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Warum sich Verfassungsschützer alarmiert über Nancy Faesers (SPD) Pläne zeigen

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will im Kampf gegen Extremisten die Befugnisse des Verfassungsschutzes ausweiten: Vor allem bei Rechtsextremisten will sie früher beobachten und schneller einschreiten können. Manche Verfassungsrechtler befürchten, die Meinungsfreiheit könnte zu stark eingeschränkt werden. Was steckt hinter Faesers Plänen?

 

Der Kampf gegen den Rechtsextremismus ist ein erklärtes Anliegen von Nancy Faeser (SPD). Bereits zum April hatte der Bundestag ein Kernanliegen der Innenministerin in Kraft gesetzt: Künftig braucht es keine langwierigen Disziplinarklageverfahren mehr, um Beamte aus dem Dienst zu entfernen – eine behördliche Verfügung genügt. Zwar handhabt Baden-Württemberg dies bereits heute so und den Betroffenen steht weiterhin Rechtsschutz zu, dennoch erfuhr das Vorhaben Kritik, etwa vom Beamtenbund.

Auch Kompetenzen des Verfassungsschutzes will die Ministerin ausweiten und sorgt dabei mit mehreren Formulierungen für Irritationen. Faesers Ansage bei der Vorstellung ihrer Pläne in Berlin Mitte Februar: "Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen." Doch was heißt das konkret? Die Innenministerin plant ein Maßnahmenpaket, mit vielen einzelnen Unterpunkten. Unter anderem sieht es vor, den Austausch zwischen dem Verfassungsschutz und zuständigen kommunalen Behörden zu verbessern, um beispielsweise rechtsextremistische Veranstaltungen einfacher zu untersagen.

"Gefährdungspotenzial" entscheidend

Faesers Pläne beinhalten auch eine Verschärfung des Waffenrechts. Insbesondere soll die Mitgliedschaft in einer Organisation, die vom Verfassungsschutz als "Verdachtsfall" geführt wird, bereits als Anhaltspunkt für den Entzug einer waffenrechtlichen Erlaubnis dienen können. Auch in weiteren Bereichen soll der "Verdachtsfall" Grundlage für behördliches Tätigwerden werden – und nicht erst der Status als "gesichert extremistische Bestrebung". Bereits heute darf der Verfassungsschutz gegen "Verdachtsfälle" aktiv werden, worunter auch der durch das Bundesverfassungsgericht bestätigte Einsatz von sogenannten nachrichtendienstlichen Mitteln fällt. Mit dem Waffenrecht will die Ministerin dies jedoch auf weitere Gebiete außerhalb des klassischen Nachrichtendienstrechts ausweiten.

Eine Änderung plant Faeser auch im Bereich der Finanzermittlungen. Bislang konnten die Verfassungsschützer Geldströme von als extremistisch identifizierten Netzwerken zum Beispiel nur dann aufstöbern, wenn volksverhetzende und gewaltorientierte Bestrebungen nachweisbar waren. Dies gilt für mutmaßliche Islamisten genauso wie für vermutete Rechts- oder Linksextremisten. Künftig soll es stattdessen auf das Gefährdungspotential ankommen. Laut Faeser geht es dabei um "Aktionspotenzial und gesellschaftliche Einflussnahme". Dass die Ministerin eine genaue Definition der "Gefährdungspotentiale" der Öffentlichkeit bislang schuldig blieb, stieß bei Beobachtern auf Kritik.

Denk- und Sprachmuster erkennen

Schwammig war auch eine Aussage von Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, auf besagter Pressekonferenz. Er hatte gefordert: "Wir dürfen nicht den Fehler machen, im Rechtsextremismus nur auf Gewaltbereitschaft zu achten, denn es geht auch um verbale und mentale Grenzverschiebungen. Wir müssen aufpassen, dass sich Denk- und Sprachmuster nicht in unsere Sprache einnisten."

Nach Einschätzung von Verfassungsschutzexperte Markus Ogorek wollte der Chef des Inlandsnachrichtendienstes damit vermutlich auf eine Strategie der "Neuen Rechten" hinweisen, auf den ersten Blick "harmlose" Wörter mit extremistischem Gedankengut aufzuladen. "Die Justiz hat immer wieder bestätigt, dass zum Beispiel das Ersetzen klassischer Rassismus-Begriffe durch die Vorstellung einer "ethnokulturellen Identität" der Völker weiterhin verfassungsfeindlich sei.", so Ogorek. Dennoch bestehe Kritik daran, dass Haldenwang streckenweise nebulös bleibe und wie ein Politiker klinge.

Corona bis Ukrainekrieg

Der Verfassungsschutzpräsident nutzte den Medientermin auch für eine weitere Ankündigung: Der nächste Lagebericht "Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter in Sicherheitsbehörden" werde erstmals die "verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" einbeziehen und im zweiten Quartal 2024 veröffentlicht. 1.400 staatsgefährdende Objekte, 280 davon gewaltorientiert, zählt das Bundesamt für Verfassungsschutz in dieser Kategorie insgesamt.

Der neu eingerichtete Phänomenbereich besteht beim Bundesamt und den Landesbehörden für Verfassungsschutz bereits seit 2021 und beschreibt Akteure, die darauf abzielen, "wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Geltung zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen erheblich zu beeinträchtigen." Im Zuge der Corona-Pandemie instrumentalisierten verschiedene Akteure das Protestgeschehen gegen Schutzmaßnahmen und staatliche Repräsentanten, um losgelöst von sachbezogener Kritik Demokratie und Rechtsstaat zu bekämpfen. Der Verfassungsschutz wusste damals nicht, wo er diese Akteure einsortieren sollte, sie waren weder eindeutig rechts- noch linksextrem. Deshalb, so die Nachrichtendienstler, benötige man einen neuen Sammelbegriff.

Regierungskritik noch erlaubt?

Die Problematik ist aus Sicht des Verfassungsschutzes geblieben, denn: "Auch nach der Aufhebung der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie im Frühjahr 2022 beteiligten sich Gruppierungen und Einzelpersonen aus dem Phänomenbereich der 'verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates' am Protestgeschehen", schreibt das Bundesamt. Als thematische Aufhänger gelten heute etwa Russlands Angriffskriege auf die Ukraine oder die Diskussion um die Inflation.

Doch der Terminus "verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" missfällt manchem Verfassungsrechtler. Der Augsburger Rechtsprofessor Josef Franz Lindner befürchtete, pointierte und überspitzte Kritik an Politik, Staat oder Regierung könne künftig womöglich als Delegitimierung eingestuft und so zum Fall für den Verfassungsschutz werden. Das berichtet das "ZDF". Mathias Brodkorb, ehemaliger SPD-Kultus- und Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern, verstieg sich sogar zu Vergleichen mit der DDR. Dort habe es den Begriff der staatsfeindlichen Hetze gegeben.

Schwelle zur Strafbarkeit liegt hoch

Klar ist: Einen Tatbestand, der das "Verhöhnen des Staates" oder seine "Delegitimierung" unter Strafe stellt, gibt es in Deutschland als solchen nicht. Strafbar ist nur die "Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole", dazu zählen zum Beispiel die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik. Geregelt ist das in § 90a StGB.

In den ersten Jahren der Bundesrepublik wurde relativ streng geurteilt, was bereits als Verächtlichmachen zu gelten hatte. So wurde in den 1950er Jahren die Bezeichnung des Bonner Staatsgebildes als "frisch gestrichene Coca-Cola-Bude" ebenso als Verunglimpfung gewertet wie die Bezeichnung des Landes Niedersachsen als "Unrechtsstaat". Bis heute ist die Schwelle zur Strafbarkeit immer höher gelegt worden – zugunsten der grundgesetzlich verbrieften Meinungsfreiheit. So viel wie heute durfte man also zu kaum einer Zeit in Deutschland sagen. Weder das Bezeichnen einer Landesregierung als "Regime" noch das Tragen der umgedrehten Nationalflagge wurden zuletzt als Verunglimpfung bewertet.

Unterschiedliche Regelungsweisen

Allerdings hat das Verfassungsschutzrecht eine andere Stoßrichtung als das Strafrecht, worauf Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang jüngst in einem Gastbeitrag für die "FAZ" hinwies: Nach den Gesetzen hänge "die verfassungsschutzrechtliche Relevanz von Äußerungen als tatsächliche Anhaltspunkte, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz eröffnen, nicht davon ab, ob diese strafbar oder illegal sind." Aufgabe seiner Behörde, so Haldenwang, sei es vielmehr, "an die Inhalte von Meinungsäußerungen an[zu]knüpfen, [wenn] diese etwa Ausdruck eines Bestrebens sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen".

Verfassungsrechtler Markus Ogorek bestätigt dies: Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hätten "mit der Schaffung des Verfassungsschutzes ausdrücklich eine Behörde einrichten wollen, die unterhalb der strafgesetzlichen Schwellen beobachten und warnen darf."

Grundsatz der wehrhaften Demokratie

Die Gefahr, zu einem Gesinnungsstaat zu werden, der unter dem Deckmantel der Extremismusbekämpfung gegen unliebsame Meinungen vorgeht, hält der Jurist dann ebenso wie Experte Florian Becker aus Kiel für überzogen.

Becker erinnert: "Unsere Verfassung kennt den Grundsatz der wehrhaften Demokratie: Der Staat ist verpflichtet, sich nicht zurückzulehnen und verfassungsfeindlichen Umtrieben zuzusehen, sondern er hat eine aktive Rolle einzunehmen, wenn es darum geht, die Demokratie, ihre Institutionen und die sie tragenden Personen zu schützen."  Allerdings garantiere das Grundgesetz auch die Meinungsfreiheit. "Und das heißt, dass man Institutionen, auch verfassungsrechtliche Institutionen, hart kritisiert können muss, ohne dafür staatliche Sanktionen zu befürchten", so der Experte weiter.

Experte: Delegitimierung sauber abgrenzen

Er ist sich sicher: So, wie die Politik den Begriff der "Delegitimierung des Staates" versteht, wird er zu weit verstanden. "Teilweise geht es anscheinend wirklich nur um bloße Regierungskritik", so Becker. Es sei nicht verfassungskonform, Menschen unter Beobachtung und Verdacht zu stellen, die eine grundlegende, aber nicht ablehnende oder feindselige Kritik an Institutionen oder staatlichen Personen äußerten. "Das ist für eine Demokratie und für die Offenheit der gesellschaftlichen Meinungsbildung ein erhebliches Problem", warnt der Verfassungsjurist.

Zu schwammige Definition

Wo verläuft nun diese Schwelle? Was ist noch verfassungsrechtlich garantierte und demokratiepolitisch willkommene Kritik und wo beginnt die Delegitimierung? "Ich bin skeptisch, ob der Begriff in der politischen Diskussion nicht über das hinausgeht, was die freiheitlich-demokratische Grundordnung abdeckt", gibt Becker zu. Auch Experte Ogorek hält den Begriff für zu schwammig. Er warnt allerdings vor einer Phantomdiskussion. "Die Delegitimierung des Staates ist keine gesetzlich vorgesehene Kategorie. Es handelt sich nur um ein innerbehördliches Label, welches die Zuordnung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen erleichtern soll", sagt er.

Chemtrails bis Reptiloide

Verschwörungserzählungen über Chemtrails, Chip-Implantate und Reptiloide ließen sich nicht ohne Weiteres in ein Links-Rechts-Schema einpassen. "Deswegen hatte das Bundesamt offenbar den Eindruck, dass es einer neuen Kategorie bedarf, weil man die identifizierten Phänomene ansonsten etwa in den Verfassungsschutzberichten schlecht abbilden kann", sagt er.

Die neu geschaffene Kategorie erleichtere es dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht, Grundrechtseingriffe durchzuführen. "Das Gesetz hat sich hier schließlich nicht geändert", erklärt der Experte. Die Eingriffsvoraussetzungen seien immer noch dieselben. "Das Bundesamt darf sich nur dann nachrichtendienstlicher Mittel bedienen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass wir es mit einer verfassungsfeindlichen Bestrebung zu tun haben", so Ogorek. Er sieht den Grundrechtsschutz der Bürger daher nicht verkürzt.

Misslungene Kommunikation

Die Kommunikation über die Pläne von Faeser hält der Experte allerdings für misslungen. Er fürchtet, die politische Rechte könnte die Debatte nutzen und weiter an ihrem Opfer-Narrativ stricken, man dürfte "in Deutschland nichts mehr sagen".

"Mit Delegitimierung ist nicht die Kritik an der Regierung gemeint", betont Ogorek. Es gehe darum, staatliche Akteure in einem Maße verächtlich zu machen, mit dem man den Staat und seine Grundordnung insgesamt ablehnt. "Natürlich wird im Einzelfall die Abgrenzung sicher schwierig sein: Was ist bereits verfassungsfeindliche Delegitimierung des Staates und was noch berechtigte Kritik? Dafür gibt es aber auch Gerichte", konkludiert der Kölner Verfassungsjurist.

Ausdruck der Hilflosigkeit

Becker rät, noch an einem weiteren Punkt anzusetzen. Dass das unter der Dienst- und Fachaufsicht von Faeser stehende Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich ins Spiel gebracht werde, hält er für den Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit gegenüber dem Erstarken politischer Ränder. "Man weiß offenbar einfach nicht mehr, wie man die Menschen dazu bewegen kann, zu erkennen, dass sie auf dem falschen Weg sind."

Und deswegen, so der Kieler Rechtsprofessor, "versucht man möglichst frühzeitig, auch wenn die Menschen noch nicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedrohen, zu verhindern, dass sie an die extremen Ränder abdriften." Die Antwort müsse aber vielmehr eine inklusivere Politik sein, die das Gefühl, mitgenommen zu werden, auslöst. "Ich glaube, der Staat und die Politik müssen mehr aushalten können und sich mehr in der Sache auseinandersetzen", rät er.
 

Medium: WEB.DE, GMX und 1&1
Datum: 04.04.2024
Autorin: Marie Illner