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Verbot von Thunberg-Besuch: "Gefahren für die öffentliche Sicherheit müssen nicht Gewalttaten sein"

Die Polizei löste ein Protestcamp in Dortmund auf, weil sie eine Gefahr durch den Besuch Greta Thunbergs sah. Prof. Dr. Markus Ogorek ordnet die Entscheidung ein.

 

Eigentlich hätte Greta Thunberg in einem propalästinensischen Protestcamp am Dienstagabend in Dortmund sprechen sollen. Die Polizei untersagte die Versammlung unter anderem mit Blick auf die Prominenz Thunbergs und die damit verbundene erwartete Teilnehmerzahl. In diesem Kontext und generell sei die Vorlaufzeit von sechs Stunden, mit der die Versammlungsleiterin die Teilnahme von Greta Thunberg angekündigt hatte, zu gering gewesen. Eine ausreichende Vorbereitung zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit sei aus Sicht der Polizei nicht mehr möglich gewesen.

„Nach den jüngsten Ausschreitungen auf propalästinensischen Demonstrationen mit ihrer Teilnahme, war mit einer Emotionalisierung und Aufwiegelung des von Frau Thunberg angezogenen Personenkreises zu rechnen", begründete die Polizei außerdem die Auflösung des Protestcamps. „Es bestand die konkrete Gefalu, dass antisemitische Straftaten begangen werden", sagte Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange. Teilnehmer des Camps wollen die Räumung des Camps anfechten.

Das Recht auf Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut in der deutschen Demokratie. Reichen die Begründungen der Polizei für eine Auflösung auf? Dazu haben wir mit Prof. Dr. Markus Ogorek gesprochen. Der Rechtswissenschaftler ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungs-lehre an der Universität zu Köln.

Herr Ogorek, reicht die Unterschreitung der Anmeldepflicht bei einer Versammlung allein aus, um diese zu verbieten?

Zwar haben Versammlungsleiter grundsätzlich die Pflicht, ihre Versammlung rechtzeitig bei den Behörden anzumelden (§ 14 VersG NRW), dennoch kann ein Versäumnis allein nach der ganz überwiegenden Auffassung innerhalb der Rechtswissenschaften weder ein Verbot noch eine Auflösung rechtfertigen. Es müssen vielmehr weitere Anhaltspunkte hinzutreten, die eine konkrete Gefahr durch die Versammlung begründen.

Welche Rolle spielt die Vorbereitungszeit der Polizei bei Verboten?

Grundsätzlich kann sich die Polizei nicht auf eigene organisatorische Nöte berufen, wenn es um die Ausübung von Grundrechten geht, sondern hat die notwendigen Ressourcen bereitzustellen. Die gesetzliche Anmeldepflicht dient im konkreten Fall des Versammlungsrechts aber gerade dazu, der Polizei die Gelegenheit hierfür einzuräumen. Kann sie daher nachweislich im konkreten Fall aufgrund der verspäteten Mitteilung keine hinreichenden Kräfte zur Sicherung der Versammlung mehr bereitstellen und drohen dadurch wiederum konkrete Gefahren, macht dies die Zulässigkeit eines Verbots wahrscheinlicher. Wie viele Beamte benötigt werden, hängt maßgeblich davon ab, für wie groß die Polizei auf Grundlage valider Tatsachen die Gefährlichkeit der Versammlung einschätzt.

Die Polizei ging von einem möglichen Gefährdungsszenario durch die Anwesenheit Thunbergs aus. Ist das als Verbotsgrund legitim?

Hier gilt wiederum: Sicherlich ist nicht allein die Anwesenheit von Frau Thunberg ein Grund für ein Verbot der gesamten Versammlung, zumal der Polizei auch mildere Optionen – etwa der Ausschluss nur von Frau Thunberg – zur Verfügung stehen. Eine Einreisesperre, wie sie in anderen Fällen propalästinensischer Aktivisten zum Einsatz kam, kam im vorliegenden Fall indes nicht in Betracht, da die Aktivistin aufgrund der unterlassenen Anmeldung bereits ohne Kenntnis der NRW-Polizei einreisen konnte. Ist auch ein Versammlungsausschluss im Einzelfall nicht möglich, kann eine Frau Thunberg konkret nachweisbare, insbesondere auf frühere Verhaltensweisen bei Versammlungen basierende Gefährlichkeit in die Gesamtprognose mit eingestellt werden. Gefahren für die öffentliche Sicherheit müssen nicht zwingend aus dem Bereich von Gewalttaten stammen, sondern können etwa auch das Verbreiten verbotener Parolen umfassen.
 

Medium: Ruhr Nachrichten
Datum: 10.10.2024
Autor: Lukas Wittland (Interview)