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Polizei in NRW: Einsatzkosten für Klimaaktionen und Fußballspiele durch die Hintertür?

Herbert Reul will Einsatzkosten der Polizei mit einer Gebühr gegenfinanzieren. Juristen sagen: Dafür bräuchte es eine Gesetzesänderung. Kommt die durch die Hintertür?

 


Der Plan von NRW-Innenminister Herbert Reul, Klimaaktivisten, Fußballfans und Junggesellenabschiede für Polizeieinsätze zahlen zu lassen, sorgt weiter für Wellen in der Landespolitik. Dabei ist nach Darstellung der schwarz-grünen Landesregierung alles längst beschlossene Sachen. Doch Recherchen des WDR-Magazins Westpol säen daran Zweifel: Die neue Reul-Regelung ist juristisch mindestens wackelig. Das Innenministerium versucht nun, dieses Vorhaben nachträglich zu legitimieren - mit einer Art gesetzlichem Blankoscheck für Einsatzkosten aller Art. Doch auch das ist juristisch umstritten.

Seit August gibt es die neuen Gebühren - sagt Reul

Ein Rückblick: Mitte August änderte CDU-Innenminister Herbert Reul die sogenannte Gebührenordnung des Landes in Eigenregie. Damit wolle er ab sofort Gebühren verlangen, wenn die Polizei bei einem Einsatz Unmittelbaren Zwang anwenden muss. Von Unmittelbarem Zwang sprechen Juristen immer dann, wenn die Polizei sich durchsetzt, indem sie direkt auf einen Menschen oder eine Sache einwirkt – zum Beispiel, wenn sie Klimaaktivisten wegträgt oder Fußballfans einkesselt.

Juristen haben seit Wochen Zweifel, ob Reul solche Gebühren derzeit mit dieser Verordnung einfach einführen darf. Doch davon wollte und will der Minister nichts wissen. "Es gibt einen Juristen, der eine andere Meinung hatte. Die Mehrheit ist der Meinung, dass wir es so lösen können", so Reul nun im Interview.

Rechtswissenschaftler: "Reul steht relativ alleine da"

Es widersprechen aber deutlich mehr Juristen als nur einer. "Die meisten gehen davon aus, dass allein durch die Gebührenordnung, eine Gebührenpflicht nicht geschaffen werden kann. Reul steht relativ alleine da. Er hat unrecht", sagt etwa Markus Ogorek, Jura-Professor an der Universität Köln. Das hatten dem Innenausschuss auch schon drei Sachverständige gesagt - alle ebenfalls Jura-Professoren von nordrhein-westfälischen Universitäten. Diese Juristen kommen zu dem Ergebnis: Kosten für unmittelbaren Zwang kann der Minister mit der Gebührenordnung erst auf den Weg bringen, wenn das Polizeigesetz geändert wird.

Änderung des Polizeigesetzes in falscher Reihenfolge

Und genau so eine Änderung hat das Innenministerium angestoßen. Damit soll eine neue Norm eingeführt werden, nach der die Landesregierung frei entscheiden kann, für welche Einsätze welche Kosten anfallen. Das Problem: Eigentlich bräuchte es erst so eine Änderung und das passende Gesetz, dann die entsprechende Verordnung. Die Reul-Reihenfolge - erst Verordnung, dann Gesetz - wäre also falsch. Das Innenministerium rechtfertigt dieses Vorgehen damit, dass die Gesetzesänderung rein formal sei.

Der Münsteraner Jura-Professor Fabian Wittreck widerspricht. Er hält es für eine inhaltliche Änderung, wie er in seinem Gutachten für den Innenausschuss schreibt. So etwas müsse ausführlich vom Parlament diskutiert werden. Dem stimmt auch der Kölner Jurist Markus Ogorek zu. Die - aus seiner Sicht bislang rechtswidrige - Gebührenordnung würde mit dem Gesetz nun quasi durch die Hintertür legalisiert.

Gesetzesänderung würde Minister Blankocheck bringen

Ogorek befürwortet eigentlich die Einführung einer Gebühr bei Unmittelbarem Zwang. Trotzdem geht seine Kritik an der geplanten Änderung des Polizeigesetzes noch weiter. So wie das Innenministerium sie vorschlägt, könnte der Minister künftig auf Grundlage des neuen Gesetzes für alle Polizeieinsätze Gebühren ermöglichen - er müsste dafür nur besagte Verordnung ändern. Das könnte das Ministerium dann in Eigenregie, ohne das Parlament. Begrenzt wäre der Handlungsspielraum dann nur durch allgemeine juristische Regeln, wie dass die Kostenhöhe angemessen sein muss. "Das klingt nach einem Blankoscheck für die Regierung. Das erscheint verfassungsrechtlich problematisch", so Ogorek.

Grüne kündigen weitere Gespräche mit CDU an

Den grünen Koalitionspartner bringt die Sache derweil in argumentative Schwierigkeiten. Einerseits beteuern die NRW-Grünen, gegen solche Gebühren für Polizeieinsätze zu sein. Andererseits argumentieren sie, dass sie gegen Reul neue Gebührenordnung nichts ausrichten könnten. Herbert Reul habe sie eigenständig eingeführt - und er habe das als Minister auch gedurft. 

Und die Änderung des Polizeigesetzes? Dazu hatte sich die Fraktion bislang gar nicht geäußert. Jetzt verweist sie darauf, dass man noch juristische Stellungnahmen auswerte. "Wir werden uns das jetzt nochmal genau angucken", sagte Julia Höller, die Sprecherin der Grünen im Innenausschuss, dem WDR. Mit dem Koalitionspartner CDU kündigt sie Gespräche an.

SPD: "Reul versucht, das am grünen Koalitionspartner vorbei zu machen"

Für die Opposition scheint klar, dass die Grünen das Vorhaben von Herbert Reul bislang nicht durchschaut haben. "Herr Reul versucht, das am grünen Koalitionspartner vorbei zu machen", sagt SPD-Politikerin Christina Kampmann. Sie spricht sich gegen die Einführung von Gebühren aus. Das Gesetz dürfte, so ihre Vermutung, allerdings jetzt auch nicht mehr in der vom Ministerium vorgeschlagenen Version kommen. 

Zukunft der Gebühren für Polizeieinsätze wohl noch unklar

Ob in den kommenden Wochen tatsächlich Gebührenbescheide für solche Einsätze verschickt werden, ist daher wohl fraglicher als zuvor. Das erwartet auch die FDP im Landtag. Sie ist eigentlich für die Gebühren, befürchtet jetzt aber, dass mit der geänderten Gebührenordnung und der wackeligen Änderung des Polizeigesetzes keine rechtssichere Regelung zu Stande kommt.
 

Medium: Westdeutscher Rundfunk (Westpol)
Datum: 22.10.2023
Autor: Philip Raillon