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Regierungsflug ohne Maske – Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft

Kanzler Scholz, sein Vize Habeck und Journalisten trugen an Bord eines Regierungsjets keine Maske. Mehrere Jura-Professoren halten diese Sonderregelung für rechtswidrig. Bei der Staatsanwaltschaft gingen Anzeigen von Bürgern ein.

 

Es ist der fatale Eindruck entstanden, dass es in Deutschland zweierlei Recht gibt: Während für Normalbürger im Ferienflieger die Maskenpflicht gilt, waren Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) am 21. August im Regierungsflieger nach Kanada ohne Maske unterwegs. Die Nutzung eines sogenannten Mund-Nasen-Schutzes war den 80 Passagieren, darunter 25 Medienvertreter, lediglich empfohlen worden.

Nun droht nach Informationen von WELT ein juristisches Nachspiel, weil Scholz und Habeck gegen das Infektionsschutzgesetz des Bundes verstoßen haben könnten. Denn in Paragraf 28b ist eine Maskenpflicht für „Verkehrsmittel des Luftverkehrs und des öffentlichen Personenfernverkehrs“ vorgeschrieben. Die Staatsanwaltschaft Berlin bestätigte auf Nachfrage von WELT, dass bei ihr in der Angelegenheit Anzeigen von Bürgern eingegangen sind. Diese seien an die für Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden abgegeben worden.

Die Regierung hatte ihre Sonderregelung für Scholz, Habeck und die Mitreisenden damit begründet, dass die Maskenpflicht des Infektionsschutzgesetzes nur für „kommerzielle Anbieter“ gelten würde. Für die Regierungsjets sei stattdessen ein im Juli gefasster „Geschwaderbefehl“ der Bundeswehr entscheidend, der statt einer Maskenpflicht vorsieht, dass Passagiere ihren Impfstatus (2G) und einen negativen PCR-Test, der bei Reiseantritt nicht älter als 24 Stunden sein darf, nachweisen müssen. Mehrere Staatsrechtler halten dieses Vorgehen der Regierung allerdings für rechtswidrig.

Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre in Köln, sagte WELT: „Im Infektionsschutzgesetz ist eindeutig vorgeschrieben, dass in Verkehrsmitteln des Luftverkehrs grundsätzlich alle Fluggäste eine Maske zu tragen haben – und zwar unabhängig davon, ob es sich um kommerzielle Flüge handelt oder nicht. Anders als bei militärischen Aufträgen (z.B. Alarmrotten) handelt es sich bei den Reisen der Flugbereitschaft unzweifelhaft um einen solchen Luftverkehr, denn sie dienen dem Personentransport und nicht als Einsatzmittel.“ Dass dies richtig sei, belege auch ein Blick auf den Schutzzweck der Norm: „In Flügen der Lufthansa ebenso wie der Flugbereitschaft kommt eine erhebliche Personenzahl für zumeist mehrere Stunden auf engstem Raum zusammen, sodass eine erhöhte Infektionsgefahr besteht.“

Ähnlich äußert sich Anna Leisner-Egensperger, Professorin für Öffentliches Recht in Jena. Es stimme zwar, dass die Bundeswehr für Maschinen der Flugbereitschaft eine eigene Vollzugskompetenz habe. Diese berechtigte sie, für sämtliche Personen, die sich an Bord der Flugbereitschaft befinden, strengere Hygieneregeln vorzusehen als sie nach dem Infektionsschutzgesetz bestehen, also beispielsweise zusätzlich PCR-Tests anzuordnen. „Diese Eigenvollzugskompetenz reicht aber nicht so weit, die im Infektionsschutzgesetz allgemein angeordnete Maskenpflicht auszusetzen. Hierfür wäre eine Rechtsverordnung der Bundesregierung erforderlich gewesen“, betont die Juristin.

Auch Ogorek erklärt: „Vollzogen werden kann nur, was auch rechtlich gestattet ist.“ Bei dem Geschwaderbefehl handele es sich lediglich um eine untergesetzliche Norm mit Wirkung nach innen. Ähnlich wie die Dienstanweisung einer kommerziellen Fluglinie setze sie eine Art von Hausrecht um. Die Luftwaffe könne ebenso wenig das Infektionsschutzgesetz umgehen wie die Kabinencrew der Lufthansa.

Der Oldenburger Staatsrechtler Boehme-Neßler stimmt einer solchen rechtlichen Bewertung zu: „Die Vorstellung, ein Bundeswehrbefehl könne ein Gesetz ändern, ist in der rechtsstaatlichen Demokratie völlig absurd. Eine Ausnahme zur Maskenpflicht kann nur das demokratisch gewählte Parlament beschließen.“ Nach einem Wochenende voller Kritik wuchs auch im Kanzleramt die Erkenntnis, dass die Sonderregelung politisch und rechtlich nicht zu halten war. Und Justizminister Marco Buschmann (FDP) drang kürzlich intern nochmals darauf, auf eine „Gleichbehandlung aller“ zu achten.

Nur das Bordpersonal im Regierungsflieger musste Maske tragen

Am Montag zog das Kanzleramt die Notbremse. Ab sofort gilt auf den Flügen von Scholz in Regierungsmaschinen wieder die Maskenpflicht. „Mit Blick auf die öffentliche Debatte der vergangenen Tage hat das Bundeskanzleramt beschlossen, neben einem aktuellen PCR-Test auch wieder das Tragen von Masken während des gesamten Fluges vorzuschreiben“, erklärte ein Regierungssprecher.

Trotz dieser Kehrtwende ist die Glaubwürdigkeit von Scholz und Habeck beschädigt. Nun geht es vor allem um Schadensbegrenzung. Dabei sind die Regeln des Kanada-Fluges im Detail noch gar nicht vollständig erörtert - und dürften weitere Diskussionen nach sich ziehen. So erfuhr WELT: An Bord des Regierungs-Airbus A 340 herrschte ein Zwei-Klassen-System. Anders als Regierende und Journalisten musste das Servicepersonal Maske tragen. Das für die Flugbereitschaft zuständige Verteidigungsministerium teilte auf Anfrage mit: „Für die Besatzung besteht während des Aufenthaltes in der Kabine und bei der Durchführung des Services zum Eigenschutz die Verpflichtung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.“ Bei Gängen in die Passagierkabine und dem Aufenthalt dort habe dies auch für die Piloten gegolten.

Wie schwer sich das Sonderrecht für Scholz und Habeck rechtfertigen ließ, veranschaulicht auch die generelle Maskenpflicht bei der Luftwaffe. Relevant ist dabei vor allem das in Wunstorf bei Hannover stationierte Lufttransportgeschwader 62 („LTG 62“, rund 1200 Soldaten). WELT wollte wissen, welche Corona-Regeln in den Maschinen des Typs Airbus A400M für den Transport von Soldaten und zivilen Passagieren angewendet werden. „In den Transportmaschinen A400M des Lufttransportgeschwader 62 gilt grundsätzlich für alle Passagiere wie auch Soldatinnen und Soldaten während der Flüge (z.B. bei Truppentransporten in die Einsatzgebiete) eine Maskenpflicht“, teilte das „Kommando Luftwaffe“ mit.

Kurz nach dem Kanada-Flug, am 28. August, hatte Grünen-Fraktionsvizechef Konstantin von Notz die „schlechte Performance“ des Kanzlers kritisiert. Als Beispiele nannte er die Erinnerungslücken bei den illegalen Cum-Ex-Geschäften der Warburg Bank und die Verantwortung von Scholz für das Gasleitungsprojekt Nord Stream 2. Die Masken-Posse erwähnte er nicht extra. Doch das Rumoren in der Ampel-Koalition ist für Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) eine Steilvorlage.

„Der grüne Abgeordnete Konstantin von Notz hat völlig recht: Die Performance des Bundeskanzlers ist schlecht“, sagte Frei WELT. Im Kanzleramt folge nun „das nächste Desaster“: Denn in jedem Flieger müsse Maske getragen werden, während sich die Regierung selbst großzügig von der Maskenpflicht befreit habe. „Nach der öffentlichen Empörung rudert die Bundesregierung nun eilig zurück“, so Frei.

Die öffentliche Aufregung rund um den Kanada-Flug und die Vorbildfunktion von Regierungsmitgliedern kommt für die Ampel-Koalition auch deshalb zur Unzeit, weil sie gerade versucht, ihr Corona-Schutzkonzept für den Herbst und Winter durch den Bundestag zu bringen. Einige FDP-Abgeordnete, die ohnehin für weitreichendere Lockerungen eintraten, griffen das Thema daher dankbar auf. „Nach diesen Bildern KANN es nicht bei #Maskenpflicht in ‚normalen‘ Flugzeugen bleiben“, schrieb der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Alexander Lambsdorff, auf Twitter.

Gesetzentwurf sieht Verschärfung der Maskenpflicht vor

Zudem erklärte Fraktionschef Christian Dürr, man sehe noch „Prüfungsbedarf“ bei der Maskenpflicht in Flugzeugen. Der Gesetzentwurf, der nächsten Donnerstag vom Parlament verabschiedet werden soll, enthält aktuell aber sogar eine Verschärfung der Maskenpflicht von medizinischer Maske auf FFP2-Maske in Flugzeugen und im Öffentlichen Nahverkehr. 

Professor Boehme-Neßler sieht in dem rechtswidrigen Verhalten der Bundesregierung vor diesem Hintergrund „ein Beispiel für die Arroganz der Macht“. Die Rechtfertigung, die Regierung und Bundeswehr vortrügen, sei rechtlich absurd: „Sie ist einfach nur eine respektlose und leicht durchschaubare Ausrede, die viel Vertrauen in der Bevölkerung kosten wird.“ Die Regierung nehme sich Sonderrechte und Privilegien heraus, die den Bürgern nicht zustehen sollen.
 

Medium: DIE WELT
Datum: 31.08.2022
Autoren: Martin Lutz und Benjamin Stibi