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Welche Chancen hat der Antrag auf ein Verbot der AfD?

Die Forderung einzelner Abgeordneter stößt bei Fraktionsspitzen auf Skepsis. Und auch Juristen hegen überwiegend Vorbehalte

 

Führende Staatsrechtler kritisieren das Vorhaben einzelner Abgeordneter, im Bundestag einen Antrag auf ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD einzubringen. Auch die Fraktionsspitzen im Parlament äußern sich zurückhaltend bis ablehnend. Die AfD-Fraktion selbst will sich laut eines Sprechers nicht zu „Spekulationen“ über Anträge äußern, „die ihr nicht vorliegen“. Eine fraktionsübergreifende Gruppe aus mindestens 37 Abgeordneten von SPD, CDU/CSU, Grünen und Linken hat nach WELT-Informationen einen Gruppenantrag ausgearbeitet, mit dem der Bundestag ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anstoßen soll. Der Antrag bräuchte eine einfache Mehrheit im Parlament, damit er in Karlsruhe eingereicht werden kann. Der Bundestag ist – neben Bundesregierung und Bundesrat – eines von drei Verfassungsorganen, das ein Verbotsverfahren vor dem Gericht anstoßen kann. Die rechtlichen Hürden dafür sind allerdings hoch.

Nach WELT-Informationen befürchten Teile der SPD im Bundestag, dass eine Spaltung der Fraktionen in dieser Frage der AfD nutzen könnte. Intern wird auch diskutiert, einen Antrag mit einer schwächeren Forderung zu formulieren, der dann auf einer breiteren Basis stehen könnte. Möglich wäre etwa ein Prüfauftrag an die Bundesregierung, die ebenfalls ein Verbotsverfahren in Karlsruhe beantragen kann. Aus der Grünen-Fraktion ist hingegen zu hören, dass dem bereits nahezu fertiggestellten Verbotsantrag ein großer Teil zustimmen würde.

Konstantin Kuhle, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion, sagte WELT: „Zum jetzigen Zeitpunkt“ dürfte eine öffentliche Debatte über ein mögliches AfD-Verbot „mehr schaden als nutzen“, weil die AfD sich dadurch als Opfer inszenieren könne. „Ob ein Antrag auf ein Parteiverbot vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich wäre, ist zudem offen. Das Scheitern eines solchen Antrags wäre eine Katastrophe. Aus diesen Gründen ist die Skepsis gerade in den Reihen der Freien Demokraten sehr groß.“ CDU und CSU verwehren sich offen gegen den Verbotsantrag. Dass Mitglieder der Unionsfraktion einen entsprechenden Antrag unterstützen, wie unter anderem der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Ostbeauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz, und sich an der dessen Ausarbeitung beteiligen, stößt in der Fraktion auf deutliche Kritik.

„Es bleibt dabei, dass wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion kein AfDVerbotsverfahren verfolgen, weil es der falsche Weg in der Auseinandersetzung mit dieser Partei wäre. Wir wollen die AfD politisch bekämpfen und so ihren Extremismus offenlegen“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), WELT. Sollte ein Verbotsantrag in den Bundestag eingebracht werden, werde die Union dagegen stimmen. Zu den Abgeordneten, die den Antrag mittragen, heißt es in der Fraktion: „Es sind immer dieselben, die ausscheren und ihr eigenes Ding machen.“

Wie Juristen die Lage bewerten

Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Uni Köln, sagte auf WELT-Nachfrage: Aus rechtswissenschaftlicher Sicht überzeuge die Verbotsinitiative nicht. Denn die „maßgebliche Frage ist und bleibt, ob die Ziele der Partei verfassungsfeindlich im Sinne der Verbotsrechtsprechung sind“, so Ogorek. Das Problem aus seiner Sicht: Die Antragsteller beziehen sich unter anderem auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster. Es hatte entschieden, dass der Verfassungsschutz die AfD und dessen Jugendorganisation als Verdachtsfall beobachten darf. Aber, so Ogorek: „Im damals beleuchteten Verfassungsschutzrecht bedarf es lediglich ‚tatsächlicher Anhaltspunkte’ für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD, wohingegen beim Parteiverbot die Karlsruher Richter von der Verfassungsfeindlichkeit der Partei in ihrer gesamten Breite sogar überzeugt sein müssten.“

„Gerade die AfD“, so Ogorek, sei „sehr geschult darin, in offiziellen Programmen oder Vorstandsbeschlüssen auf die Grenzziehungen des Grundgesetzes zu achten. Zwar lassen sich leicht Hunderte Belege für extremistische Äußerungen aus der Partei finden, die jedoch auch viele Zehntausend Mitglieder aufweist.“ Wegen der daraus resultierenden großen Unsicherheiten – wie weit muss die Verfassungsfeindlichkeit in der Partei verbreitet sein, wie sehr muss sie sich in offiziellen Positionierungen niederschlagen? – sei „ein Verbotsverfahren aus meiner Sicht überaus riskant“.

Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht in Oldenburg, argumentiert ähnlich. Parteiverbote seien nur in extremen Notfällen möglich. Wegen der Parteienverbote der Nationalsozialisten sei „das Grundgesetz eher ‚allergisch‘ gegenüber einem Parteiverbot. Parteienverbote sind grundsätzlich undemokratisch“. Einen entsprechenden Antrag im Fall der AfD hält für auch er für „verfassungsrechtlich wenig Erfolg versprechend“. Dass die AfD explizit in ihrer Gänze aggressiv und kämpferisch die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen wolle, sehe er nicht. „Bloßes Reden reicht nicht. Die Partei muss auch aktiv handeln.“

Ob der Tatbestand der „aggressiv-kämpferischen“ Grundhaltung notwendig erfüllt sein muss für ein erfolgreiches Verfahren, sei allerdings umstritten, so Ogorek. Seit der zweiten höchstrichterlichen Entscheidung gegen NPD-Verbot fordere das Bundesverfassungsgericht „wohl nicht mehr ein ‚aggressiv-kämpferisches‘, sondern nur noch ein ‚planvolles‘ Vorgehen“ gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Ogorek überzeugt das aber nicht. Er warnt vor den politischen Folgen eines Scheiterns in Karlsruhe: „Alle politischen Akteure müssen klug abwägen, ob sie die enorme Gefahr wirklich eingehen wollen, dass der AfD durch die obersten Verfassungsrichter aufgrund der immensen rechtlichen Anforderungen quasi bescheinigt werden könnte, noch auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen.“

Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht in Düsseldorf, hat ebenfalls „sehr große Zweifel daran, dass ein solcher Antrag zum jetzigen Zeitpunkt vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg hätte“. „Dass im Bundestag über das Verbot einer im Bundestag vertretenen Partei diskutiert werden soll, das heißt, die Partei sich selbst an dieser Debatte beteiligen kann, ist im Übrigen eine historisch neue und überaus schwierige Situation, die der AfD im Übrigen auch eine völlig neue Art von Bühne bietet.“ Nicht nur ein Scheitern des Antrags in Karlsruhe wäre ein Erfolg für die AfD, sondern schon die Ablehnung desselben im Bundestag könne „wie eine Verharmlosung der AfD oder ein ‚Persilschein‘“ aussehen. Doch es gibt auch Experten mit anderer Meinung. Der Mainzer Politikwissenschaftler Kai Arzheimer etwa hält ein Verbotsverfahren gar für „unumgänglich“, so das „Handelsblatt“. Ihm gehe es dabei nicht nur um die Einstufung der AfD durch die Verfassungsschutzbehörden, sondern auch um „Kontakte zu extremistischen Akteuren außerhalb der Partei selbst und nach Russland“.

Viel Unterstützung gibt es auch in der linken Opposition nicht. Die Vorsitzenden der Linke-Gruppe, Heidi Reichinnek und Sören Pellmann, teilten WELT mit: „Der Antrag liegt der Gruppe als Ganzes bislang nicht vor, deshalb können wir hierauf keine definitive Antwort geben. Darüber hinaus bedeutet aus unserer Sicht eine Unterstützung zum Antrag nicht zwingend eine Zustimmung zu einem möglichen AfD-Verbot, sondern nur die Überzeugung, dass eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht geboten ist.“ Wie die Mitglieder der Linken abstimmen werden, könne man nicht beantworten, da die Abstimmung freigegeben worden sei – also in diesem Fall keine Fraktionsdisziplin gilt. „Die Argumente dafür und dagegen tauschen wir intern aus.“ Jessica Tatti vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Bundestag sagte WELT, dass das BSW den Antrag nicht unterstützen werde. „Es ist geradezu erbärmlich, dass Parteien, die vom Wähler abgestraft werden, lieber die politischen Gegner verbieten, als endlich im Interesse der Menschen Politik zu machen.“ Wer solle ihnen da noch abkaufen, gerade sie seien die demokratischen Parteien, so Tatti. „Ein größeres Geschenk als den Verbotsantrag könnte man der AfD nicht machen.“
 

Medium: DIE WELT
Datum: 01.10.2024
Autoren: Jan Alexander Casper und Nikolaus Doll