OVERATH. „Ich bin selbstverständlich offen, wenn jemand das juristische Ei des Kolumbus findet“, sagte der Bau-Beigeordnete Thorsten Steinwartz, als es Anfang April im Stadtrat um die Zukunft der Bürgerinnen und Bürger von Klef ging. Das sind die 19 Overather, die nach Jahrzehnten ihre Häuser räumen und abreißen sollen, weil es sich um Schwarzbauten handele.
Jetzt scheint das Ei gefunden. Anders als im Kürtener Schwarzbau-Fall Liedtke dieses Mal aber nicht durch die Münsteraner Oberverwaltungsrichter, sondern durch einen bedeutenden Kölner Jura-Professor: Dr. Markus Ogorek ist Direktor des Institutes für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Uni Köln.
Ogorek kommt in einer ohne Honorar verfassten sechsseitigen rechtswissenschaftlichen Stellungnahme zur Causa Klef zu dem Ergebnis, dass die Stadt die seit fast 25 Jahren bestehenden und jetzt auslaufenden Duldungsvereinbarungen verlängern könne. Die Baubehörde sei nicht gezwungen, Menschen aus Gründen der Gleichbehandlung ins soziale Elend zu stürzen.
Im Zweiten Weltkrieg ausgebombten Kölnern zur Verfügung gestellt
In seinem Schreiben an Bürgermeister Christoph Nicodemus und den Bau-Beigeordneten Steinwartz verweist der Jura-Professor darauf, dass die Gebäude in den 1930er Jahren als Wochenendhäuser errichtet und teilweise auch als solche genehmigt worden seien. Im Zweiten Weltkrieg wurden sie ausgebombten Kölnern zur Verfügung gestellt. Danach fielen sie in den Besitz der ursprünglichen Eigentümer zurück, seitdem werden sie dauerhaft als Wohnhäuser genutzt.
Der Jura-Professor würdigt das legitime Bestreben der Stadt, dem Gesetz Geltung zu verschaffen. Dieses Bestreben sei aber nicht das oberste aller Prinzipien. In ganz besonderen Fällen könne die Verwaltung die Notbremse ziehen, das aber natürlich nicht nach Lust und Laune. Vielmehr müsse sie die Interessen umfassend abwägen.
Jurist sieht „gewichtige Belange“ der Bewohner
Konkret stünden den öffentlichen Interessen an der Herstellung rechtmäßiger Zustände „gewichtige Belange“ der Bewohner entgegen, die zumindest eine „weitere zeitliche Verschiebung der Beseitigung angemessen erscheinen“ ließen. Denn ansonsten drohten einem Großteil der Bewohner „gravierende soziale Konsequenzen“.
Unter Verweis auf die Rechtssprechung schreibt Ogorek: „Die Beseitigung eines baurechtswidrigen Zustands darf nicht dazu führen, dass Betroffene in eine unüberwindbare Wohnungsnot geraten.“ Das gelte etwa für den Sprecher der Bewohner, Thomas Oelschläger, aber auch für viele weitere Bewohnerinnen und Bewohner. Viele seien in einem fortgeschrittenen Alter, einige unheilbar erkrankt.
Interessen könnten laut Experte ausgeglichen werden
Durch eine einmalige Verlängerung der Vereinbarungen könnten die jeweiligen Interessen ausgeglichen werden. Zusätzlich könnte die Stadtverwaltung weitere Bedingungen damit verbinden, etwa die Übertragung des Eigentums nach Ablauf der verlängerten Duldungen.
Ausdrücklich widerspricht der Rechtsgelehrte der Befürchtung, die Stadt würde sich damit bei anderen Schwarzbauten die Hände binden. Das sei nur der Fall, wenn Fälle vergleichbar seien. Klef sei aber wegen der besonderen Härten und der langjährigen Duldungspraxis ein besonderer Fall.
Die Bürger von Klef hoffen jetzt auf eine längere Duldung: „Mit einer Verlängerung von 15 Jahren wäre wohl den meisten von uns bereits gut geholfen“, appellieren sie schriftlich an die Ratsmitglieder.
Kommentar
Das Ei des Kolumbus
Die heute knapp 30.000 Overather Bürgerinnen und Bürger verbindet schon seit langem ein besonderes Verhältnis zur rheinischen Millionen-Metropole, und anders als bei dem „Kartoffelkrieg“ von 1923, als hungernde Großstadtbewohner bergische Felder plünderten, ist aus Köln auch viel Gutes an die Agger gekommen. Dazu zählen nicht nur viele Neu-Overather vom Rhein, sondern auf jeden Fall auch die Stellungnahme des Kölner Jura-Professors Markus Ogorek.
Der Wissenschaftler weist der Stadtverwaltung einen Weg aus ihrem Schlamassel in Klef. Ogorek zollt dem Bestreben der Stadt nach Rechtstreue den angemessenen Respekt, er weist dann aber darauf hin, dass es in ganz besonderen Situationen wie in Klef Ausnahmen geben könne. Damit befreit er die Stadt aus ihrer Selbstfesselung. Wer in aller Welt sollte Bürgermeister Christoph Nicodemus und den Beigeordneten Thorsten Steinwartz nach diesem Fingerzeig noch hindern, dem Professor zu folgen? Steinwartz hat im Stadtrat gesagt: „Wenn ich einen Weg sähe, wäre ich doch bescheuert, wenn ich ihn nicht ginge.“ Dem ist eigentlich nichts weiter hinzuzufügen.
Stephan Brockmeier, Kölner Stadt-Anzeiger
Medium: Kölner Stadt-Anzeiger
Datum: 02.05.2022
Autor: Stephan Brockmeier