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Tedi-Brand: Warum erst jetzt die Fahndung?

Überwachungskameras zeigen, wie ein Mädchen das Feuer in dem Wülfeler Markt legt. Aber erst nach 694 Tagen veröffentlichten die Ermittler Bilder der Minderjährigen.

 

Hannover. Plötzlich ging es schnell: Fast zwei Jahre suchte die Polizei vergeblich nach den Tätern, die im Januar 2023 einen Großbrand im tedi-Markt in Hannover-Wülfel gelegt hatten. Nach 694 Tagen veröffentlichten die Ermittler dann Bilder der minderjährigen Tatverdächtigen und einer erwachsenen Begleitperson. Und nicht einmal einen Tag später, am Dienstag, 26. November, konnte das Mädchen ausfindig gemacht werden. Aber warum wartete die Polizei so lange, bis sie mit den Fotos aus den Überwachungskameras des tedi-Marktes an die Öffentlichkeit ging? immerhin geht es um schwere Brandstiftung mit einem Schaden von rund 2,5 Millionen Euro. Laut Polizei zeigten die Aufnahmen, wie das Mädchen das Feuer gelegt hat.

Die Polizeidirektion Hannover hält sich zu Details bedeckt und verweist auf die laufenden Ermittlungen. Patrick Kliesch, Sprecher der Polizeidirektion Hannover, sagt: „Für minderjährige Täter gelten strengere Regelungen zum Schutz des Kindeswohls. Eine Öffentlichkeitsfahndung darf nur durchgeführt werden, wenn ein besonderes öffentliches Interesse besteht und die Maßnahme verhältnismäßig ist.“ Erst „nach Ausschöpfung aller polizeilichen Ermittlungsansätze“ regte die Polizei mit Erfolg eine Veröffentlichung der Bilder bei der Staatsanwaltschaft Hannover an. „Die Öffentlichkeitsfahndung ist immer die Ultima Ratio“, sagt Kathrin Söfker, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hannover. „Und hier hatten wir die Besonderheit, dass es sich um eine sehr junge Tatverdächtige handelte.“

Dass es mehrere Monate dauert, bis eine Öffentlichkeitsfahndung angeordnet wird, sei keine Seltenheit, sagt Markus Ogorek, Jurist und Experte für Polizeirecht. „Das liegt vor allem daran, dass mehrere Bedingungen erfüllt sein müssen, bevor man einen so schwerwiegenden Grundrechtseingriff vornimmt.“ Es müsse sich zunächst um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handeln. „Ob das der Fall ist, stellt sich oft erst während der Ermittlungen heraus. Da können schon mal Wochen und Monate vergehen.“ Das Problem: Eine legale Definition für eine Straftat von erheblicher Bedeutung gibt es nicht. „Das ist jedes mal eine einzelfallbezogene Beurteilung“, sagt Ogorek. Selbst einleiten kann die Polizei eine Öffentlichkeitsfahndung grundsätzlich nicht. Das geschieht nur auf Anordnung der Staatsanwaltschaft oder des Richters. „Und vorher muss die Polizei alle anderen Maßnahmen zur Ermittlung eines tatverdächtigen ausschöpfen“, erklärt der Experte. Das heißt konkret: Zeugenbefragungen, Auswertung von spuren, Sichtung von Kameraaufnahmen sowie eine interne Fahndung.

Dass das zwei Jahre dauert, wie beim tedi-Großbrand, sei nicht der Standard, sagt Ogorek. „eine schwere Brandstiftung ist in der Regel schon eine Straftat von erheblicher Bedeutung. Da geht es auch um die Gemeingefährlichkeit der Tat.“ Allein die Zeitdauer sei kein Anhaltspunkt „für eine Pflichtwidrigkeit der Polizei“. Im Einzelfall könne die Arbeitslast der Polizeibeamten eine Rolle spielen. „Aber es ist auch im Gesetz angelegt durch die hohen Voraussetzungen.“ Mögliche Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht für Betroffene einer Öffentlichkeitsfahndung würden in Deutschland besonders stark berücksichtigt. „Bei einer minderjährigen Täterin sind die Behörden zusätzlich sensibilisiert“, betont Ogorek. Ein milderes Mittel sei etwa eine Fahndung, die sich nicht an die Öffentlichkeit, sondern nur an Sicherheitsbehörden richtet.

Auf den Bildern der Überwachungskameras waren das Mädchen und eine erwachsene Frau gut zu erkennen. Nicht einmal einen Tag nach Veröffentlichung der Bilder meldete sich die ebenfalls gesuchte Begleitperson im Polizeikommissariat Hannover-Döhren und benannte die mutmaßliche Brandstifterin. Die Frau und das Mädchen sind nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Hannover miteinander verwandt. Eine Öffentlichkeitsfahndung nach der erwachsenen Begleitperson habe ebenfalls nicht früher erfolgen können, wie Polizeisprecher Kliesch erklärt. Da sich aus den Kameraaufnahmen kein Tatverdacht gegen die Frau ergeben habe, werde sie als Zeugin geführt. Und eine Öffentlichkeitsfahndung nach Zeugen werde nur in Fällen eingeleitet, in denen die Ermittlungen ohne Zeugenhinweise gefährdet seien. Gegen die mutmaßliche Täterin läuft ein Ermittlungsverfahren wegen schwerer Brandstiftung, eine strafe droht der Beschuldigten allerdings nicht. Das Mädchen war zum Tatzeitpunkt jünger als 14 Jahre und ist somit nicht strafmündig.
 

Medium: Neue Presse Hannover
Datum: 07.12.2024
Autor: Tobias Kurz


     



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