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„Repräsentanten der Regierung“

Die Landesregierung will die Stelle an der Spitze des Landeskriminalamts künftig mit einem „politischen Beamten“ besetzen. Die Entscheidung hat auch mit den Differenzen zwischen dem Innenminister und der kürzlich in den Ruhestand getretenen früheren LKA-Präsidentin zu tun. Was wird dann aus der polizeilichen Unabhängigkeit? Ein Gastbeitrag des Staatsrechtlers Markus Ogorek.

 

WIESBADEN. Die Ausgestaltung von Stellen im öffentlichen Dienst gehört eigentlich nicht zu den Themen, die es auf die Titelseiten der Tagespresse schaffen. Umso mehr sticht die bereits seit einiger Zeit in Wiesbaden schwelende Debatte um das Präsidentenamt im Hessischen Landeskriminalamt (HLKA) hervor. Diskutiert wird, ob die Position in Zukunft nicht mehr mit einem Fachbeamten, sondern mit einem „politischen Beamten“ besetzt werden soll, der jederzeit und ohne besonderen Grund in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden könnte. Medial wurden bereits schwere Geschütze aufgefahren: Gilt – so fragt das juristische Fachportal LTO – „bald politischer Gehorsam in Hessens LKA?“. „Innenminister Beuth kratzt an der Unabhängigkeit der LKA-Spitze“ titelt die Frankfurter Rundschau. Und der Wiesbadener Kurier wirft gar die Frage nach einem „Anschlag auf die Unabhängigkeit des LKA“ auf. Droht Hessen eine neue politische Krise um die Landespolizei?

Dreh- und Angelpunkt des Streits ist das zerrüttete Verhältnis zwischen Innenminister und bisheriger HLKA-Spitze. Die zum 31. März in den Ruhestand getretene Präsidentin Sabine Thurau, von Hause aus Juristin und eine hoch angesehene Kriminalistin, war 2010 durch den damaligen Innenminister Volker Bouffier zur Behördenleiterin ernannt worden. Bouffiers Nachfolger, der heutige Landtagspräsident Boris Rhein, und Thurau überwarfen sich jedoch schnell. Die Folgen waren jahrelange Rechtsstreitigkeiten, eine zeitweise Abordnung Thuraus in das Innenressort sowie die öffentliche Aussage des Ministers, ihre Rückkehr in die Leitungsetage des HLKA sei „ausgeschlossen“.

„Politische Beamte“ sind die Ausnahme

Doch so kam es bekanntlich nicht. Thurau klagte sich 2013 zurück, und Rhein wurde aus anderen Gründen durch den heutigen Ressortchef Peter Beuth abgelöst. Herrschte zwischen Thurau und Beuth zunächst eine Art „Burgfrieden“, wurde dieser spätestens durch öffentliche Missfallensbekundungen des unter Druck stehenden Ministers über die aus seiner Sicht zu langsame Aufklärungsarbeit des HLKA in Sachen „NSU 2.0“ aufgekündigt. Zu dieser Zeit wurden auch erstmals Überlegungen der schwarz-grünen Landesregierung bekannt, per Gesetzesänderung dafür zu sorgen, dass ein „politischer Beamter“ die Nachfolge Thuraus antreten kann.

Das Bundesverfassungsgericht spricht davon, die Gruppe der „politischen Beamten“ nehme innerhalb des Verwaltungsapparats eine „atypische Sonderstellung“ ein. Für Beamte gilt eigentlich das Gebot der Neutralität und Unabhängigkeit, prägend für ihren Status ist überdies das Lebenszeitprinzip. Wenn Beamte in Spitzenpositionen kommen, so die Idee, dann durch ihre Befähigung und nicht durch Ämterpatronage oder politische Gefolgschaft. Ganz in diesem Sinne sind die allermeisten Verwaltungsposten mit Fachbeamten besetzt, „politische Beamte“ bleiben die Ausnahme. Indes kann das Rechtsinstitut auf eine lange Tradition zurückblicken, die schon 1849 im Königreich Preußen begründet wurde. Als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums genießt es – ebenso wie das hierzu gegenläufige Lebenszeitprinzip – heute aus gutem Grund verfassungsrechtlichen Schutz. Der „politische Beamte“ bildet das Bindeglied zwischen der politischen Führung und der ausschließlich fachbezogenen Administration.

Strenge Anforderungen

Öffentliche Verwaltung erhält ihre sachlich-inhaltliche Legitimation durch ihren hierarchischen Aufbau, der letztlich über den zuständigen Minister zum parlamentarisch gewählten Regierungschef führt. Dass ein Minister die ihm untergeordnete Verwaltung steuern können muss, läuft dementsprechend nicht dem verfassungsrechtlichen Demokratieprinzip zuwider, sondern ist ihm immanent. In der Regel genügt hierzu das Weisungsrecht, dem alle Beamten unterworfen sind. Manchmal besteht allerdings ein nachvollziehbares und im Ansatz auch berechtigtes Interesse daran, über die Wahrnehmung des Weisungsrechts hinaus einzelne exponierte Schaltstellen mit solchen Personen zu besetzen, die bei fachlicher Eignung auch politisch mit den Zielen der jeweiligen Regierung übereinstimmen – den „politischen Beamten“. Sie sollen politische Vorgaben in gesetzes- und rechtskonformes Verwaltungshandeln übersetzen und damit ihre Hausleitung entlasten. Zudem werden „politische Beamte“ nicht selten in exponierten Positionen eingesetzt, in denen die Öffentlichkeit sie als Repräsentanten ihrer Regierung wahrnimmt. Hier kann ein Fehlverhalten den vorgesetzten Minister in besondere Bedrängnis bringen und die Notwendigkeit einer schnellen Trennung begründen.

Wegen des Konflikts zum beamtenrechtlichen Lebenszeitprinzip, aber auch, weil die jederzeit drohende Entlassung zumindest theoretisch einer unparteiischen und unabhängigen Amtsführung abträglich sein kann, hat das Bundesverfassungsgericht an die Verwendung „politischer Beamter“ zu Recht strenge Anforderungen gestellt. Sie soll nur im „engsten Kreis unmittelbarer Berater der Träger politischer Ämter“ zulässig sein. 

Kritiker setzen hier an und verneinen, dass der HLKA-Präsident diesem Personenkreis zuzurechnen sei. Zur Begründung wird etwa angeführt, „politischer Beamter“ könne nur werden, wer sich in Sphären einer Staatssekretärs-Besoldung („B9“, dagegen LKA-Präsident: „B5“) bewege. Zudem heißt es, die aktuellen Überlegungen setzten die besorgniserregende Entwicklung eines zu häufigen Einsatzes „politischer Beamter“ fort. Es stimmt: In Hessen ist nicht nur der Landespolizeipräsident (Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium) ein „politischer Beamter“, auch die Spitzen der sieben Flächenpolizeipräsidien sind „politisch“ besetzt. Daran zu erinnern, dass der Kreis „politischer Beamter“ nicht beliebig weit gezogen werden darf, ist in Bezug auf diese Positionen durchaus berechtigt. Mit Blick auf die besondere Rolle des HLKA-Präsidenten lässt sich hieraus aber nur wenig für den aktuellen Streitfall ableiten.

Parlamentarisch und medial im Fokus

Das HLKA ist mit übergeordneten Aufgaben betraut, denen in der Sicherheitsarchitektur des Landes eine zentrale Bedeutung zukommt. Ob im Kampf gegen Spionage, Terrorismus oder politischen Extremismus – die Behörde steht parlamentarisch wie medial im Fokus. Das auf Bundesebene mit vergleichbaren Aufgaben betraute Bundeskriminalamt wird aus diesen Gründen seit jeher ohne Kritik „politisch“ geführt. Auch belegen die zahlreichen Interviews mit der bisherigen Amtsinhaberin, dass die Beiträge der HLKA-Spitze in der Öffentlichkeit großes Gewicht haben, was ein legitimes Bedürfnis nach politischer Übereinstimmung mit dem zuständigen Ministerium begründet. An dieser Einschätzung ändert sich auch dadurch nichts, dass im HLKA – wie in jeder öffentlichen Stelle – ein Großteil der Arbeit im schlichten Gesetzesvollzug liegt. Denn im HLKA werden eben auch strategische Weichenstellungen getroffen. Sicherheitspolitik und Polizeiarbeit gehen nirgends so nahtlos wie hier ineinander über. All dies macht deutlich: Eine evidente Verfassungswidrigkeit drängt sich bei den schwarz-grünen Plänen keineswegs auf.

Damit an dieser Stelle kein Missverständnis aufkommt: Der Einsatz „politischer Beamter“ ist kein Selbstzweck. Hessen wäre das erste Bundesland, das seine LKA-Spitze „politisch“ besetzt. Ob eine Neugestaltung des Amtes klug wäre, und wie die Bevölkerung auf sie reagieren würde, sind berechtigte Fragen. Sie verdienen es, im Wettstreit der Parteien diskutiert und entschieden zu werden. Selbst wenn die Regierungskoalition an ihrem Vorhaben festhält: Die, freilich umstrittene, Entscheidung wäre sicher kein „Anschlag“ auf die Integrität der öffentlichen Verwaltung – und wohl auch kein Fall für die Gerichte.
 

Der Autor Professor Markus Ogorek ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität zu Köln. Nach dem Studium in Bochum, Salzburg und Berkeley wurde er an der Universität zu Köln promoviert und habilitiert. Er arbeitete an den Universitäten Nanjing/China und Frankfurt sowie in der internationalen Sozietät Linklaters. 2013 setzte Ogorek seine Lehrtätigkeit an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht (der ehemaligen European Business School) in Wiesbaden/Oestrich-Winkel zunächst als Professor, dann als Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und schließlich als Universitätspräsident fort. Im Jahr 2020 kehrte er nach Köln zurück. Seine Themenschwerpunkte liegen im Staats- und Verfassungsrecht sowie im Verwaltungsrecht, insbesondere dem Polizeirecht, dem Gebiet, mit dem er sich auch in seiner Habilitationsschrift befasste. hs.
 

 

Medium: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Datum: 15.04.2021
Autor: Markus Ogorek (Gastbeitrag)