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Streit der Woche: Sollen Ungeimpfte von Veranstaltungen ausgeschlossen werden?

Die Impfquote klettert nur schleppend, gleichzeitig lässt die Delta-Variante des Coronavirus die Infektionszahlen steigen. Trotzdem sollen Tests für Ungeimpfte kostenpflichtig werden – wie passt das zusammen?

 


 

 

PRO

Autor: Markus Ogorek, geb. 1974, ist Professor und Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln.

Ungeimpfte gezielt von Veranstaltungen ausschließen, gar eine Impfpflicht „durch die Hintertür“ einführen? Die aktuelle Debatte zur künftigen Ausgestaltung der Corona- Beschränkungen trägt Züge von Empörungsrhetorik. Begriffe werden durcheinander oder bewusst in Stellung gebracht, um der eigenen Sache Auftrieb zu geben. Wer genau hinschaut, wird wenig Skandalöses finden.

Anlass der jetzigen Diskussion ist eine Aussage von Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) in einem Interview Ende Juli: „Geimpfte werden mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte“. Die folgende, teils heftige Kritik ließ einen wichtigen Vorbehalt des Ministers unberücksichtigt: (Schnell-)Getesteten Menschen den Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen zu verwehren, sei nur vonnöten, wenn das Pandemiegeschehen durch eine sehr hohe Inzidenz wieder unkontrollierbar werden sollte.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach verwies unlängst darauf, dass Schnelltests zu rund 40 Prozent fälschlich negative Ergebnisse lieferten. Wenn dies zutrifft, bleibt eine Corona- Infektion also in fast der Hälfte aller Fälle unbemerkt. Bei niedrigen Infektionszahlen mag das unbeachtlich sein, bei dreistelligen Inzidenzen wie im vergangenen Winter ist es das nicht. Zwar lässt sich eine Übertragung des Virus auch bei Geimpften nicht völlig ausschließen, sie hat für diese Menschen aber ganz andere Folgen: Muss unter den Ungeimpften fast jeder vierte Infizierte wegen eines schweren Krankheitsverlaufs stationär behandelt werden, fällt der Anteil bei Geimpften mit unter zwei Prozent marginal aus.

Knüpft man an die Feststellung zu Pandemiebeginn an, dass Freiheitsbeschränkungen stets begründungspflichtige Ausnahmen sind, lassen sich gravierende Restriktionen für Geimpfte kaum rechtfertigen. Laut Robert-Koch-Institut spielen sie für das Krankheitsgeschehen „keine wesentliche Rolle“ mehr. Wer darin vor allem eine indirekte Benachteiligung Ungeimpfter erkennen will, stellt die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse gleichsam auf den Kopf. Es ist das Grundgesetz selbst, das nicht nur die Gleichbehandlung von Gleichem fordert, sondern ebenso verlangt, dass staatliche Stellen wesentlich Ungleiches auch ungleich zu behandeln haben. Würden die Corona- Schutzverordnungen bei einer möglichen „ vierten Welle“ nach dem Impfstatus unterscheiden, hätten diese Regelungen vor den Gerichten aller Wahrscheinlichkeit nach Bestand.

Und wie verhält es sich, wenn schon heute Veranstalter, Gastronomen oder Einzelhändler Ungeimpften den Zutritt verwehren? Klar ist: Auf den Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung werden Ungeimpfte sich kaum mit Erfolg berufen können. Für Unternehmer gilt die Privatautonomie. Sie dürfen selbst entscheiden, mit wem sie wann Geschäfte machen. Zwar können Grundrechte ausnahmsweise auch Private binden – etwa dann, wenn es um den Ausschluss von zentralen Angeboten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht. Doch auch hier würde sich (lediglich) die Frage nach einem sachgemäßen Differenzierungsgrund stellen, der wohl zu bejahen wäre.
Wer verlangt, (schnell-)getestete Personen wie Geimpfte zu behandeln, blendet medizinische Erkenntnisse aus und redet letztlich, ohne es zu wollen, dem erneuten Erlass von Totalverboten für alle das Wort. Daran kann niemandem gelegen sein.
 



CONTRA

Autor: Peter Krücker, geb. 1959, ist Sprecher des Vorstands des Kölner Caritasverbands. Der Diplom-Sozialarbeiter ist auch Sprecher der Ortscaritasverbände in Nordrhein-Westfalen.

Allen Überlegungen, was Ungeimpfte tun dürfen oder lassen müssen, geht der Appell voraus, sich – wenn irgend möglich – impfen zu lassen. Die Impfung gibt Sicherheit und ein hohes Maß an gesellschaftlicher Normalität. Eine Impfpflicht, ob direkt oder „durch die Hintertür“, darf es gleichwohl nicht geben. Die Verfügung über den eigenen Körper ist ein hohes Gut, das in der Abwägung mit dem gesundheitlichen Risiko für andere und mit dem Schutz der Allgemeinheit stärker ins Gewicht fällt. Ein so massiver Eingriff wie eine Impfpflicht würde die individuellen Freiheitsrechte auf unzulässige Weise beeinträchtigen. Die Impfpflicht bei Masern, die gern als Vorbild herangezogen wird, ist vor diesem Hintergrund genauso kritisch zu sehen.

Unter einer "Impfpflicht durch die Hintertür“ wären unverhältnismäßige Hürden für Ungeimpfte zu verstehen mit dem Ziel, sie zu einer Impfung zu nötigen. Manche sehen schon in kostenpflichtigen Tests für Ungeimpfte eine solche Nötigung. Dem widerspreche ich: Die Allgemeinheit muss nicht geradestehen für die höchstpersönliche Entscheidung, ein kostenloses Impfangebot auszuschlagen. Der finanzielle Aufwand bedeutet zwar auch eine soziale Schieflage, weil die Kosten für Tests bei Reichen weniger zu Buche schlagen als bei Armen. Aber jeder und jede hat die Möglichkeit, sich dieser Last durch eine Impfung zu entledigen.

Ein Ausschluss Ungeimpfter ist privaten Veranstaltern unbenommen. So hat beispielsweise der 1. FC Köln das gute Recht, Ungeimpften den Zutritt zum Stadion zu verwehren. Ganz anders ist das bei öffentlichen Veranstaltern wie den Städtischen Bühnen. Sie haben eine andere Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft insgesamt. Auch Ungeimpfte finanzieren mit ihren Steuern den öffentlichen Sektor mit. Wer sich an den Kosten beteiligt, muss auch Nutznießer sein dürfen. Das gilt erst recht für den Nahverkehr (ÖPNV) und die Fernzüge der DB: Busse und Bahnen gehören zur Grundversorgung und müssen allen offenstehen. Ebenso muss der Zugang zu Supermärkten oder Apotheken Ungeimpften weiter möglich sein. Und auch die Kirchen sind –im weiteren Sinn – dem öffentlichen Sektor zuzuordnen. Grundsätzlich darf niemand am Besuch eines Gottesdienstes gehindert werden. Das verbietet das christliche Selbstverständnis. Biblisch gesagt: Auch und gerade der Lepra-Kranke soll zu Jesus kommen dürfen.

In der Corona-Pandemie minimieren Tests hier wie auch in den anderen genannten Bereichen das Infektionsrisiko und sind deshalb eine zumutbare Auflage für Ungeimpfte. aber in die falsche Richtung, wenn immer nur die Ungeimpften imVisier sind. Ob ausgesprochen oder unausgesprochen, geht es im Wesentlichen darum, Druck auf diese Gruppe aufzubauen. Das ist falsch und einseitig. Erstens wären handfeste Anreize wie Gutscheine oder Verlosungen der weitaus bessere Weg, Menschen zur Impfung zu motivieren. Und zweitens bleibt auch das Testen der Geimpften und Genesenen wichtig: Auch sie können sich infizieren und andere anstecken. Wenn es wirklich um den pandemischen Schutz und die Corona-Abwehr geht, müsste der Sinn des Testens für alle viel stärker herausgearbeitet werden.

 

Medium: Kölner Stadt-Anzeiger
Datum: 14.08.2021
Autor: Joachim Frank (Zusammenstellung)