Gegen Attacken jeglicher Art von außen hat sich der nordrhein-westfälische Landtag in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt gewappnet. Zuletzt wurden in den Vorplatz vor dem Parlamentsgebäude massive, versenkbare Poller eingebaut, um mögliche Lastwagen-Attentäter weit vor dem Foyer abfangen zu können. Um den Schutz gegen Feinde von innen ist es dagegen nicht so gut bestellt. In einem Gutachten rät der Kölner Rechtslehrer Markus Ogorek dem Parlament deshalb dringend, Grundlagen für ein Vorgehen gegen extremistische Fraktions- und Abgeordnetenmitarb̈eiter zu schaffen. Nach aktueller Rechtslage kann die Verwaltung „nur sehr eingeschränkte Maßnahmen“ ergreifen, heißt es in der 64 Seiten umfassenden Analyse. „Angesichts zahlreicher realer Bedrohungsszenarien besteht Handlungsbedarf“, mahnt Ogorek, der auch Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln ist.
Landtagspräsident André Kuper hatte das Gutachten im April in Auftrag gegeben, nachdem der Bayerische Rundfunk berichtet hatte, dass die AfD-Bundestagsfraktion und ihre Abgeordneten mehr als 100 Personen beschäftigten, die in vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Organisationen aktiv sind. Im Juni war dann durch einen Bericht des „Kölner Stadt-Anzeigers“ bekannt geworden, dass es auch im nordrhein-westfälischen Landtag neben mehreren anderen Fällen einen ganz besonders brisanten Fall gibt: Maximilian H. – Mitarbeiter des Dürener AfD-Abgeordneten Klaus Esser – ist 2022 vom Amtsgericht Heidelberg nach einer antisemitischen Gewalttat in einer Heidelberger Studentenverbindung wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden.
Aktuelle Regelungen wenig effektiv
Der junge Mann, der seine Stelle bei Esser mittlerweile gekündigt hat, soll mit zwei Mittätern auf einen Studenten mit jüdischen Wurzeln eingeschlagen und ihn dabei als „Judensau“ und „Drecksjude“ beschimpft haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; das Heidelberger Landgericht muss noch über die Berufung entscheiden.
In seinem Gutachten streift Ogorek den Vorgang nur kurz; sein Auftrag war schließlich eine grundsätzliche Einschätzung zur Frage, wie das Parlament auf Extremisten im eigenen Haus reagieren kann. Die Optionen sind demnach aktuell äußerst dürftig. Die maßgeblichen Vorschriften im Abgeordneten-, Fraktionsgesetz oder in der Hausordnung des nordrhein-westfälischen Landtags sind „entweder durch weite Formulierungen als rechtsunsicher zu bewerten“, wie Ogorek schreibt – oder sie sind „im Gegenteil gerade zu eng gefasst, um den Landtag effektiv schützen zu können“.
Der Gutachter schlägt deshalb unter anderem Änderungen in der Hausordnung vor, um den Zugang von Fraktions- und Abgeordnetenmitarbeitern zum Landtag oder den Zugriff auf die IT-Systeme künftig zunächst grundsätzlich zu beschränken und erst nach einer erfolgreichen „parlamentsspezifischen Zuverlässigkeitsprüfung“ zu lockern. In der Hausordnung müsse klar normiert werden, dass diese Zuverlässigkeitsprüfung der „Sicherheit des Landtags einschließlich des Schutzes von Leib und Leben der Abgeordneten und aller im Landtag Anwesenden“ diene.
Neue Geheimhaltungsvorschriften empfohlen
Nach den Vorstellungen des Rechtslehrers soll die Prüfung aus mehreren Komponenten bestehen. Noch vor Beginn der Lohnkostenerstattung durch den Landtag solle für jeden neuen Mitarbeiter eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister eingeholt werden. Einer polizeilichen Zuverlässigkeitsprüfung, also der Abfrage in Datenbanken wie INPOL und PIAV, solle eine Regelabfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz folgen, um ein möglichst vollständiges Bild aller sicherheitsrelevanten Informationen zu erhalten. Bisher müssen die Beschäftigten im Landtag lediglich ein einfaches Führungszeugnis vorlegen.
Ein weiteres gutes Instrument, um den Schutz öffentlicher Interessen zielführend zu verbessern, sieht der Rechtslehrer in der konsequenten Einstufung von Angelegenheiten etwa im Innen- und Wirtschaftsausschuss als Verschlusssachen mit dem Geheimhaltungsgrad „nur für den Dienstgebrauch“ (VS-NfD). Solche förmlichen Geheimhaltungsverpflichtungen müssten zwar jeweils hinreichend konkret gefasst sein und mehrfach ausgesprochen werden, was bürokratischen Aufwand bedeute.
Das freie Mandat nicht beschränken
Doch ermögliche das Instrument strafrechtliche Sanktionierungen, zumindest aber die Einleitung von Strafermittlungen, was mit einem Abschreckungseffekt und einem Signal an die Gesellschaft verbunden sei. Zudem schlägt Ogorek eine „Verfassungstreueklausel“ in Musterarbeitsverträgen vor, auch wenn es sich dabei lediglich um eine „rechtlich unverbindliche Maßnahme mit symbolischem Charakter“ handle. Abgeordneten oder Fraktionen von vornherein zu verbieten, Beschäftigte mit extremistischen Verbindungen einzustellen, ist laut Ogorek rechtlich kaum möglich. Denn die Abgeordneten sind kraft ihres Mandats bei all ihren Entscheidungen im parlamentarischen Raum unabhängig und frei. Dazu zählt auch das Recht „zum unmittelbaren Abschluss des entsprechenden Arbeitsverhältnisses mit von ihnen ausgewählten Personen“.
Der Landtag habe die Sicherheitsvorkehrungen im vergangenen Jahr bereits angepasst, aber das reiche noch nicht, um die Handlungsfähigkeit und Wehrhaftigkeit des Parlaments zu sichern, sagt Landtagspräsident Kuper. „Verfassungsfeinde machen Stimmung gegen die Demokratie: in sozialen Medien, in Schulen und auch in Parlamenten – hier im Herzen der Demokratie sind sie besonders gefährlich.“ Auf der Grundlage der Empfehlungen des Gutachters will der Landtagspräsident nun mit den zuständigen Gremien über „rechtliche Handlungsmöglichkeiten beraten, ohne jedoch das freie Mandat zu beschränken“.
Medium: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Datum: 08.08.2024
Autor: Reiner Burger