zum Inhalt springen

Vom Jurastudium zum Institutsdirektor

Markus Ogorek beantwortet in diesem Interview die Fragen von Redaktionsleiter Sebastian Klingenberg zu seinem akademischen Werdegang und zur Tätigkeit als Hochschullehrer. Unter anderem erzählt er von seinem Promotionsprojekt, dem Master of Laws (LL.M.) in den Vereinigten Staaten und der absolvierten US-amerikanischen Anwaltsprüfung New York State Bar Exam. Außerdem spricht er über die Habilitation – Voraussetzungen, Unterschiede zur Dissertation und Herausforderungen – sowie über seine Tätigkeit und seinen Alltag als Professor.

 

Klingenberg: Herr Professor Ogorek, zunächst vielen Dank, dass Sie sich zu diesem Interview bereiterklärt haben. Es soll maßgeblich um Ihren akademischen Werdegang und um Ihre Tätigkeit als Hochschullehrer gehen. Zum Einstieg möchte ich weit in Ihrer Vergangenheit ansetzen. Haben Sie sich bereits im Jurastudium als zukünftigen Hochschullehrer gesehen?

Prof. Dr. Ogorek: Offen gestanden: nein. Hätten Sie mich in der Mittel- oder Oberstufe nach meinem Berufswunsch gefragt, wäre die Antwort wohl „Lehrer“ gewesen. Bei der Abiturvorbereitung wurde mir dann bewusst, wie viele spannende Fächer es gibt, die im Klassenzimmer überhaupt nicht vorkommen. In der Rechtswissenschaft geht es um eine Kombination aus logischem Denken und feinem Formulieren – beides hat mich bereits in der Oberstufe in den Leistungskursen in Mathematik und Deutsch fasziniert. Ich habe mich deshalb letztlich für Jura entschieden. Mir schwebte allerdings zunächst eine anwaltliche Tätigkeit vor Augen – die ich auch heute noch unglaublich spannend und abwechslungsreich finde.

Klingenberg: Nach Ihrem Jurastudium haben Sie sich zunächst gegen den juristischen Vorbereitungsdienst entschieden und ein Promotionsprojekt begonnen. Warum zu diesem Zeitpunkt?

Prof. Dr. Ogorek: Wenn ein junger Mensch promovieren möchte, dann ist für sie oder ihn der Zeitpunkt nach dem Ersten Staatsexamen hierfür fast immer richtig. Man kommt frisch von der Universität, ist noch im Stoff und kann sich besonders tief in ein Spezialthema hineindenken. Zudem hat eine promotionsbegleitende Stelle den Vorteil, dass einem in der Regel deutlich mehr Geld zur Verfügung steht als im Studium. Nach dem Referendariat ist dagegen für viele der Gedanke allzu verlockend, gewissermaßen ab dem nächsten Tag als Volljurist arbeiten zu können. Ab diesem Zeitpunkt kommen Promotionen häufig nur noch im Rahmen von Programmen vor, in denen z.B. Großkanzleien ihre „Associates“ zeitweise freistellen und eine Dissertation abfassen lassen – die dann thematisch nicht selten sehr praxisgetrieben ist.

Klingenberg: Viele angehende Doktoranden stellen sich die gleiche Frage: Wie finde ich einen Doktorvater und was folgt? Möchten Sie hier ein paar Einblicke aus Ihren eigenen Erfahrungen geben?

Prof. Dr. Ogorek: Kurz nach dem Ersten Examen habe ich mir vertieft Gedanken dazu gemacht, welche Professorinnen und Professoren mich im Studium besonders beeindruckt haben – fachlich, aber auch menschlich. Ich würde mich nicht vorschnell von prominenten Namen oder attraktiven Standorten verleiten lassen, obwohl Köln und andere Großstädte natürlich ihren Reiz haben. Wichtig ist vor allem, so banal es klingen mag, dass Sie mit Ihrer Doktormutter oder Ihrem Doktorvater auf einer Wellenlänge sind, vertrauensvoll mit ihr oder ihm sprechen und eine gemeinsame Basis finden können.

Was das Abfassen der Dissertation anbelangt, kann ich mit der Erfahrung eines Professors nur empfehlen, in ein Promotionsvorhaben nicht leichtfertig hineinzustolpern. Ein Exposé lässt sich zu fast jedem Thema schreiben. Wer, wie meine Doktorandinnen und Doktoranden, am Anfang bereits eine vollständige Gliederung vorlegen muss, merkt jedoch schnell, ob die Fragestellung wirklich taugt. Was dann folgt, hat zu einem nicht unwesentlichen Teil mit Fleiß zu tun. Zudem hilft ein gutes Sprachgefühl, das lässt sich aber nur in Teilen antrainieren.

Klingenberg: Sie haben im Anschluss an Ihre Promotion in den Vereinigten Staaten einen Master of Laws (LL.M.) erworben. Es heißt oft, dass dieser Titel vor allem für Wirtschaftsjuristen relevant sei. Was waren Ihre Beweggründe für dieses Masterstudium?

Prof. Dr. Ogorek: Die US-amerikanischen Spitzenuniversitäten haben heutzutage ganz tolle Programme, man kann sich auf fast alles spezialisieren. Das hat für mich damals aber nicht den Ausschlag gegeben. Sie müssen sehen, ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen, meine Eltern waren keine Akademiker. Die Uni Bochum war für mich schon ein echter Aufstieg, sie atmet aber natürlich auch den Geist des Kohlereviers. Da musste ich einfach zugreifen, als mir auch mit Hilfe der gut vernetzten Kölner Universität die Welt ein wenig offenstand. Berkeleys herausragender akademischer Ruf, die tolle Architektur auf dem Campus und natürlich auch die Sonne Kaliforniens – das war und ist einfach attraktiv.

Klingenberg: Ihr Lebenslauf weist eine interessante Besonderheit auf: Sie haben das New York State Bar Exam abgelegt. Was hat Sie dazu bewogen? Hatten Sie zwischenzeitlich mit dem Gedanken gespielt, den klassischen Anwaltsberuf im US-Bundestaat New York auszuüben?

Prof. Dr. Ogorek: Eine US-amerikanische Anwaltsprüfung abzulegen, war eine sehr bewusste Entscheidung. Ich hatte in Berkeley bereits das Gefühl, dass der LL.M. kein echtes Alleinstellungsmerkmal mehr ist, wollte mich in meinen Qualifikationen aber unbedingt abgrenzen können. Sie erleben in den einschlägigen Großkanzleien heute kaum noch Associates, die nicht promoviert oder ein LL.M.-Studium an einer mehr oder minder bekannten ausländischen Hochschule absolviert haben. An dieser Stelle setzen meine früheren Fakultätskollegen an der EBS Law School übrigens richtig an. Die Studierenden legen dort nicht nur das Staatsexamen ab, sondern erwerben auch einen BWL-Masterabschluss. In meiner Wahrnehmung werden für berufstätige Juristinnen und Juristen übrigens auch MBA-Studiengänge immer beliebter. Das alles soll aber nicht als Plädoyer gegen den LL.M. missverstanden werden.

Klingenberg: Im Anschluss an das Bar Exam kam dann doch noch der Vorbereitungsdienst.

Prof. Dr. Ogorek: Ja, das stimmt. Zu Beginn des Referendariats fand ich es immer ein wenig komisch, dass ich in New York bereits als Rechtsanwalt zugelassen war und bis heute bin, während ich für die NRW-Justiz noch eine Art qualifizierter Auszubildender war. Trotzdem bin ich froh, das Referendariat in Deutschland absolviert zu haben. Die hiesige Juristenausbildung ist ohne Zweifel in vielen Punkten veraltet, und Außenstehende sind zu Recht beinahe betroffen, wenn man mit ihnen über die Modalitäten des Staatsexamens im Jahr 2021 spricht. Dennoch ist die Qualität deutscher Juristinnen und Juristen im internationalen Vergleich wirklich tadellos, davon bin ich fest überzeugt. Ich habe im Referendariat von meinen Ausbilderinnen und Ausbildern jedenfalls unglaublich viel gelernt und bin dafür bis heute dankbar.

Klingenberg: Sie sind dann als Rechtsassessor zurück an die Universität zu Köln gegangen, um zu habilitieren. Einmal abstrakter gefragt: Welche grundsätzlichen Voraussetzungen müssen für eine Habilitation vorliegen?

Prof. Dr. Ogorek: Die zentrale Voraussetzung ist und bleibt eine „qualifizierte Promotion“, also der Erwerb des Doktorgrads, bestenfalls mit der Note „summa cum laude“. Was die Examensnote anbelangt, muss man differenzieren. Es ist sicherlich so, dass Sie nicht nur deshalb später auf eine Professur berufen werden, weil Sie in den Staatsprüfungen gut abgeschnitten haben. Zur Wahrheit gehört aber auch: Kolleginnen und Kollegen können in der Regel mindestens zwei „vollbefriedigende“ Examina vorweisen. Wer deutlich darunter liegt, hat es bei Berufungsverfahren schwer. Als Universitäten sollten wir deshalb ehrlich mit den jungen Menschen sein, die von uns habiliert werden wollen, was die Chancen auf einen späteren Ruf anbelangt. In großen Sozietäten, aber auch in der Justiz oder der höheren Verwaltung sind die Berufsaussichten oft viel besser als an den Universitäten.

Klingenberg: Inwieweit unterscheidet sich eigentlich eine Habilitation von einer Dissertation, von dem Umfang abgesehen. Mussten Sie sich hier ähnlichen Problemen stellen wie bei der Dissertation – oder gibt es hier doch andere Herausforderungen?

Prof. Dr. Ogorek: Der zentrale Unterschied liegt meines Erachtens darin, dass Dissertationen von engerem thematischem Zuschnitt sind. Wer z.B. in seiner Promotionsschrift Befugnisse im Gefahrenabwehrrecht beleuchtet, die spezifisch bei Sportveranstaltungen Anwendung finden, oder sich im Aktienrecht zu einem bestimmten Rechtsinstitut wie dem „besonderen Vertreter“ oder dem Freigabeverfahren Gedanken macht, der oder die beackert ein thematisch eng abgegrenztes und oftmals nicht gänzlich unbestelltes Feld. Ein typisches Habilitationsthema wäre viel breiter angelegt, es geht nicht allein darum, den Forschungsstand einzuordnen und zu bündeln, sondern darum, einen eigenen und möglichst unkonventionellen Blick auf die Dinge zu entwickeln. Vielleicht kann man sagen: Es geht auch und vor allem um grundlegende Strukturen des Rechts, übergeordnete Prinzipien und die Dekonstruktion überkommener dogmatischer Modelle. Besonders toll ist es, wenn es der Autorin oder dem Autor gelingt, auch Erkenntnisse aus anderen Disziplinen einfließen zu lassen. Anders als bei der Dissertation geht es bei der Habilitation nicht darum, das wissenschaftliche Arbeiten unter der Aufsicht erfahrener Professorinnen und Professoren zu erlernen. So erklärt sich auch, dass es für die Habilitationsschrift keine Note mehr gibt.

Klingenberg: Ihr akademischer Weg, angefangen beim Jurastudium bis zur ersten Berufung zum Professor, hat rund 18 Jahre gedauert. Retrospektiv betrachtet, würden Sie diesen Weg erneut so einschlagen oder würden Sie sich eher für eine klassische juristische Karriere entscheiden – sei es in Deutschland oder in den Vereinigten Staaten?

Prof. Dr. Ogorek: In gewisser Weise zählt die Arbeit als Juraprofessor ja durchaus zu den klassischen juristischen Berufen, auch wenn sich nur wenige Absolventen für diesen Berufsweg entscheiden. Aber im Ernst: Ich hatte während meiner Ausbildung mehrfach die Chance, Tätigkeiten außerhalb der Wissenschaft wahrzunehmen. Während des Referendariats habe ich für eine Kölner Regionalkanzlei gearbeitet. Darüber hinaus war ich neben meiner Assistentenstelle an der Universität auch für mehrere Jahre als Teilzeitanwalt bei Linklaters tätig – und zwar nicht im Öffentlichen Recht, sondern im Bereich „Mainstream Corporate“. Wir haben uns mit klassischem Aktienrecht, also etwa den Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen beschäftigt. Einige dieser Themen sind mir später in der Wissenschaft wiederbegegnet.

Viele unterliegen dem Irrglauben, die Arbeit in einer Großkanzlei sei weniger anspruchsvoll als die Forschung an der Universität. Das kann ich aus meiner Erfahrung ausdrücklich nicht bestätigen. Sicherlich, einiges ist Alltagsgeschäft, aber ganz oft haben die Fragen, mit denen wir uns später wissenschaftlich befassen, ihren Ursprung in hart ausgefochtenen Auseinandersetzungen vor Gerichten und in Konferenzetagen. Um zu Ihrer Frage zurückzufinden: Ich habe mich nach diesen Erfahrungen bewusst für Forschung und Lehre entschieden – und bereue es überhaupt nicht.

Klingenberg: Sie sind nach einem kurzen Zwischenstopp an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main für drei Jahre immer wieder als Gastprofessor in Nanjing/China gewesen. Warum haben Sie sich dazu entschieden?

Prof. Dr. Ogorek: Die chinesische Kultur hat mich immer fasziniert, und als die Möglichkeit bestand, über den Deutschen Akademischen Austauschdienst am Deutsch-Chinesischen-Rechtsstaatsdialog mitzuwirken, habe ich die Chance gerne genutzt. Ich habe in Nanjing vor allem Vorlesungen zum Staatsorganisationsrecht und zu den Grundrechten gehalten, mit für mich erstaunlich gutem Feedback der einheimischen Studierenden. Die Hochschule hat mich dann gefragt, ob ich nicht Gastprofessor werden möchte, und ich habe zugesagt.
Damals war China noch vergleichsweise offen, man konnte jedenfalls als Ausländer in den Vorlesungen im Grunde lehren und diskutieren wie in Deutschland. Als ich 2015 zum letzten Mal in Nanjing war, saß dagegen erstmals ausdrücklich ein Repräsentant aus Beijing im Hörsaal. Inzwischen hat sich die Lage vermutlich weiter verändert.

Klingenberg: Zurück nach Deutschland. Sie haben 2013 einen Ruf an die EBS angenommen und wurden Professor. Welche grundsätzlichen Voraussetzungen müssen dafür überhaupt vorliegen?

Prof. Dr. Ogorek: Entscheidend ist die venia legendi für das entsprechende Rechtsgebiet, die zum Abschluss des Habilitationsverfahrens verliehen wird. Letztlich spielen im Berufungsverfahren mehrere Aspekte eine Rolle. In Deutschland dürfte das veröffentlichte Schrifttum noch immer an erster Stelle stehen, nicht ganz ohne Grund heißt es: „Publish or perish“. Immer größere Bedeutung gewinnen allerdings Evaluationen zu den angebotenen Lehrveranstaltungen, etwa im Rahmen von Juniorprofessuren. Wer mit seinen Unterlagen nicht im Rahmen einer Vorauswahl aus dem Verfahren fällt, wird zu einem Berufungsvortrag eingeladen, an den sich persönliche Gespräche anschließen. An der EBS, die als Privatuniversität BWL und Jura in der Ausbildung verknüpft, war meine Tätigkeit als Wirtschaftsanwalt natürlich ein Bonus.

Klingenberg: Wie sieht der typische Tagesablauf eines Professors aus?

Prof. Dr. Ogorek: Mein Arbeitstag beginnt um neun Uhr und endet häufig sehr spät, nämlich nach 22 Uhr. Dazwischen habe ich als Professor abseits der fixen Vorlesungstermine eine enorme zeitliche Flexibilität. Ich verwende einen Großteil meiner Arbeitszeit darauf, wissenschaftliche und tagespolitische Texte zu lesen. Natürlich schreibe ich auch viel selbst – etwa Aufsätze, Kommentierungen oder Rechtsgutachten – und überarbeite die von meinem Team vorbereiteten Unterlagen. Weitere Zeit nehmen die Aufgaben im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung ein, hinzu kommen zahlreiche Anfragen von Studierenden, den Medien und aus dem parlamentarischen Raum. Ich halte es für wichtig, dass mit viel Steuergeld finanzierte wissenschaftliche Einrichtungen, wie mein universitäres Institut, mit ihrer Expertise im Rahmen von öffentlichen Debatten Stellung beziehen.

So haben wir in Medien etwa wiederholt zur Frage der Sicherheit der Briefwahl Stellung genommen. Im Corona-bedingten „Lockdown“ des vergangenen Winters gab es zahlreiche Anfragen von Journalistinnen und Journalisten, die sich in ausführlichen Hintergrundgesprächen die Rechtslage erläutern lassen wollten. Besondere Freude macht mir natürlich der Austausch mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ob vor Ort oder telefonisch. Schlussendlich kommen viele kleine Dinge hinzu, etwa Veranstaltungen zu wissenschaftlichen Fragen oder der Austausch mit meinen Stipendiatengruppen. Vermutlich klingt es wie ein Klischee, weil es inzwischen fast jeder Berufsstand für sich reklamiert: Was ich am Professorenberuf so schätze, sind die große Abwechslung, die fast grenzenlose Freiheit, mit der ein hohes Maß an Verantwortung einhergeht, sowie das unbezahlbare Privileg, sich mit den Themen beschäftigen zu dürfen, die mich wirklich interessieren.

Klingenberg: In Ihrer akademischen Karriere waren Sie zunächst Dekan, später Universitätspräsident und heute Institutsdirektor. Wo liegen die konkreten Unterschiede?

Prof. Dr. Ogorek: Wenn man die Verantwortung für eine ganze Universität trägt, muss man außerordentlich viel kommunizieren und moderieren. Sie bekommen viele Hundert Mails pro Woche, und Ihr Handy klingelt eigentlich den ganzen Tag. Sicherlich war das ein Stück weit den spezifischen Strukturen an der EBS geschuldet – denn an einer privaten Universität zahlen die Studierenden viel Geld und erwarten von Verwaltung wie Lehrenden zu Recht eine entsprechende Agilität. Es geht, auch als Dekan, darum, die Interessen ganz verschiedener Statusgruppen auszugleichen. Professorinnen und Professoren, Mittelbau, Verwaltung, Alumni und externe Unternehmenspartner – viele Parteien müssen „eingefangen“ und ihre Anliegen in Einklang gebracht werden. Ein Beweggrund für den Wechsel nach Köln war in meinem Fall, dass ich mich wieder auf die eigentliche professorale Tätigkeit konzentrieren wollte. Entscheidend kam hinzu, dass ich meine inzwischen vierjährige Tochter nicht mehr nur am Wochenende aufwachsen sehen wollte.

Klingenberg: Wie verschaffen Sie sich eine gesunde Work-Life-Balance?

Prof. Dr. Ogorek: Es ist wichtig, auf seine Gesundheit zu achten, das gilt auch für Hochschullehrer. Dass ich trotz der hohen Arbeitsbelastung viel Freude an meiner Arbeit habe, mag damit zusammenhängen, dass ich alle Themen selbst setzen darf. Ich habe keinen Chef, der mich anschreit, mir unsinnige Aufgaben gibt oder willkürliche Deadlines setzt. Das ist in einer komplexen Arbeitswelt, in der immer noch unendlich viel Mikromanagement betrieben wird, wirklich wertvoll. Und wenn meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter doch einmal auf Fristen drängen, dann nur für solche Dinge, die ich selbst angestoßen und gewollt habe.

Um Ihre eigentliche Frage zu beantworten: Wenn ich mich nicht mit Jura beschäftige, verbringe ich möglichst viel Zeit mit meiner Frau und unserer Tochter, außerdem gehe ich oft spazieren. Wobei ich diese Zeit bevorzugt dazu nutze, ausstehende Anrufe zu erledigen und Studierenden Fragen zu beantworten oder mit meinem Team Planungen vorzunehmen. Und ich bin ein echter Musikfan, insbesondere was klassische Musik anbelangt. Ich glaube, ich habe zu Hause zwanzig verschiedene Interpretationen der Goldberg-Variationen auf CD.

Klingenberg: Dieses Interview abschließend, möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern noch etwas auf den Weg geben?

Prof. Dr. Ogorek: Es dürfte den meisten Jurastudierenden nicht unbekannt sein, dass man immer wieder Selbstzweifel hegt. Kurioserweise werden die Ängste nicht selten umso größter, je intensiver die Auseinandersetzung mit dem Fach ausfällt. Die Kernbotschaft an junge Menschen muss daher sein: Lassen Sie sich, lasst Euch nicht entmutigen! Früher habe ich mich immer gefragt, ob ich jemals so viel wissen kann wie all jene, die vorne im Hörsaal stehen oder auf der Richterbank sitzen. Heute weiß ich: Diese Menschen waren auch nicht klüger, sie hatten zu ihrer Zeit dieselben Zweifel und waren mit ganz ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Meine Generation ist älter, nicht besser als die Studierenden. Und das wird irgendwann auch für diejenige gelten, die sich aktuell im Studium oder Referendariat befinden. Junge Menschen sollten ihre Ausbilder respektieren, sich aber von Ihnen nicht einschüchtern oder von der Verwirklichung ihrer Träume abhalten lassen. Unsere Aufgabe ist es, die Studierenden bei ihrem persönlichen Fortkommen zu unterstützen. Es gibt für einen Hochschullehrer nichts Schöneres, als dass unsere Studierenden es am Ende vielleicht besser machen als wir selbst.

Vielen Dank für das Interview.
 

Medium: JurCase
Datum: 08.12.2021
Autor: Sebastian Klingenberg