Ein Polizist, der in einer Chatgruppe schreibt, sein Beruf sei "Kanacken klatschen". Ein Hakenkreuz, das aus Dienstmunition gelegt ist. Die Aufforderung, Dienstwaffen gegen "Gesindel" einzusetzen. Es sind verstörende Beispiele für radikal rechte Gesinnung in der nordrhein-westfälischen Polizei. In den vergangenen sieben Jahren gab es rund 370 Hinweise auf entsprechende Vorfälle. In 83 Fällen wurden Polizeibedienstete bestraft. 17 mal wurde jemand aus dem Beamtenverhältnis entfernt.
Regierung bemängelt Rechtslage - und könnte sie ändern
Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte anlässlich dieser Zahlen im April, er brauche "keinen einzigen" Rechtsextremen im Polizeidienst. Aber die geltende Rechtslage mache es teils schwer, entsprechende Polizeimitarbeiter zu bestrafen. "Dann kann ich die auch nicht rausschmeißen", sagte Reul mit Blick auf die Vorschriften.
Allerdings: Diese Vorschriften können geändert werden. Sie finden sich im Strafrecht und im Disziplinarrecht. Für Letzteres ist die Landesregierung zuständig, der Reul selbst angehört. Doch WDR-Recherchen zeigen, dass in der schwarz-grünen NRW-Koalition Uneinigkeit über das Vorgehen gegen Rechtsextreme im Polizeidienst herrscht: Die Grünen wollen das Disziplinarrecht grundlegend ändern, das CDU-geführte Innenministerium nicht.
Regelung für Bundesbeamte als Vorbild?
Die Blaupause für eine neue Regelung in NRW könnte der Bund sein: Er hat zwei entscheidende Regelungen vor Kurzem verändert. Seit April ist das "Gesetz zur Beschleunigung von Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften" in Kraft.
Seitdem muss der Dienstherr keine Disziplinarklage mehr vor Gericht starten, um seine Beamtinnen und Beamten erheblich zu bestrafen. Stattdessen kann er "sämtliche Disziplinarmaßnahmen, einschließlich der Zurückstufung, der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und der Aberkennung des Ruhegehalts, durch Disziplinarverfügung aussprechen", wie es in der Begründung zum Gesetz heißt. Zwar kann jeder Beamte gegen eine solche Verfügung klagen, aber: Anstelle von Gerichten entscheidet seitdem erstmal die Polizeibehörde selbst über weitgehende Strafen für rechtsextreme Polizisten.
Das ist eine fundamentale Veränderung der Zuständigkeit. Doch diese neue Regel gilt bisher nur für Bundesbeamte. Für die wesentlich zahlreicheren Landesbeamten, darunter die rund 58.000 Polizeibediensteten in NRW, gilt diese Regel bislang nicht - das Land müsste sie selbst einführen.
Grüne loben Bundesregel als "sehr klug"
Julia Höller, die innenpolitische Sprecherin der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag, ist dafür. Die Neuregelung des Bundes nennt sie "sehr klug". Diese Änderung sei "ein ganz wichtiges Instrument, um Verfassungsfeinde schneller, einfacher und transparenter aus dem öffentlichen Dienst entfernen zu können", so Höller.
Der CDU-Innenminister sieht das anders: "Das wird nicht die Verfahren beschleunigen und das wird auch nicht dafür sorgen, dass wir sie rauskriegen", sagt Herbert Reul mit Blick auf rechtsextreme Polizisten. "Es ist daher derzeit nicht beabsichtigt, das Disziplinargesetz für das Land Nordrhein-Westfalen an das novellierte Bundesdisziplinargesetz anzupassen und das Institut der Disziplinarklage abzuschaffen", teilt ein Sprecher seines Ministeriums mit.
Auch eine zweite Neuregelung des Bundes, die das Land übernehmen könnte, sorgt für eine Kontroverse zwischen CDU und Grünen: Die Frage nach der Fortzahlung der Bezüge an Polizistinnen und Polizisten, die gegen ihre Entfernung aus dem Dienst klagen.
CDU-geführtes Innenministerium bremst
Die bisherige Regelung sieht vor, dass die Beamtinnen und Beamten weiter ihren Lohn erhalten, bis eine endgültige Gerichtsentscheidung über ihren Rausschmiss gefallen ist. Dieses Geld dürfen sie selbst bei Niederlage vor Gericht größtenteils behalten, so dass es einen Fehlanreiz gibt, "den Abschluss des gerichtlichen Disziplinarverfahrens hinauszuzögern, um möglichst lange weiterhin Bezüge zu erhalten", wie es im Bundesgesetz heißt. In der Tat dauern diese Verfahren bislang auf Bundesebene im Durchschnitt üppige vier Jahre.
Die Neuregelung des Bundes sieht aus diesem Grund vor, dass diejenigen, die wegen verfassungswidriger Bestrebungen aus dem Dienst entfernt werden, den Großteil des Geldes zurückzahlen müssen, das sie für die Dauer des Gerichtsverfahrens weiter bekommen haben. "Dadurch besteht nicht mehr der Fehlanreiz, diese Verfahren in die Länge zu ziehen. Ich glaube, das ist auch im Sinne der Steuerzahler", findet die Grünen-Abgeordnete Höller.
Sie will, dass NRW auch diese Regelung vom Bund übernimmt. Innenminister Reul (CDU) will sich im WDR-Interview ausdrücklich nicht dagegen aussprechen - äußert aber Zweifel: "Ich bin skeptisch. Aber das werden wir ja sehen. Ich befürchte: Das wird uns nicht viel helfen".
Rechtsexperte befürwortet Neuregelungen
Prof. Markus Ogorek ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität Köln. Als parteipolitisch unabhängiger Experte hält er die Abschaffung der Disziplinarklage-Pflicht "insgesamt für eine sinnvolle Regelung". Bei Polizistinnen und Polizisten, die nicht gegen ihre Entfernung aus dem Beamtenverhältnis klagen, gebe es definitiv eine Beschleunigung der Vorgänge. Ob auch im Klagefall künftig die Prozesse schneller ablaufen, müsse die Erfahrung erst noch zeigen, so Ogorek. Nach diesen Erfahrungswerten gefragt, teilte das Bundesinnenministerium mit, eine Evaluation der neuen Bundes-Regel sei bislang noch nicht möglich.
"Fehlanreiz beseitigt"
Auch die Rückzahl-Verpflichtung für Beamtinnen und Beamte, die wegen verfassungswidriger Bestrebungen aus dem Dienst entfernt werden, nennt Ogorek "eine gute und richtige Lösung", auch wenn "die Rechtsposition des Beamten dadurch massiv beschnitten" werde. Schließlich kämen schnell hohe Summen zusammen, die der Polizist oder die Polizistin womöglich zurückzahlen muss. Dennoch: "Der Fehlanreiz ist damit beseitigt", so Ogorek.
Er betont außerdem: Die Änderungen, die der Bund beschlossen hat, seien definitiv verfassungsgemäß. Entsprechende Regelungen gebe es bereits seit vielen Jahren in Baden-Württemberg, sie seien vom Bundesverfassungsgericht geprüft und bestätigt worden.
In Sachen Strafrecht sind sich CDU und Grüne einig
Immerhin: CDU und Grüne in NRW sind sich einig in ihrer Forderung an den Bund, das Strafrecht zu verschärfen. Der Kern: "Der Austausch rassistischer, antisemitischer oder fremdenfeindlicher Inhalte soll für Amtsträgerinnen und Amtsträger demnach auch in sogenannten geschlossenen Chatgruppen strafbar werden". Diese Änderung kann nur der Bund beschließen. Die NRW-Landesregierung hatte eine entsprechende Initiative bereits im Oktober erfolgreich durch den Bundesrat gebracht. Doch im Bundestag hängt diese Änderung seitdem fest.
Im Disziplinarrecht könnte die Landesregierung selbst entscheiden, ist sich aber uneinig. Im Strafrecht ist NRW auf den Bund angewiesen, der in der Sache trödelt. Zugleich ist zu befürchten, dass der nächste Skandal um rechtsextreme Umtriebe in der NRW-Polizei kommt, früher oder später. Wie mit potenziellen Verfassungsfeinden in Uniform umzugehen ist - die Debatte darüber ist im vollen Gang.
Medium: WDR 5 Westblick
Datum: 02.06.2024
Autor: Tobias Zacher