Anders als beispielsweise die AfD behauptet, ist die Briefwahl zwar sicher – doch aus verfassungsrechtlicher Sicht sei sie problematisch, sagt Markus Ogorek. Er ist Jurist und seit 2020 Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln. Da sich nicht überprüfen lässt, ob Briefwählende bei der Entscheidung unbeobachtet und unbeeinflusst sind, stehe sie zu den Wahlrechtsgrundsätzen der Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit in einem Spannungsverhältnis, erläutert Rechtswissenschaftler Markus Ogorek.
Denn nur in einem Wahllokal kann sichergestellt werden, dass Bürger*innen bei der Stimmabgabe nicht über die Schulter geschaut oder sie beeinflusst werden. Die Wahlkabine ist ein absolut diskreter Ort. Deswegen dürfen Wahlteilnehmende – zum Beispiel – dort keine Fotos machen. In den eigenen vier Wänden können Wählende aber beispielsweise durch Mitbewohnende oder Partner*in beeinflusst werden.
Ereignisse, die die Stimmabgabe beeinflussen
Dass es in einer Demokratie Briefwahl trotz dieser potenziellen Beeinflussung bei der Stimmentscheidung geben muss, hat verfassungsrechtliche Gründe. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl – also dass möglichst viele Leute an einer Wahl teilnehmen – wiegt schwerer. Markus Ogorek nennt eine weitere Schwäche der Briefwahl: "Wenn nach der Stimmabgabe per Brief noch etwas passiert, das unseren Wahlentschluss beeinflussen könnte, lässt sich die Entscheidung – bei einer bereits getroffenen Stimmabgabe per Brief – nicht mehr ändern", sagt er.
Ein Beispiel: die Atomkatastrophe von Fukushima in Japan. Nachdem es 2011 infolge eines Erdbebens eine Tsunamiwelle in der japanischen Provinz gegeben hatte, beschädigte dies die Atomreaktoren – die Folgen waren nicht nur in Japan zu spüren. International folgte eine Debatte über die Sicherheit der Atomenergie. Zwei Wochen nach der Katastrophe fand die Landtagswahl in Baden-Württemberg statt. Die Grünen haben die Wahl gewonnen. Wer vor dem Erdbeben bereits per Briefwahl die Stimme abgegeben hatte, konnte die politische Debatte darüber nicht in die Entscheidung einbeziehen.
Es macht daher durchaus Sinn, den Wahlzettel nicht sofort abzuschicken, meint Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Anne-Katrin Eutin. Wenn ihr euch für Briefwahl entscheidet, habt ihr noch etwas mehr als eine Woche Zeit dafür, euer Kreuz zu machen (bei der Europawahl haben Bürger*innen tatsächlich eine Stimme). Die ausgefüllten Briefe müssen spätestens am Sonntag, 9.6.2024, im Wahlamt ankommen. Theoretisch können Briefwahlunterlagen bis zum 7.6.2024 beantragt werden. Die empfohlene Frist, bis wann die ausgefüllten Unterlagen abgesendet werden müssen, um bei der Wahl berücksichtigt zu werden, ist am Donnerstag – also am 6. Juni 2024.
Medium: Deutschlandfunk Nova
Datum: 29.05.2024
Autorin: Anne-Katrin Eutin