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Wie groß ist die Spionage-Gefahr aus dem Ausland?

Lauschangriffe, Sabotagepläne, Spähversuche: Deutschland wähnt sich im Visier ausländischer Mächte. Wieso die Bundesrepublik offenbar in großem Stil bespitzelt und ausgekundschaftet wird.

 

Was für eine Woche, dabei ist es erst Dienstag. Deutschlands Justiz und Geheimdienste sehen sich gleich mit mehreren Verdachtsfällen von Spionage konfrontiert. Bad Homburg, Bayreuth und jetzt Dresden. An diesem Dienstagmorgen erfolgte in der sächsischen Landeshauptstadt der nächste Zugriff: Der Generalbundesanwalt ließ einen Assistenten des AfD-Spitzenpolitikers Maximilian Krah festnehmen. Ihm wird geheimdienstliche Agententätigkeit für China vorgeworfen. 

Die Spionagevorfälle häufen sich. Was ist da los? Wieso wird Deutschland offenbar in großem Stil bespitzelt und ausgekundschaftet? Und worin unterscheiden sich die Methoden der ausländischen Dienste? 

Ein kurzer Rückblick: Montag ließen Ermittler drei mutmaßliche Spione in Bad Homburg und Düsseldorf verhaften, die Informationen über Militärtechnik an den chinesischen Geheimdienst weitergegeben haben sollen. Vergangene Woche wurden in Bayreuth zwei mutmaßliche Spione festgenommen, die im Auftrag Russlands US-Stützpunkte ausgespäht und Sabotageakte auf militärischen Transportwegen geplant haben sollen. Nicht allzu lange her ist auch der Lauschangriff auf Bundeswehroffiziere. Aktuell läuft auch ein Verfahren gegen mutmaßliche Überläufer vom Bundesnachrichtendienst, die sich Russland angedient haben sollen, und nun der Verdachtsfall im AfD-Milieu. 

Die Vorfälle sind nicht im Verborgenen geblieben, das ist die gute Nachricht. Die deutsche Spionageabwehr hat hier funktioniert. Die schlechte: Deutschland ist Fachleuten zufolge schon seit längerer Zeit im Visier fremder Mächte – die ihre Aktivitäten wohl kaum zurückschrauben dürften.

Die veränderte Weltlage im Allgemeinen, Russlands Angriffskrieg und Chinas Aufstieg im Besonderen würden sich in Deutschland "brennglasartig" widerspiegeln. Das sagt Markus Ogorek, Staatsrechtler an der Universität zu Köln, dem stern. Zu seinen Forschungsgebieten gehören Nachrichtendienste. Erst kürzlich schrieb er ein beachtenswertes Plädoyer, warum die "Zeitenwende" auch dort ankommen müsse: Deutschland setze ausländischer Spionage zu wenig entgegen. 

"Neben Wien gehört Berlin zu den weltweit führenden Orten für ausländische Agenten, und jeden Tag bewegen sich tausende Akteure fremder Mächte in der Bundesrepublik", sagt Ogorek, "auch wenn diese Wahrnehmung in der Bevölkerung noch nicht flächendeckend angekommen ist."

Wie Russland und China in Deutschland agieren

In diesen Tagen wird das geheimdienstliche Powerplay Russlands und Chinas hierzulande besonders deutlich. Wenngleich die Supermächte unterschiedliche Ansätze verfolgen würden, sagt der Experte. So hätten Russlands Dienste längst jede Verhältnismäßigkeit aufgegeben, analysiert Ogorek, agiere mit bewussten Machtdemonstrationen ("Show of Force") bis hin zu gezielten Tötungsoperationen wie dem Tiergarten-Mord. Zudem werde die Aufklärung westlicher Militäreinrichtungen und Materiallieferungen an die Ukraine für Russland immer wichtiger, wie die jüngsten Fälle zeigten. 

Mit weitaus mehr Agenten, die aber deutlich leiser operierten, sei China in Deutschland aktiv. Ihr Ziel: vor allem die Wirtschaft und Wissenschaft. "Die Volksrepublik setzt jedoch immer stärker auf die Durchdringung der Politik und will – deutlich subtiler als Russland – Einfluss auf westliche Entscheidungsprozesse nehmen", sagt Ogorek. Hierzu passe die Verhaftung des persönlichen Mitarbeiters von AfD-Mann Krah.

Der Fall sorgt nun für weitere Aufregung in der Politik. "Die AfD versinkt im Chaos von Vorwürfen des Geheimnisverrats und kriminellen Machenschaften", sagt SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese dem stern. "Der Verrat sensibler Informationen an autoritäre Staaten wie Russland und China ist nicht nur schäbig und moralisch verwerflich, sondern schadet vor allem unserem Land massiv." 

Zuvor hatten sich die Hinweise verdichtet, dass der AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron im Rahmen einer russischen Einflussoperation Geld erhalten haben könnte. Der tschechische Inlandsgeheimdienst soll über Audioaufnahmen zu den "schmierigen Geldzahlungen aus dem Kreml" (SPD-Innenpolitiker Wiese) verfügen. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft in München sogenannte Vorermittlungen eingeleitet.

Ein Hauch von Kalter Krieg

Für die Spionageabwehr in Deutschland zeichnen verschiedene Behörden verantwortlich, darunter der Militärische Abschirmdienst (MAD) oder der Bundesnachrichtendienst (BND), federführend ist der Verfassungsschutz. "Das Niveau der Spionageaktivitäten gegen Deutschland steht dem während des Ost-West-Konflikts bis 1990 in nichts nach", warnte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang unlängst. "Wir haben es mit einem klaren Systemwettbewerb zu tun!" 

Ist Deutschland dafür ausreichend gerüstet? 

Dass es hierzulande vermehrt gelinge, Agententätigkeiten aufzudecken, liege in der verbesserten Spionageabwehr des Verfassungsschutzes, meint Staatsrechtler Ogorek. Die entsprechenden Arbeitseinheiten seien in den 90er-Jahren zunächst erheblich verkleinert worden, müssten nun erst mühevoll wieder aufgebaut werden. Aber: "Auch wenn der Verfassungsschutz weiterhin vielfach auf Hinweise ausländischer Partnerdienste angewiesen ist, hat sich seine Detektionsfähigkeit von ausländischer Einflussnahme in den letzten drei, vier Jahren doch deutlich verbessert", lobt Ogorek. 

Auch SPD-Innenpolitiker Wiese hebt die gute Arbeit der deutschen Dienste hervor, die sich in der erneuten Enttarnung von Spionen gezeigt habe. "Dies auch besonders dank der intensiven Kooperation westlicher Geheimdienste", sagt Wiese, der auch Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) im Bundestag ist, das die Nachrichtendienste kontrolliert. "Zeitenwende bedeutet aber auch mehr eigene Befugnisse und Kapazitäten." 

Besonders effizient bei der Enttarnung von ausländischen Spionen sind Doppelagenten. Gegenspionage lautet das Stichwort und liegt im Verantwortungsbereich des Bundesnachrichtendienstes. "Auch dieser Arbeitsbereich war – ausgerechnet von Putin-Freund Gerhard Schröder – aufgelöst worden und befindet sich derzeit erst im Anfangsstadium des Wiederaufbaus", sagt Staatsrechtler Ogorek.

Insbesondere die Gegenspionage müsse daher personell massiv gestärkt werden, damit Deutschland in der Lage sei, "selbst ernstzunehmende Aufklärung bei den Zentralen von russischen oder chinesischen Diensten zu betreiben". Wenn dies gelänge, sagt Ogorek, könnten ausländische Aktivitäten viel zielgenauer abgewehrt werden – auch ohne potentere Partner wie die USA.  
 

Medium: Stern
Datum: 23.04.2024
Autor: Florian Schillat