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Nach Negativrekord 2015: Uniprofessor fordert Kölner zur OB-Wahl auf

Am Sonntagabend gegen 20 Uhr wird das Ergebnis der Stichwahl um das Kölner Oberbürgermeisteramt feststehen: Schafft der Herausforderer Andreas Kossiski (SPD) den Überraschungscoup oder regiert die parteilose Henriette Reker, hinter der Grüne und CDU stehen, weitere fünf Jahre? Spannend ist eine weitere Frage: Wie viele Kölner werden an der Wahl überhaupt teilnehmen? Was viele heute nicht mehr wissen: Henriette Rekers Wahl zur Oberbürgermeisterin lag eine historisch niedrige Wahlbeteiligung zugrunde.

 

Die dramatischen Tage im Herbst 2015: Am Samstag, den 17. Oktober, wird Henriette Reker durch das Messerattentat des Kölner Rechtsextremisten Frank S. lebensgefährlich verletzt. Die Wahl am darauffolgenden Sonntag findet dennoch statt: Reker gewinnt die Wahl mit 52,66 Prozent der Stimmen vor dem SPD-Kandidaten Jochen Ott (32,02 Prozent). Als ihr Sieg bekanntgegeben wird, liegt Kölns künftige, in seiner Geschichte erste Oberbürgermeisterin im künstlichen Koma.

Trotz dieser aufrüttelnden Umstände: Die Wahlbeteiligung lag bei nur 40,28 Prozent – die niedrigste in der Geschichte der Stadt (Minusrekord: 14,6 Prozent in Chorweiler, den höchsten Anteil gab es noch in Klettenberg mit 55,8 Prozent). „Schäm dich, Köln!“ titelte der Spiegel. De facto hatten von 809.000 Stimmberechtigten nur 325.900 an der Wahl teilgenommen und von diesen hatten 169.919 für Reker gestimmt – was für eine Millionenstadt wenig erscheint, aber die absolute Mehrheit brachte. Bei der Wahl vor zwei Wochen lag die Wahlbeteiligung bei 51,4 Prozent: Jeder zweite Kölner war nicht dabei.

Ein Problem für die Demokratie? Stellen dramatisch niedrige Wahlbeteiligungen die Legitimität gewählter Personen infrage? Sonntag-EXPRESS sprach darüber mit Prof. Dr. Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Kölner Uni:

„Je mehr Menschen wählen gehen, desto größer ist die Legitimation der Gewählten. Für die Demokratie ist es zentral, dass möglichst viele Menschen ihre Stimme abgeben. Eine Wahlbeteiligung unter 50 % stellt die Legitimation der Gewählten aber nicht unbedingt infrage. Entscheidend ist, ob alle Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben können – nicht, ob sie es auch getan haben.“ Bedauerlicherweise sei die Wahlbeteiligung beim Stichentscheid regelmäßig deutlich geringer als im ersten Durchgang – „das kann bei immer weiter absinkenden Wahlbeteiligungen zu einem echten Problem werden.“, so Prof. Ogorek.

Welche Ursachen hat das Desinteresse weiter Teile der Bevölkerung an den Kommunalwahlen?

„Eine große Distanz und mangelnder Rückhalt können zwar Gründe für eine schwache Wählerquote sein, jedoch gibt es auch andere denkbare Ursachen: So ist vielen Wählern nicht bewusst, wie viel Einfluss kommunale Entscheidungen ganz unmittelbar auf ihr Leben haben. Der Etat der Stadt Köln liegt mittlerweile bei über fünf Milliarden Euro! Hier geht es schon lange nicht mehr nur um Blumenkübel in der Innenstadt und »Knöllchen« beim Falschparken. Die Stadt betätigt sich im Rahmen der Bauplanung, beim Betrieb von Schulen und Kitas, im kommunalen Ordnungswesen sowie als wirtschaftlicher Akteur. Hinzu kommt, dass vielen Menschen die Bedeutung der Stichwahl nicht bewusst ist. Sie glauben, der Gewinner im ersten Wahldurchgang sei bereits auf der sicheren Seite – und der Unterlegene bereits abgeschrieben.“

Wie steht Köln im Vergleich zu anderen Städten da? 

„Wir erleben in ganz NRW entsprechende Entwicklungen. Nahmen bei der letzten Düsseldorfer OB-Wahl im ersten Durchgang noch fast 50 Prozent teil, waren es im Stichentscheid nur noch 40 Prozent. In Duisburg gaben rund 30 Prozent in der Stichwahl ihre Stimme ab, im ersten Wahlgang waren es knapp 45 Prozent der Wahlberechtigten. In Essen gab es nach einer Wahlbeteiligung von ca. 33 Prozent nur noch eine Stimmabgabe in Höhe von 27 Prozent beim Stichentscheid.“

Kann die Einführung einer Wahlpflicht hilfreich sein?

„Die Einführung einer Wahlpflicht führt zwangsläufig zu einer hohen Wahlbeteiligung und damit zu größerer demokratischer Legitimation. Ob sie wirklich das Mittel der Wahl ist, wird jedoch heftig diskutiert. Auch die Wahlen in den Kommunen müssen aus verfassungsrechtlichen Gründen »frei« sein – ob man davon bei einer Wahlpflicht noch sprechen kann, darf bezweifelt werden. Ich persönlich denke allerdings, dass die Einführung einer Wahlpflicht verfassungsgemäß ist! Alternativ lässt sich vermutlich auf anderem Weg die Wahlbeteiligung erhöhen. Ich denke hier insbesondere an noch breitere Informationskampagnen, die Einführung von »E-Votings«, die Verknüpfung von Wahltagen mit konkreten Sachentscheiden und die Verlängerung der Möglichkeit zur Stimmabgabe – z. B. auf eine ganze Woche.“

Jetzt aber appelliert Prof. Dr. Markus Ogorek für diesen Sonntag: „Demokratie lebt von Teilhabe, vom Sicheinbringen, vom Widerspruch und dem Nichtwegschauen! Daher mein Aufruf: Gehen Sie heute wählen!“

 

Medium: EXPRESS
Datum: 27.09.2020
Autor: Ayhan Demirci