Die von Anfang an umstrittene Maskenpflicht im Unterricht besteht in NRW nicht länger. Angesichts sinkender Infektionszahlen setzt Schulministerin Yvonne Gebauer jetzt auf Freiwilligkeit, schließlich habe der Start ins neue Schuljahr „gut funktioniert“. 99 Prozent der Schüler können – Stand 26. August – am Präsenzunterricht teilnehmen, so die Ministerin. 3,5 Prozent der Lehrer fallen dafür gerade aus. Alles in allem scheinen die Risiken nach Einschätzung der Landesregierung derzeit überschaubar zu sein. An keiner einzigen Schule habe es ein „unkontrollierbares Ausbruchsgeschehen“ gegeben, keine Schule sei bisher zum „Corona-Hotspot“ geworden. Die Maskenpflicht im Unterricht sei daher im Moment „nicht mehr nötig“, auf den Fluren und dem Schulgelände gilt sie aber weiterhin. Diese Entscheidung war abzusehen und hatte schon im Vorhinein für Unmut gesorgt. Viele Schulleiter hatten bereits angekündigt, an der Maskenpflicht im Unterricht festhalten zu wollen, sie zumindest zu verlängern.
Rechtlich betrachtet dürfen sie es allerdings nicht. „Mit Ablauf der bisherigen NRW-Coronabetreuungsverordnung gibt es für Schüler keine Maskenpflicht im Unterricht mehr“, sagt Professor Dr. Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Uni Köln, ganz klar. „Falls die Nachfolge-Verordnung keine entsprechende Rechtsgrundlage enthält, werden Schulleiter nicht an der Maskenpflicht festhalten können.“ Auch in Wahrnehmung des Hausrechts dürfe das Maskentragen nicht angeordnet werden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine Gesundheitsgefährdung vorliegen. „Wenn Schulleiter fortan Gebote zum Maskentragen im Klassenzimmer erlassen, kann dies nur eine Empfehlung sein“, so Ogorek weiter.
Ein Blick in die Region zeigt, dass eine solche Empfehlung vielerorts ausgesprochen wird. So heißt es in einem Appell der Gustav-Heinemann-Gesamtschule Essen an Eltern und Schüler: „Wir werden diesen Erlass selbstverständlich umsetzen, möchten gleichzeitig alle Schülerinnen und Schüler sowie Eltern und Lehrkräfte dazu ermutigen, weiterhin freiwillig auch im Klassenraum einen Mund-Nase-Schutz zu tragen.“ Auch die Ernst-Barlach-Gesamtschule in Dinslaken oder die beiden Gymnasien und das Berufskolleg in Wesel setzen auf das Maskengebot. Am Gymnasium Aspel in Rees hatten sich schon am Freitag Lehrerkollegium und Oberstufe für ein freiwilliges Maskentragen im Unterricht ausgesprochen.
„Wenn ganze Schulen oder einzelne Kollegen sowie Schüler entscheiden, die Maske im Unterricht weiterhin tragen zu wollen, da ein Abstandhalten nicht möglich ist, sollte diese Entscheidung respektiert werden“, meint Stefan Behlau, NRW-Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE).Was die Schulleiter umtreibt – neben der Sorge um die Gesundheit von Schülern und Lehrern –, ist auch ein Zusammenbruch des Systems. „Wir befürchten nun, dass nach Entfall der Maskenpflicht im Unterricht verstärkt wieder Schüler, aber insbesondere auch Lehrkräfte nicht mehr in die Schule kommen werden, sei es, weil sie selbst vulnerabel sind oder weil sie vulnerable Angehörige im gleichen Haushalt haben“ schreibt der Zusammenschluss der Gymnasial-Direktoren in einem Brief an NRW-Ministerpräsident Laschet (CDU).
Auch Ulrich Wangerin, Schulleiter an der Ernst-Barlach-Gesamtschule in Dinslaken sieht diese Problematik: Sieben Lehrkräfte an seiner Schule sind wegen Corona aktuell nicht im Präsenzunterricht eingesetzt – das sei gerade noch machbar. Manche aber, die ebenfalls zu Risikogruppen gehören, seien angetreten, weil sie auf den Schutz durch die Masken vertraut haben. Würden diese 40 Kollegen nun ebenfalls wegfallen, käme der Schulleiter in eine „höchst kritische Personalsituation“. Und für Distanzunterricht fehlt nach wie vor die Infrastruktur.
Medium: Neue Ruhr Zeitung
Datum: 01.09.2020
Autoren: Matthias Korfmann und Melanie Koppel