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"Vertreibungspläne: 'Nichts mehr undenkbar'"

Die Fantasien über Zwangsabschiebungen von Menschen mit Migrationsgeschichte – mit oder ohne deutschen Pass – sowie Aktive in der Flüchtlingshilfe, die laut Recherchekollektiv Correctiv auf einem geheimen Treffen zwischen AfD-Politikern, bekannten Rechtsextremisten sowie rechten Unternehmern und Akademikern besprochen wurden, schockiert viele Menschen in NRW.

 

Markus Ogorek ist Leiter des Instituts für Öffentliches Recht an der Uni Köln. Er bewertet die Abschiebe-Ideen als klar verfassungswidrig. Die Vorstellung, dass man innerhalb der deutschen Staatsangehörigen unterscheiden könne, verstoße mit Blick auf die Menschenwürde gegen die Verfassung, erklärt er. „Artikel 1 und das ganze Grundgesetz sind ein Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Rassenwahn.“ Das Grundgesetz kenne keinen nach ethnischen Kategorien ausgerichteten Volksbegriff. „Entscheidend ist die Staatsangehörigkeit. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist Deutscher“, betont Ogorek. Die Verfassung differenziere nicht zwischen Deutschen erster und zweiter Klasse. „Die Vorstellung, dass es sogenannte ‚Passdeutsche‘ gibt, ist verfassungsfeindlich. Wer meint, Bürger mit Migrationshintergrund durch Druck vertreiben zu können, setzt sich zum Grundgesetz in Widerspruch.“

Wir haben Bürgerinnen und Bürger in der Region, die von diesen verfassungsfeindlichen Plänen betroffen wären, gefragt, was die offen rechtsextremen Vorstellungen bei ihnen auslösen.

Naweed Osman, 29, Psychologe, Düsseldorf: 

„Solche Berichte machen mir Sorgen. Vor allem, weil viele, die in zweiter Generation hier leben, sowieso Identitätsprobleme haben. Ich bin in Afghanistan geboren, im ersten Lebensjahr aber schon mit meinen Eltern nach Deutschland gekommen und habe einen deutschen Pass. In Afghanistan würde man mich nicht als Afghanen sehen und viele Deutsche sehen mich nicht als Deutschen. Das Gefühl wird wohl ein Leben lang bleiben. Wenn jetzt gefordert wird, Menschen trotz deutschem Pass abzuschieben, dann fühlt es sich wieder so an, als würde ich nicht dazugehören. In der Gesellschaft spüre ich aber einen Widerstand. Bei einer AfD-Demo letztes Jahr waren mehr Leute auf der Gegendemo als bei der AfD. Das alltägliche Leben in der Großstadt ist auch ganz gut. Aber man merkt schon, dass seit einiger Zeit mehr Leute nationalistischer denken, dass es um Abschottung geht und um Angst vor Fremden. Wenn die AfD mal in einer Bundesregierung wäre, dann würde mich das beunruhigen. Nicht nur wegen neu ankommender Flüchtlinge, sondern auch, weil ich um meine eigene Haut fürchten müsste.“

Gisela B., 73, ehrenamtliche Flüchtlingshelferin, Rees:
„Heute habe ich auch Unterricht gegeben und als ich den Geflüchteten von dem AfD-Treffen erzählt habe, waren die sehr schockiert. Auch mich hat diese Nachricht einerseits geschockt, andererseits passt es aber auch ins Bild der AfD. Die wollen die Demokratie abschaffen. Und von den Ideen, die die haben, wäre auch ich als Flüchtlingshelferin betroffen. Unsere Politiker sind lieb und nett zu allen, außer Geflüchteten. Mit jemandem aus der AfD zu sprechen, halte ich spätestens jetzt für falsch und befürworte ein Parteiverbot. Auch wenn es schwer ist, sollte das Verfahren eingeleitet werden. Man muss für Demokratie kämpfen.“

Rabia Öztürk, 31, Grundschullehrkraft, Essen:
„Dass Mitglieder einer Partei, die vor einigen Jahren noch belächelt wurde, jetzt konkrete, ernste Pläne von einem solchen Ausmaß haben und mit diesem Gedankengut viele mit ins Boot holt, löst bei mir wirkliche Angst aus. Denn man sieht auch, wie die Menschen immer mehr abstumpfen, was rassistische Ereignisse im Alltag oder strukturellen Rassismus angeht. Ich fühle mich als Mensch alleingelassen und habe das Gefühl, dass andere, nicht direkt Betroffene, nicht zu hundert Prozent nachvollziehen können, wie das ist. Für hier Geborene, die trotzdem immer den Stempel Person mit Migrationshintergrund haben, wird sich das Gefühl, nicht akzeptiert zu werden, einfach nicht verändern.“

Pero D., 33, Vorstandsreferent, Düsseldorf:
„Ich finde es entsetzlich, das zu hören. Einerseits hat es mich wenig überrascht, was da im Hintergrund besprochen wurde. Dass da auch Leute beteiligt sind, die Macht und Geld haben. Auf der anderen Seite reiht sich das ein in viele andere Geschehnisse der vergangenen Jahre. Ich habe eine doppelte Staatsangehörigkeit und mich immer sicher in Deutschland gefühlt. Ich habe viel mit meinem Vater darüber gestritten, ob wir hier zu jeder Zeit sicher sind. Solche Enthüllungen führen schon dazu, dass ich Angst habe um mich und meine Familie. Wir sind vielleicht nicht die ersten, die von einer Ausweisung betroffen wären. Aber es ist nichts mehr undenkbar für mich. Auch wenn ich eigentlich noch fest daran glaube, dass unsere Demokratie stabil und wehrhaft ist.“

Judy Bailey und Patrick Depuhl, 55 und 53, Musiker und aktiv in der Flüchtlingshilfe, Alpen:
„Als die Nachrichten gestern liefen, stand einer unserer jugendlichen Söhne dabei und kommentierte fragend: ,Dann kann Papa bleiben und wir müssen gehen?’ Die Fantasien der AfD und der Rechten sowieso sind nicht neu. Und gleichzeitig sind sie immer wieder ein Schlag ins Gesicht derer, die täglich und alltäglich gute Nachbarschaft leben, freundschaftlich mit diesem Land im Kleinen und Großen Frieden stiften und sich von Mensch zu Mensch begegnen. Wer so lebt, als ob eine mehr deutsch ist als eine andere, als ob das eine Leben mehr wert ist als ein anderes, der sät hier Angst und dort Hass und höhlt unser Land und ja, auch unsere Werte von innen aus.“

Siavash K., 42, Busfahrer, Neukirchen- Vluyn:
„Der Bericht weckt bei mir Erinnerungen an meine Abschiebungserfahrung. Am 2. Juni 2021 wurden mein Sohn und ich plötzlich von der Ausländerbehörde geweckt, an den Frankfurter Flughafen gefahren und in eine Maschine gesetzt. Ich hatte zuvor einen Abschiebebescheid in den Iran erhalten, aber mein Anwalt hatte gesagt, dass wir als Familie nicht abgeschoben würden. Die Abschiebung wurde unterbrochen, weil ich ohne meine Ex- Frau ausgeflogen werden sollte. Das habe ich dem Piloten erzählt. Die Polizei hat meinen Sohn und mich dann wieder rausgeholt. Dreizehn Monate haben wir in der Angst gelebt, wieder geholt zu werden. Dank der Unterstützung der Direkten Flüchtlingshilfe Neukirchen-Vluyn haben wir durch die Empfehlung der Härtefallkommission eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Wo wären wir ohne diese Hilfe jetzt? Diese schlimme Zeit in Schockstarre werde ich nie vergessen und ich habe Angst, dass so etwas wieder passieren könnte.“
 

Medium: Neue Ruhr Zeitung
Datum: 12.01.2024
Autoren: Madeleine Hesse und Tobias Kaluza