Eigentlich sollte es für einen kurzen Familienurlaub über Ostern nach Sylt gehen. Da Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) aber vorher noch einen Termin hatte, zu dem sie mit dem Hubschrauber zu fliegen gedachte, nahm sie ihren 21-jährigen Sohn Alexander kurzerhand mit dorthin. Lambrecht besuchte also am 13. April in Schleswig-Holstein das Bataillon Elektronische Kampfführung 911 der Bundeswehr. Es gewinnt für Militär und Institutionen des Bundes Erkenntnisse über die Entwicklungen im Ukraine-Krieg. Lambrecht habe sich einen Eindruck aus erster Hand verschaffen wollen, so ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums. Dann fuhr sie mit ihrem Sohn auf die Nordseeinsel Sylt weiter.
Auf Instagram postete der Sohn stolz ein Foto von sich im Regierungshubschrauber - und schrieb darunter: "Happy Easter". Das Portal "Business Insider" machte den Familientrip im Bundeswehr-Helikopter publik. Lambrecht habe den Mitflug in einem Regierungshubschrauber zeitig beantragt und "die Kosten gemäß der Richtlinie zu 100 Prozent übernommen", sagte ein Ministeriumssprecher auf WDR-Anfrage am Dienstag. Auch für die Weiterfahrt im Ministerinnen-Auto inklusive BKA-Personenschutz soll Lambrecht einen Obolus für den Sohn bezahlt haben. Lambrecht sei als Verteidigungsministerin "anforderungsberechtigt" für Luftfahrzeuge der Flugbereitschaft, wenn die Reise in Ausübung einer amtlichen Tätigkeit durchgeführt werde, klärte der Sprecher weiter auf. Und sie könne auch die begleitenden Personen bestimmen.
Richtlinie erlaubt Mitnahme
Tatsächlich dürfen Regierungsmitglieder zusätzliche Begleitpersonen auf solchen Flügen mitnehmen. Das besagt die "Richtlinie für den Einsatz von Luftfahrzeugen der Flugbereitschaft BMVg zur Beförderung von Personen des politischen und parlamentarischen Bereichs". Und auch die Berechnung der Kosten für Begleitpersonen ist klar geregelt: "Sonstige Begleiter von Anforderungsberechtigten ... entrichten für ihren Mitflug einen Betrag in Höhe des Normaltarifs der Deutschen Lufthansa (DLH-Economy-Klasse) an die Bundeswehr." Da es keinen Lufthansa-Flug von Berlin nach Ladelund, wo der Bundeswehr-Helikopter landete, gibt, wurde der Preis offenbar geschätzt. Nach Recherchen der Berliner Zeitung soll eine Helikopter-Flugstunde mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr 5.300 Euro kosten.
Jurist: Rechtlich alles in Ordnung
Aus rechtlicher Sicht habe Lambrecht nichts falsch gemacht, sagt Markus Ogorek, Professor für Verwaltungsrecht an der Uni Köln. Entscheidend sei in solchen Fällen immer, dass die Beteiligten "keinen Vorteil" aus dieser Beförderung ziehen konnten: "Ist der Sohn auf diese Weise günstiger gereist, als es normalerweise möglich gewesen wäre?"
Kritisieren könne man an diesem Punkt eher die Richtlinie der Bundesregierung: Lufthansa Economy-Class sei sicherlich nicht der richtige Vergleich für die Kostenberechnung eines Helikopters oder, wie im Regelfall der Bundesregierung, eines Jets der Flugbegleitung. "Hier wäre mindestens 'Business-Class' als Berechnungsmaßstab angemessener", so Ogorek, denn die Ausstattung und Verpflegung falle zumeist hochwertig aus – wie die Instagram-Fotos von Lambrechts Sohn belegten.
"Mit gesundem Menschenverstand"
Aber, gibt er zu bedenken: Der Helikopter sei in diesem Fall ohnehin geflogen - ob mit oder ohne Sohn. Und der habe mutmaßlich keinen dringend benötigten Platz beansprucht, auch das BKA sei zum Schutz der Ministerin ohnehin dabei gewesen. Lambrecht habe zudem einen Ausgleich bezahlt. Insofern rät Ogorek, den Fall "mit gesundem Menschenverstand" zu betrachten. Fragwürdig findet der Verwaltungsrechtler die Verwendung der Instagram-Fotos des Sohnes in manchen Medien. Man hätte dessen Gesicht wenigsten pixeln müssen, kritisiert Ogorek. Aber auch das sei eher eine moralische Frage, denn: Der 21-Jährige habe in einem offenen Account gepostet, sei Sohn einer öffentlichen Person und lichtete sich bei offiziellen Anlässen ab - alles Gründe, warum er wohl hinnehmen müsse, dass seine Fotos benutzt werden.
Unverständnis bei CDU und FDP
Alles dumm gelaufen, könnte man sagen. Zumal mitten im Wahlkampf: Nächsten Sonntag ist in NRW Landtagswahl. Bei den Kollegen im Berliner Politikbetrieb löste die Nachricht vom Mutter-Sohn-Trip auch prompt große Empörung aus. "Die Bundeswehr für private und parteipolitische Zwecke zu benutzen, ist stillos", zitiert die "Bild"-Zeitung den Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, am Dienstag. "Die Verteidigungsministerin sollte als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt mehr Fingerspitzengefühl zeigen und nicht die Luftwaffe mit der Lufthansa verwechseln."
Auch ARD-Korrespondent Stephan Stuchlik meint: "Nicht alles, was legal ist, ist politisch vernünftig." Es herrsche Krieg - daher stehe die Verteidigungsministerin im Fokus. Viel Kritik - was zum Beispiel die Zögerlichkeit von Waffenlieferungen angeht - sei an ihr hängengeblieben. "In so einer Situation den Sohn mitzunehmen - nicht nur einmal - bezeichnen sogar Mitglieder der Ampel-Koalition als politische Instinktlosigkeit." Doch es bleibe dabei: Lambrechts Handeln sei legal - Stand jetzt. Müsste sie aber Punkte in ihrem bisherigen Statement im Nachhinein korrigieren, könnte es unangenehm für sie werden, schätzt Stuchlik.
Frage des Timings
"Wie so oft kommt es auf das richtige Timing an", meint auch Matthias Deiß aus dem ARD-Hauptstadtstudio. Zum Zeitpunkt des Krieges mit dem Sohn zu einem Diensttermin zu fliegen und im Anschluss in den Urlaub - das wird im politischen Berlin als "nicht besonders schlau" von vielen angesehen. "Es kommt jetzt darauf an, dass die Ministerin alle Angaben korrekt gemacht hat." FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt: "Ich bin mir sicher, dass die Ministerin sich darüber bewusst ist, dass das nicht geschickt war." Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag meint aber, Maßstab müsse sein, ob Lambrecht ihr Amt gut wahrnehme. Man solle nicht aus "jedem Foto einen Alptraum" machen. Nach Recherchen der "Bild"-Zeitung ist es nicht das erste Mal, dass sich Ministerin Lambrecht von ihrem Sohn auf Dienstreisen begleiten ließ. Auf insgesamt sieben Auslandsreisen soll Alexander dabei gewesen sein - unter anderem nach Slowenien, Helsinki, Liechtenstein, Lissabon, Luxemburg, Paris und Prag. Die Kosten habe Lambrecht immer privat bezahlt.
Medium: Westdeutscher Rundfunk (WDR Aktuelle Stunde)
Datum: 10.05.2022
Autor: Thomas Kramer