Schlagkraft erstarkt ist die Gruppe aber noch nicht. Ihren Kollegen von der Spionageabwehr des Verfassungsschutzes können die BND-Gegenspione daher kaum Informationen zu Strukturen oder anstehenden Aktionen russischer Agenten übermitteln. Eine missliche Situation, die entschlosseneres Handeln verlangt.

Öffentliche Debatte über fremde Einflussnahme

Wenn es um die deutschen Dienste ging, bezog sich die öffentliche Debatte bislang vor allem auf deren Kontrolle. Tatsächlich ist nicht zu leugnen, dass sie innerhalb unseres Staatssystems mit einer enormen Machtfülle ausgestattet sind. Doch wenn fremde Mächte zunehmend aggressiver gegen die Bundesrepublik agieren, müssen im Bereich von Spionageabwehr und ­Gegenaufklärung die widerstreitenden Verfassungsgüter möglicherweise neu justiert werden. Auch der bereits seit einiger Zeit angelaufene Stellenzuwachs bei den Diensten muss fortgesetzt werden und darf nicht der Haushaltslage zum Opfer fallen.

Zuvor muss gesellschaftlich geklärt werden, dass unter »Zeitenwende« mehr als nur die begrüßenswerte Härtung militärischer Kompetenzen zu verstehen ist – und dass eine Tätigkeit für das Nachrichtenwesen nicht als verschroben, sondern wie etwa im Vereinigten Königreich oder den USA als anerkennenswert gilt. Ansonsten droht Putins Losung wahr zu werden, wonach die westlichen Demokratien ihrer gezielten Destabilisierung nichts entgegenzusetzen hätten.
 

Medium: DER SPIEGEL
Datum: 13.04.2024
Autor: Markus Ogorek (Gastbeitrag)