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Weshalb ein AfD-Verbotsverfahren heikel ist – und was ein Scheitern bedeuten könnte

Einzelne Abgeordnete von SPD, CDU/CSU, Grünen und Linken wollen, dass der Bundestag beim Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die AfD beantragt. Der Staatsrechtler Markus Ogorek hält die Aussicht auf ein bundesweites Verbot der Partei für gering. Im RND-Interview warnt er zudem vor den Risiken eines Verfahrens.

 

Herr Professor Ogorek, Sie forschen zum Staats- und Verfassungsrecht und haben sich intensiv mit potenziell verfassungsfeindlichen Äußerungen von AfD-Politikerinnen und Politikern befasst. Für wie wahrscheinlich halten Sie den Erfolg eines Verbotsverfahrens?

Ich stehe dem Ansinnen des fraktionsübergreifenden Bündnisses von Abgeordneten insgesamt skeptisch gegenüber. Das hängt maßgeblich mit den strengen Voraussetzungen zusammen, die für Parteiverbote gelten. Bislang gab es in der Bundesrepublik zwei erfolgreiche Anläufe: 1952 wurde die Sozialistische Reichspartei verboten, eine Nachfolgeorganisation der NSDAP, und im Jahr 1956 betraf es die Kommunistische Partei. Das war aber eine andere Zeit, und seitdem hat das Bundesverfassungsgericht überaus hohe Hürden für weitere Parteiverbote aufgestellt – insbesondere 2003 und 2017 im Zuge der Beratungen über ein Verbot der NPD, die sich mittlerweile „Die Heimat“ nennt.

Was sind diese Voraussetzungen?

Die Partei muss erstens in ihrer gesamten Breite verfassungsfeindlich sein. Und sie muss zweitens dem Kriterium der sogenannten Potenzialität genügen. Damit ist gemeint, dass es zumindest nicht fernliegen darf, dass die Partei in absehbarer Zeit ihre Ziele realisieren kann. Bei der Potenzialität sehe ich mit Blick auf die AfD keine Probleme: Sie hat Abgeordnete im Europaparlament, ist im Bundestag vertreten und in den Landtagen teils stärkste Kraft. Schwierig wird es mit dem Nachweis, dass die AfD in der Breite darauf ausgerichtet ist, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen.

Weil die AfD nicht verfassungsfeindlich ist, oder weil sie das besser versteckt?

Das Parteiprogramm der AfD ist – nicht nach meiner politischen Überzeugung, aber aus der hier entscheidenden verfassungsrechtlichen Sicht – weitgehend unauffällig. Die Partei arbeitet damit, ursprünglich neutrale Begriffe umzuwidmen und anders aufzuladen, wir haben das beispielsweise bei dem Wort Remigration gesehen. Beim Parteiprogramm und den Verlautbarungen der NPD war das anders, hier gab es zum Beispiel viel offenen Antisemitismus. Die AfD hingegen trägt die freiheitlich-demokratische Grundordnung zumindest in den meisten parteiamtlichen Stellungnahmen wie eine Monstranz vor sich her. Deshalb müssten die Antragsteller, auch und insbesondere unter Zuhilfenahme von Erkenntnissen des Verfassungsschutzes, unzählige Einzelaussagen aus Reden oder Postings wie Mosaiksteinchen zusammenfügen. Es ist aber alles andere als ein triviales Unterfangen, auf der Grundlage der Aussagen von Einzelpersonen die Verfassungsfeindlichkeit einer ganzen Partei zu begründen.

Das Oberverwaltungsgericht für das Land NRW hat im Mai die Beobachtung der AfD als „Rechtsextremismus-Verdachtsfall“ durch den Verfassungsschutz bestätigt. Gibt dieses Urteil Hinweise auf die Erfolgschancen eines möglichen Verbotsverfahrens?

Im Grunde nicht. Das hat etwas mit den Maßstäben zu tun, die in dem erwähnten Verfahren angewendet wurden. Bei der Einstufung der AfD als Verdachtsfall ging es um die Frage, ob dem Verfassungsschutz „tatsächliche Anhaltspunkte“ vorliegen, die seine Annahme rechtfertigen, dass es sich bei der AfD um eine verfassungsfeindliche Bestrebung handeln könnte. Diese Schwelle ist typisch für das Nachrichtendienstrecht, in dem man weit im Vorfeld von konkreten Gefahren aufklärt und deshalb bewusst eher niedrige Anforderungen stellt. In einem Parteiverbotsverfahren ist das anders. Hier ist Karlsruhe ausnahmsweise selbst die Tatsacheninstanz, muss also Beweise erheben. Und der Antragsteller, beispielsweise der Bundestag, muss nicht weniger als zur Überzeugung des Gerichts den Nachweis führen, dass die AfD in ihrer Breite verfassungsfeindlich ist.

Sollte der aktuell diskutierte Gruppenantrag für ein AfD-Verbot eine Mehrheit im Bundestag finden, hätte der Verbotsantrag bislang weder Bundesregierung noch Bundesrat hinter sich – anders als bei den NPD-Verbotsverfahren. Würde das die Aussichten des Verfahrens zusätzlich schmälern?

Ob sich die Bundesregierung dem Antrag anschließt, falls sich der Bundestag entgegen der aktuellen Wahrnehmung tatsächlich mehrheitlich dazu durchringt, ist aus meiner Sicht offen. Für die Erfolgsaussichten ist es ohnehin kaum von Belang – denn die Bundesregierung wird den ihr zugehörigen Verfassungsschutz sicherlich selbst dann zur Kooperation mit den Antragstellern anweisen, wenn sie nicht zu ihnen zählt. Mit Blick auf die aktuell zur AfD gesammelten Erkenntnisse bleiben aber meine Zweifel daran, dass die hohen Hürden überwunden werden können, die für den Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit im Verbotsverfahren gelten.

Was wären die Risiken eines gescheiterten Verbotsantrags?

Das Scheitern eines solchen Verfahrens wäre für die politische Landschaft in Deutschland ein schwerer Schlag. Wenn das Bundesverfassungsgericht die AfD nicht verbietet, lässt sich das aus Sicht der Gesamtpartei so lesen und natürlich überall verbreiten, dass sie entgegen den Bewertungen des Verfassungsschutzes durchaus auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Hätte der Antrag nur teilweise Erfolg, würde also nur ein Teilverband der AfD verboten, so könnten die nicht vom Verbot erfassten Landesverbände ähnlich argumentieren. Das wäre gewissermaßen wie ein Persil-Schein, also eine höchstrichterliche Entlastung der Partei vom Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit. Und natürlich würde die AfD im Anschluss nicht gemäßigter werden.

Könnte auch ein erfolgreiches Verbotsverfahren der AfD nützen?

Wird eine Partei verboten, so ist sie mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgelöst; ihr Vermögen wird eingezogen, alle Abgeordneten verlieren ihre Mandate und die Karlsruher Richter verhängen das Verbot, Ersatzorganisationen zu gründen. Dass dies die Partei existenziell treffen würde, liegt auf der Hand. Nicht auszuschließen wäre freilich, dass sich einige ihrer Mitglieder oder Anhänger noch stärker radikalisierten.

Kann es demokratisch sein, eine Partei zu verbieten, die von so vielen Menschen gewählt wird, in einigen Bundesländern sogar die stärkste Partei ist und bundesweit in Parlamenten vertreten ist?

Die AfD stellt diese Frage auch – und natürlich in einer bestimmten Tonalität. Dahinter steckt meines Erachtens aber ein falsches Demokratieverständnis. Demokratie im Sinne des Grundgesetzes heißt eben nicht nur, dass diejenigen regieren, die eine Mehrheit erlangen, sondern beinhaltet auch die Rechte der Opposition oder von gesellschaftlichen Minderheiten sowie die Unabhängigkeit der Justiz als Hüterin dieser Freiheiten. Will eine Partei an die prägenden Elemente unseres Verfassungsstaats, die wir als freiheitlich-demokratische Grundordnung bezeichnen, Hand anlegen, stellt sie sich bewusst ins Aus. Deshalb halte ich es aus demokratietheoretischer Sicht für gerechtfertigt, eine Partei zu verbieten, die nicht bereit ist, zumindest die Menschenwürde sowie den Kern des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips zu wahren.

Welche Auswirkungen hätte ein Verbotsverfahren auf das laufende Politikgeschehen und auf die Bundestagswahlen 2025?

Der Bundestag würde über das Verbot einer Partei verhandeln, die selbst im Bundestag vertreten ist. Das ist eine neuartige Situation. Und man kann davon ausgehen, dass die AfD diese Situation medial im Sinne eines Opfer-Narrativs für sich nutzen wird. Vor diesem Hintergrund hat etwa die Fraktionsführung der CDU/CSU den beabsichtigten Antrag über ein AfD-Verbot im Bundestag zu Recht bedauert.

Welchen Einfluss haben Parteiverbotsverfahren auf die Gunst von Wählenden?

Ich glaube nicht, dass die Einleitung eines Verbotsverfahrens AfD-Wähler davon abhalten würde, der Partei weiterhin ihre Stimme zu geben. Lange Zeit glaubte man, dass die Anhänger der Partei in erster Linie Protestwähler seien. Mittlerweile scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass mindestens 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung in Deutschland durchaus rechtsextremistische Thesen vertreten, in Zeiten gefühlter oder tatsächlicher Krisen noch einige mehr.

Vor dem Beginn eines Verbotsverfahrens müssten die Verfassungsschutzämter V-Leute aus der AfD abziehen. Könnte ein Verbotsverfahren der Beobachtung der Partei deshalb mehr schaden als nützen?

Nein. Ich bin natürlich nicht mit operativen Details vertraut – nach dem, was ich höre, nutzt der Verfassungsschutz in der AfD aber vor allem Mittel der sogenannten Open Source Intelligence. Er informiert sich also aus öffentlichen Quellen wie etwa sozialen Netzwerken oder Kundgebungen. Und das lässt sich gut nachvollziehen, denn eine Partei ist als Organisation darauf gerichtet, in die Gesellschaft zu wirken, sie hält deshalb ihre Pläne nicht grundsätzlich unter Verschluss. Was sich die AfD zum Beispiel unter „Remigration“ vorstellt, ist nicht nur ein offenes, sondern überhaupt kein Geheimnis. Die Abschaltung der vergleichsweise wenigen Quellen, die es möglicherweise gibt, würde den Verfassungsschutz nicht blind werden lassen.

Im Falle eines Parteiverbots gilt das Verbot, Ersatzorganisationen zu gründen. Trotzdem: Wie wahrscheinlich ist es, dass im Fall eines AfD-Verbots von Akteuren der Partei erfolgreich neue politische Strukturen aufgebaut werden?

Es ist sicherlich davon auszugehen, dass es zu einer neuen Formierung kommen würde, wenn auch vielleicht mit anderen Protagonisten, und dass diejenigen, die diese politische Richtung repräsentieren, in Deutschland weiterhin Politik machten. Trotzdem: Ein Parteiverbot ist ein sehr starkes Mittel, es ist quasi der Super-GAU für eine Partei und trifft sie hart.

Welche rechtlichen und politischen Mittel haben die demokratischen Parteien im Bundestag, die Bundesregierung und der Bundesrat zur Hand, die unterhalb eines Verbotsverfahrens liegen, aber bislang nicht zum Einsatz kommen?

Rechtlich gibt es neben den Warnungen des Verfassungsschutzes, die er nach Kräften vorbringt, mit Blick auf die Partei selbst wenige Möglichkeiten. Wofür ich seit Längerem plädiere und sich etwa der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum sehr einsetzt, ist das Verbot von Umfeldorganisationen der AfD. Dass sich das Bundesinnenministerium mit dem „Compact“-Magazin nun ausgerechnet einen Verein als erstes Ziel ausgesucht hat, der unter dem besonderen Schutz der Pressefreiheit steht, ist etwas misslich. Aber es gibt viele weitere Akteure, gegen die man mit dem rechtlich sehr viel leichter zu handhabenden Instrument des Vereinsverbots längst hätte vorgehen können. Dazu zählt nach meiner Rechtsauffassung die im Umfeld der AfD agierende Vernetzungsplattform „Ein Prozent“ oder auch die als Nachfolgerin des „Instituts für Staatspolitik“ zu bewertende rechtsextreme Denkfabrik „Menschenpark“, deren Leiter ein enger Vertrauter Höckes ist.
 

Medium: RedaktionsNetzwerk Deutschland
Datum: 07.10.2024
Autorin: Emily Bader (Interview)