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Nach Räumung an der HU Berlin: Warum Hochschulen sich politische Einmischung verbitten

Der Streit um den Umgang mit propalästinensischen Protesten an Universitäten ist nach den Vorfällen an der HU Berlin heftiger geworden. Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, fordert gesellschaftlichen Respekt für die Leitenden – und keine reflexartige Angriffe.

 

Im Umgang mit propalästinensischen Protesten an Hochschulen ist eine heftige Debatte darüber entstanden, wann und wie Besetzungen und Demonstrationen auf einem Campus aufgelöst werden können und sollen – und vor allem: durch wen. Nur durch die Hochschulleitung oder irgendwann dann doch durch Politik und Polizei?

Entzündet hat sich die neuerliche Diskussion nach teils heftigen Protesten an der Humboldt-Universität (HU) in Berlin am vergangenen Donnerstag. Letztlich räumte die Polizei Räume und Wege. HU-Präsidentin Julia von Blumenthal hatte zuvor mit den Studierenden, die friedlich demonstrierten, gesprochen und versucht, im Dialog eine Eskalation zu vermeiden. Parallel hatte es vor und in anderen Bereichen der Universität weniger friedliche Aktionen gegeben, Wände wurden offenbar mit umstrittenen Symbolen versehen, bedenkliche Parolen skandiert. Von Blumenthal hatte nach erfolgter Räumung durch die Polizei in verschiedenen Medien erklärt, Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hätte auf die Räumung gedrängt. Von Blumenthal sagte, sie bedauere, dass es nicht gelungen sei, im Dialog mit einer verbleibenden Gruppe von rund 50 Demonstranten am Ende so etwas wie eine Verständigung zu erreichen. Sie sei nicht sicher, ob dies gelungen wäre. "Es kam dann die Anweisung von ganz oben, die Besetzung zu beenden", zitierte Tagesschau.de die Präsidentin. Dieser Anweisung habe sie Folge geleistet.

HRK-Präsident kritisiert reflexartige Angriffe und Zuspitzungen scharf  

„Die Mitglieder der HRK haben jüngst erneut öffentlich betont, dass sich die Hochschulen als Orte der offenen Diskussion und des Dialoges verstehen und die Verantwortung wahrnehmen, umfassend und wo immer möglich einen akademischen Diskursraum bereitzustellen“, erklärt zu den jüngsten Ereignissen Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Zugleich haben die HRK-Mitglieder festgehalten, dass die Hochschulen mit den Mitteln des Hausrechts und, wo nötig, des Strafrechts reagieren, wenn die Grundsätze eines gewaltfreien Dialogs missachtet werden. Die Umsetzung dieser Grundsätze vor Ort an den Hochschulen ist eine immense Herausforderung, sagt Rosenthal.

Er erwarte, dass den Menschen, „die sich dieser Verantwortung engagiert stellen und in diesen Zeiten Präsenz zeigen“, der entsprechende gesellschaftliche Respekt entgegengebracht und der Ermessensspielraum der Hochschulen respektiert wird, insbesondere wenn sie um Deeskalation bemüht sind. „Nicht hilfreich sind in diesem Kontext medial oder direkt vorgetragene reflexartige Angriffe, unerbetene Ratschläge, unzulässige Vereinfachungen und einseitige Zuspitzungen.“  

Räumung nach antisemitischer Hetze, Volksverhetzung und Sachbeschädigungen  

Wer nun die Räumung an der HU Berlin letztlich angewiesen hat, bleibt offen. Die Berliner Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra hatte zu den Vorfällen an der HU bereits am Freitag erklärt, dass sich „Land und die Unileitung gemeinsam darauf verständigt haben“, dass die Universitätsleitung die Besetzung beendet und die Demonstranten aufgefordert werden, das besetzte Institut zu verlassen. An der Entscheidung hatte es in der Wissenschaftscommunity direkte Kritik gegeben, auch von TU Berlin-Präsidentin Geraldine Rauch. Sie wertete die Aktion in der „taz“ als „mangelndes Vertrauen in die Hochschulleitungen“.

Gegenüber Table.Briefings unterstreicht eine Sprecherin von Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra, „die Beendigung der Besetzung nach Ablauf der Frist war richtig“. Generell würden „Situation an den Hochschulen und die antisemitischen Protestaktionen auf verschiedenen Ebenen besprochen“, in erster Linie mit der Wissenschaftssenatorin, dem zuständigen Staatssekretär und den Hochschulpräsident:innen sowie auf entsprechender Arbeitsebene.  Aufgrund der brisanten Thematik gebe es darüber hinaus aber auch Gespräche unter anderem mit der Innenverwaltung, innerhalb des Senats und auch mit dem Regierenden Bürgermeister. „Im Übrigen ist es selbstverständliches Vorgehen, sich regelmäßig mit dem Ministerpräsidenten eines Landes auszutauschen.“  

Die Räumung sei erfolgt, weil zum einen die vorgegebene Frist abgelaufen war und zum anderen, weil es im Laufe der Besetzung zu antisemitischer Hetze, Volksverhetzung und zu Sachbeschädigungen gekommen sei, erklärte die Sprecherin hinsichtlich des Vorwurfs des mangelnden Vertrauens. Die Wissenschaftssenatorin stehe seit vielen Monaten in regelmäßigem Kontakt mit den Hochschulen, die Absprachen und getroffenen Maßnahmen werden permanent an die aktuelle Situation angepasst. „Vor dem Hintergrund der HU-Besetzung und zu befürchtender weiterer Besetzungen wird es zeitnah eine erneute Rücksprache zwischen der Senatswissenschaftsverwaltung und den Hochschulen geben.“  

Strafanzeige erforderlich: Als Leitungsperson besteht eine Vermögensbetreuungspflicht

 Der Vorfall an der Humboldt-Universität untermauere, dass bei Besetzungen und ähnlich aggressiven Protestformen ein konsequentes Handeln angezeigt sei, um Sachwerte sowie insbesondere den Universitätsbetrieb zu schützen, erklärt der Verwaltungsrechtler Markus Ogorek von der Universität Köln. „Ich kann nachvollziehen, dass die Präsidentin den Versuch des Dialogs unternehmen wollte, nachdem kurz zuvor eine unmittelbare Räumung an der Freien Universität für große Polarisierung gesorgt hatte.“ Es sei aber schnell klar gewesen, „dass dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt war“, wie es die Präsidentin der Humboldt-Universität später auch eingeräumt habe. „Richtig ist auch, dass sie jedenfalls jetzt Strafanzeigen erstatten will, denn als Leitungsperson kommt ihr eine Vermögensbetreuungspflicht zu, die im Bereich der zahllosen Sachbeschädigungen nur dann erfolgversprechend durchgesetzt werden kann, wenn über die Strafverfolgungsbehörden entsprechende Personendaten von Verdächtigen zur Verfügung gestellt werden.“

Ogorek hatte in der vergangenen Woche im Interview mit Table.Briefings zur Frage der Möglichkeiten staatlicher Einflussnahme erklärt, dass Landesminister grundsätzlich nicht anweisen können, Demonstrationen oder Protestcamps aufzulösen. Hochschulen hätten zunächst das Recht zur eigenen Organisation. „Sie unterliegen nicht der Fach-, sondern einer bloßen Rechtsaufsicht des jeweiligen Landes.“ Vorstellbar sei eine ministerielle Weisung vor diesem Hintergrund nur, wenn der Universität kein eigenes Ermessen mehr bleibe. Aus seiner Sicht spricht einiges dagegen, dass es an der HU eine formelle Weisung gab. „Eine solche kann immer nur ultima ratio sein und wird durch die Landes-Wissenschaftsministerien äußerst zurückhaltend eingesetzt.“ Stattdessen sei in der Regel der, „gegebenenfalls im Ton sehr deutliche Dialog“ das Mittel der Wahl.   
 

Medium: Table.Media
Datum: 28.05.2024
Autorin: Nicola Kuhrt