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„Unsere Studenten sind unsere Kunden“

Der frühere Präsident der Privathochschule EBS lehrt jetzt an der Universität Köln. Mit seiner Erfahrung will Markus Ogorek dem staatlichen Studienbetrieb mehr Schwung verleihen.

 

Wer an einer privaten Uni wie der EBS das Fach Jura studiert, gehört zu einem kleinen, elitären Kreis von aktuell rund 360 Kommilitonen – und zahlt eine Menge Geld dafür. An einer der größten deutschen Jura- Fakultäten, in Köln, sind zurzeit rund 5.300 Studenten eingeschrieben. Professoren wechseln zwischen den beiden Welten, lehren heute hier und morgen dort. Der ehemalige EBS-Universitätspräsident Markus Ogorek will nun als Institutsdirektor für Öffentliches Recht in Köln die Vorteile der privaten auf die staatliche Uni übertragen. Wie das gelingen soll, hat er azur verraten.
 

azur: Als wir uns das erste Mal trafen, waren Sie noch Universitätspräsident der EBS und ausgesprochener Fan der privaten Hochschule. Nun sind sie in einem staatlichen Dickschiff gelandet. Woher der Sinneswandel?

Markus Ogorek: Ich bin immer noch ein großer Fan der EBS! Dass ich zurück ins Rheinland gekommen bin, hatte zuallererst familiäre Gründe: Ich wollte unsere kleine Tochter endlich wieder jeden Tag sehen. Außerdem finde ich es toll, dass ich in Köln viele junge Menschen beim sozialen Aufstieg unterstützen kann. Es kann doch nichts Schöneres für Hochschullehrer geben als zu sehen, dass die Menschen, die wir ausbilden, vielleicht weiter kommen als wir selbst. Das an dem Ort tun zu können, an dem ich selbst promoviert habe und habilitiert wurde, ist natürlich besonders schön.

Unterscheiden sich die Studenten, die an privaten Universitäten studieren, von den Studenten an den anderen Unis?

Ja, zum Teil sogar sehr. Viele EBSJurastudenten haben früh ein konkretes Ziel vor Augen, meistens die Großkanzlei. Ein Schritt in Richtung dieses Ziels sind das verpflichtende Auslandsstudium, die zahlreichen Zusatzqualifikationen sowie die guten Unternehmens- und Kanzleikontakte. Mit dem EBS-Studium entscheidet sich der Student für ein konkretes ‚Produkt‘ und hat dementsprechend berechtigte Erwartungen.

Und bekommt dafür Ihre Handy-Nummer mit dem Hinweis, Sie immer anrufen zu dürfen.

Ja, aber das mache ich in Köln genauso, für mich ist das Ausdruck von Nähe und Zuwendung. Und dann kann es auch vorkommen, dass ich spazieren bin, mein Handy klingelt – und der Student am anderen Ende der Leitung ganz verdutzt ist, wirklich den Professor am Apparat zu haben. Ich sage dann: ‚Wenn es Sie nicht stört, mich irgendwo auf freiem Feld zu sprechen, dann stört es mich auch nicht.‘ Ich bin überzeugt, dass wir in Köln denselben Anspruch haben müssen wie an der EBS: Wir machen Uni so, wie wir sie uns selbst gewünscht haben.

Ist das überhaupt machbar?

Mein Team und ich haben gerade zu Beginn wirklich oft bis nachts gearbeitet. Aber wenn ich anbiete, dass die Studenten nach den Vorlesungen per E-Mail ihre Fragen stellen dürfen, dann muss ich darauf auch zeitnah antworten. Mit 500 Vorlesungsteilnehmern gehen hier in Köln natürlich ungleich mehr Anfragen ein als bei 50 Personen an der EBS.

Wie reagieren die Studenten darauf?

Sehr positiv, viele sind natürlich dankbar für die Unterstützung. Mein Eindruck ist: Das Wissensniveau in den Fragen unserer Kölner Studenten ist nicht unbedingt schlechter als an der EBS. Ich würde mir allerdings wünschen, dass viele Studenten an staatlichen Universitäten noch mehr Eigeninitiative zeigen würden. Wer ein Prädikatsexamen schafft, sollte doch auf den Gedanken kommen, ob er nicht promovieren oder ins Ausland gehen will. Die EBSler sind stärker intrinsisch motiviert, sie packen Gelegenheiten beim Schopfe. Die Kölner muss man zuweilen stärker an Themen wie Berufspraxis und Karriere heranführen – auch daran, dass sie zu Recht an sich glauben können.

Die EBS-Studenten zahlen mit über 60.000 Euro Studiengebühr eine Menge Geld.

Deswegen findet man Studenten, die irgendwie in das Jurastudium hineingerutscht sind, an der EBS so gut wie gar nicht. Dort haben die Studenten eine sehr bewusste Entscheidung getroffen. Die Eltern nehmen sich häufig auch ein größeres Mitspracherecht heraus, sie zahlen schließlich in der Regel die Studiengebühren. An einer großen Uni findet man auch Studenten, die bis zum vierten oder fünften Semester unentschlossen sind und mit angezogener Handbremse studieren.

Vielleicht auch deswegen, weil sie mit 500 Kommilitonen in einem Hörsaal sitzen?

Wir Lehrenden können weniger auf Diskurs setzen als in einer geradezu familiären Einrichtung wie der EBS. Doch obwohl die Gruppen groß sind, kann man auch in Köln Nähe herstellen. Das haben die Online- Semester bewiesen. Weil ich meine Vorlesungen aufzeichnen wollte, konnte ich die Studenten nicht sehen. Um das auszugleichen, habe ich viele mehrstündige Zoom-Meetings angeboten, in denen es nur darum ging, mir aktiv Fragen zu stellen. Auch halten wir eine interne Plattform vor, auf der die Studenten alle Vorlesungsmaterialien und -videos herunterladen können. Hinzu kommt ein Forum für Lernfragen sowie alternativ das besagte E-Mail- Postfach. Und natürlich: meine Telefonnummer.

Die EBS besteht neben der Law auch aus einer Business School. Ergeben sich dadurch Vorteile für die Jurastudenten?

Die Studenten der EBS Business School sind der Berufswelt zugewandter als die Juristen. Die jungen Leute haben dort schon im Studium teils sehr hochkarätige Unternehmenskontakte und können beeindruckende Praktika vorweisen. Die Juristen haben sich etwas mehr das klassische Universitätsideal auf die Fahnen geschrieben, sie lernen aber – auch wenn sie vielleicht zu stolz sind, um das zuzugeben – viel vom Verhandlungsgeschick und dem sicheren Auftreten ihrer BWL-Kommilitonen. Hier in Köln sitzen Juristen und BWLer zwar am selben Standort, es gibt aber kaum inhaltlichen Austausch. Daran müssen wir nach der Pandemie arbeiten! Denn zu unserem ‚Produkt‘ – dem gut ausgebildeten Kölner Juristen – gehört auch die betriebswirtschaftliche Sicht auf die Dinge. Sonst sind die Studenten nach ihrem Examen zwar perfekte Subsumtionsautomaten und kennen alle möglichen Meinungsstreitigkeiten, können aber keine Bilanz lesen. Oder wissen nicht, dass das formaljuristisch sauberste Ergebnis nicht immer auch die unternehmerisch beste Lösung ist. Viele Kanzleien und Unternehmen beklagen das zu Recht.

Verfügen EBS-Studenten über die besseren Soft-Skills?

Ja, im Durchschnitt wahrscheinlich schon, obwohl die staatlichen Unis hier keineswegs untätig sind. Aber der typische EBS-Student hat eben bereits im Elternhaus viele Dinge mitbekommen. Wie schreibe ich eine Bewerbung? Wie trete ich selbstbewusst auf, ohne arrogant zu wirken? Wie läuft Smalltalk ab? Wie kleide ich mich in einer bestimmten Situation? Hinzu kommen die frühen und zahlreichen Praxiskontakte. Kurzum: Ob der EBS-Student die besseren Arbeitsergebnisse in einer Großkanzlei bringt – das kommt sicher auf den Einzelfall an. Ob er weiß, wie ein solcher Laden funktioniert: ziemlich sicher.

Kanzleien kritisieren häufig, dass Absolventen der privaten Einrichtungen solche Fähigkeiten fehlten, die man eher erwirbt, wenn man sich in so einem großen Tanker behaupten muss.

Manch einer mag sich in einer falschen Sicherheit wähnen, wenn er immer alles mundfertig serviert bekommt. Wer sich an einer großen Uni durchgeschlagen hat, wird vermutlich leichter damit zurechtkommen, wenn die Arbeitsbedingungen ungünstig sind oder wenn die Dinge trotz guter Eigenleistung nicht perfekt funktionieren. Ich bin immer wieder sehr positiv überrascht, wie zurückhaltend und höflich meine Kölner Studenten auftreten. Für Unterstützung sind sie wirklich dankbar, was mir viel Freude macht. Auf der anderen Seite: Es kann doch nicht als besonderer Vorteil unserer Ausbildung gelten, dass man es besonders schwer hatte. Unser Anspruch muss sein, alle Studenten so weit zu bringen, wie sie aufgrund ihrer Begabung kommen können.

Ist die Flexibilität durch Corona stark gestiegen?

Ja, und das ist toll. Denken Sie nur an die Vorlesungsaufzeichnungen: Der Student kann den Dozenten gewissermaßen mit ins Café nehmen – wenn sie denn wieder geöffnet haben –, oder zum Joggen. Wir Hochschullehrer verlieren bisweilen aus dem Blick, dass unsere Studenten eine ganz andere Lebenswirklichkeit haben als wir selbst. Sie leben zum Teil in WGs, in denen es immer laut ist, oder müssen einen veralteten Computer benutzen, während wir zu Hause ein schönes Arbeitszimmer und jede Menge Literatur haben. Die Mitschnitte und das Beantworten von Nachfragen halte ich daher für zentral. Unser Auftrag zur akademischen Lehre verpflichtet uns gegenüber den Studierenden auch zu Professionalität und Service. Keine Uni will schließlich an die Deutsche Bahn in alten Tagen erinnern, als Passagiere noch als Untertanen galten. Richtig ist: Unsere Studenten sind unsere Kunden! Den Begriff nutze ich hier auch intern, das muss unser Anspruch sein.

Wie reagieren andere darauf?

Das müssen Sie besser die anderen fragen. Ich kann nur für mich und mein wirklich engagiertes Institutsteam sprechen: Wir begleiten junge Menschen in einem ganz entscheidenden Ausbildungsabschnitt und haben eine ganz große Verantwortung. Vielleicht können wir ihr nie ganz gerecht werden, weil es einfach zu viele Studenten sind, aber wir können unser Bestes geben.

Inwiefern sind Ihre Vorlesungen anders?

Ich glaube, dass die Vorlesung den Studenten helfen muss, sich zu entwickeln. Ich schäme mich nicht, bei Bedarf auch einfach Mainstream- Jura zu machen – im Gegenteil.

Das heißt?

Wir haben auch im Hörsaal einen hohen wissenschaftlichen Anspruch, aber: Wir bilden nicht zuletzt für das Referendariat aus. Deshalb sollte im Zentrum stehen, was Rechtsprechung und herrschende Meinung vertreten. Es ist doch bisweilen so: Studenten kennen zum Erlaubnistatbestandsirrtum zig Theorien, von denen einige seit Ewigkeiten nicht mehr vertreten werden. Sie haben aber nie reflektiert, was der BGH heute zu dem Thema sagt. Damit ist keinem geholfen. Zudem sollten wir noch mehr über den Kontext sprechen, in dem Recht entsteht und angewendet wird. „Ist das jetzt eigentlich politisch, ist es ethisch eine gute Entscheidung?“, habe ich neulich zum Thema Suizidhilfe gefragt. Ich will, dass nicht nur die Regelanwendung einstudiert wird, sondern dass die jungen Menschen intensiv über die dahinterstehenden Policy-Erwägungen nachdenken. Wichtig ist, niemanden in eine bestimmte Richtung zu drängen, es geht um einen Raum zum Entwickeln eigener Gedanken. In meiner eigenen Ausbildung habe ich das viel zu selten, in wünschenswertem Ausmaß eigentlich nur in Berkeley erlebt.

An der EBS machen mehr als 60 Prozent der Leute ein Prädikatsexamen. Woran liegt das?

Die Quote ist irre, oder? Auch wenn an der EBS das Umfeld besonders günstig ist, liegt es vermutlich nicht nur am Service der Einrichtung. Vielmehr sind es die kleinen Gruppen selbst, in denen ein hoher Binnendruck herrscht. Wenn ich als Student die Leistungen fast aller Kommilitonen kenne, spornt das an. An der EBS dachte ich manchmal: Du musst die jungen Leute vor sich selbst schützen. Die Law School lässt wenig Pause, ähnelt ein Stück weit einem Internat. Daher ist die Verbundenheit untereinander sehr stark.

Sind die Alumni-Netzwerke bei den privaten Unis deshalb ein anderes Kaliber?

Die Vernetzung der Studenten untereinander ist auf einem ‚großen Tanker‘ natürlich viel schwerer. Schauen Sie auf die EBS: Dort sitzen die Studenten für mehrere Jahre zwischen den Weinbergen im Nirgendwo und schmieden gemeinsam Pläne. Das schweißt unheimlich zusammen und zahlt sich neben dem Entstehen von Freundschaften z.B. im Erfahrungsaustausch ganz handfest aus. Wenn Sie einen Blick in die einschlägigen Rankings werfen, zeigt sich aber eine sehr hohe Akzeptanz im Arbeitsmarkt auch für Kölner Absolventen – trotz des Fehlens ähnlich starker Alumni-Vernetzung.
 

Medium: Azur (Juve)
Datum: Heft 1/21
Autorin: Eva Flick