Es ist möglich, dass der Lockdown weiter verlängert wird. Aber ist eine Einschränkung der Grundrechte auch noch rechtens, wenn Intensivbetten frei werden und viele geimpft sind? Markus Ogorek, Verfassungsrechtsexperte an der Universität Köln, klärt auf.
Wie lange dürfen die Grundrechte eingeschränkt werden?
Markus Ogorek: Eine feste zeitliche Begrenzung gibt es nicht. Einschränkungen müssen zu jedem Zeitpunkt einen legitimen Zweck verfolgen und verhältnismäßig sein. Je höher das bedrohte Rechtsgut ist, desto einschneidender können die Maßnahmen sein – und hier geht es um Leib und Leben.
Sind die Maßnahmen auch noch rechtens, wenn das Gesundheitssystem nicht mehr vor der Überlastung steht?
Ogorek: Der Staat kommt insbesondere seiner Schutzpflicht nach, wenn er eine Triage vermeidet. Aber es geht nicht nur um die Intensivplätze. Viele Erkrankungen an Covid-19 müssen nicht intensivmedizinisch behandelt werden. Die Folgen können trotzdem gravierend sein. Außerdem: Mit jeder einzelnen Infektion ist das Risiko einer Mutation und weiterer Ansteckungen verbunden.
Können Geimpfte in Pflegeheimen verlangen, wieder uneingeschränkt Besuch zu empfangen?
Ogorek: Wenn die Vakzine wirken, sind totale Besuchsverbote nicht gerechtfertigt. In absehbarer Zeit werden jedoch nie alle Bewohner und Besucher geimpft sein. Daher wird man weiterhin strikte Sicherheitsvorkehrungen treffen
Und wenn die Zahlen weiterhin sinken?
Ogorek: Auch wenn der Inzidenzwert etwa die Schwelle von 50 unterschreitet, kann an vielen Einschränkungen festgehalten werden. Sonst könnten die Infektionszahlen schnell wieder steigen.
Könnten Klagen dagegen dennoch erfolgreich sein?
Ogorek: Zuständig für die Prüfung von Verordnungen sind die Oberverwaltungsgerichte. Ob Klagen Erfolg haben, kommt auf die einzelnen Regeln an. Andauernde und massive Einschränkungen können legitim sein – wenn sie effektiv wirken. Die 15-Kilometer-Regel zum Beispiel lief vielfach ins Leere und war wegen der vielen Ausnahmeregelungen nicht kontrollierbar. Deshalb wurden solche Regelungen mehrfach gekippt.
Was sind dann überhaupt „legitime“ Regeln?
Ogorek: Es hätte oft gereicht, attraktive touristische Orte zu sperren. Ein anderes Beispiel: Die nächtlichen Ausgangssperren dienten offenkundig dazu, Partys zu verhindern. Wirkungsvoller wären aber Höchstgrenzen in Privatwohnungen gewesen.
Medium: Südwest Presse
Datum: 05.02.2021
Autoren: Laura Liboschik und Michael Gabel