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Schwere Bedenken gegen mehr Videoüberwachung

In einer Anhörung des Landtags stößt die geplante Änderung der hessischen Sicherheitsgesetze teilweise auf schwere verfassungsrechtliche Bedenken. Besonders eine Zutat stößt Juristen sauer auf.

 

Die von der hessischen Regierungskoalition geplanten Änderungen der Sicherheitsgesetze stoßen in wesentlichen Teilen auf gravierende Bedenken der Experten unterschiedlicher juristischer Fakultäten in Deutschland. Unisono kritisierten sie bei einer Anhörung im Landtag vor allem das Vorhaben, die Befugnisse zur Videoüberwachung an besonderen Punkten auszuweiten.

Sie soll nach den Vorstellungen von CDU und Grünen künftig ohne Anlass und ohne Prüfung des Einzelfalls in den öffentlich zugänglichen Bereichen von Flughäfen, Personenbahnhöfen, Sportstätten, Einkaufszentren und Packstationen grundsätzlich erlaubt sein. An diesen „besonderen Gefahrenpunkten“ sei regelmäßig die Annahme gerechtfertigt, dass Straftaten drohten, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs.

Regelung als „Fiktion“ 

Es bleibe offen, aus welchem Grunde dort welche Straftaten angenommen würden, monierte etwa Stefanie Grünewald, Professorin für öffentliches Recht der Hamburger Polizeiakademie. Der „besondere Gefahrenpunkt“ sei nicht gerechtfertigt. Die Regelung sei rechtlich eine „Fiktion“.

Das Gesetz treffe die Anordnung, Umstände als gegeben zu betrachten, obwohl sie nicht tatsächlich gegeben sein müssten. Auch wenn beispielsweise von einer Packstation oder einem Fußballplatz keine Gefahr ausgehe, unterstelle die beabsichtigte Neuregelung trotzdem ohne jede Prüfung, dass die Voraussetzungen für die Videoüberwachung vorlägen. Weil dies aber ein massiver Grundrechtseingriff sei, müsse man die Fiktionsregelung als „verfassungsrechtlich äußerst problematisch“ ansehen.

Wie Grünewald, so forderte auch der Kölner Hochschullehrer Markus Ogorek die konkrete Prüfung der Frage, ob an den einzelnen Orten Straftaten begangen worden und in Zukunft zu erwarten seien. Keiner der Rechtsprofessoren, die sich in der Anhörung des Innenausschusses äußerten, hieß die vorgesehene Regelung gut.

Mattias Fischer von der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit konstatierte immerhin, dass „doch zahlreiche Stimmen von einer wirksamen Abschreckung potentieller Straftäter“ ausgingen. Außerdem erhöhe die Ausweitung der Videoüberwachung das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung.Dass dies eine „legitime Zielgröße“ sei, erkenne auch die neuere Rechtsprechung an. Trotzdem vertrat auch Fischer die Auffassung, dass die Maßnahme unverhältnismäßig sei. Das Bundesverfassungsgericht verlange einen hinreichenden konkreten Anlass. Eine flächendeckende Videoüberwachung „ins Blaue hinein“ werde als unangemessen angesehen.

Der Landtag hatte die vorliegenden Gesetzentwürfe nach einer ersten Lesung im März dem Innenausschuss zugeleitet. Teile davon entsprechen der einschlägigen bayerischen Gesetzgebung, die allerdings im April in wichtigen Punkten vom Bundesverfassungsgericht verworfen wurde. Innenminister Peter Beuth (CDU) berichtete, dass eine Arbeitsgruppe der Innenminister aus Bund und Ländern ein Papier erarbeitet habe, in denen die gebotenen Konsequenzen aus dem Urteil gezogen würden. 

Handwerkliche und rechtstechnische Fehler

Die für Hessen relevanten Korrekturen würden in einem Änderungsantrag in das laufende Gesetzgebungsverfahren eingespeist, kündigte Beuth an. Dass diese Vorgehensweise angesichts des Umfanges der Korrekturen praktikabel sei, bezweifelten jedoch die innenpolitischen Fraktionssprecher Heike Hofmann (SPD) und Stefan Müller (FDP). Sie verlangten, dass die Koalition die Gesetzentwürfe vollständig zurücknehmen und in einer neuen Fassung in den Landtag einbringen sollten.

Mehrere Rechtsprofessoren machten auf handwerkliche und rechtstechnische Fehler in den ihnen vorliegenden Gesetzentwürfen aufmerksam. Der aus Freiburg stammende Jurist Benjamin Rusteberg hatte bei der Lektüre hier und dort den Eindruck gewonnen, „dass die eigene Gesetzgebungstechnik nicht überschaut wird“.

Als er sich dafür eine Ermahnung des Ausschussvorsitzenden Christian Heinz (CDU) zuzog, bekundete er größten Respekt vor der deutschen Ministerialverwaltung, der auch seine Frau angehört, wie er sagte. Allerdings ließ sich nicht restlos klären, wie stark die Beamten des hessischen Innenministeriums auf die von den Regierungsfraktionen vorgelegten Gesetzentwürfe Einfluss genommen hätten.
 

Medium: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Datum: 16.07.2022
Autor: Dr. Ewald Hetrodt