Die Polizei Düsseldorf begegnet immer wieder Personen, die bewaffnet sind: Im November stellten Beamte in der Altstadt sechs Messer und eine Schreckschusspistole sicher. Im September waren es sieben Messer und ein Schlagring. Die Polizei im benachbarten Köln macht ähnliche Erfahrungen. Seit einem Jahr gelten in bestimmten Bereichen der beiden größten Städten Nordrhein-Westfalens sogenannte „Waffenverbotszonen“ zur Abend- und Nachtzeit am Wochenende und zu Karneval. Dann dürfen Polizisten in den ausgeschilderten Bereichen ohne Anlass Personen kontrollieren.
Die stärkere Präsenz in der Düsseldorfer Altstadt ebenso wie an den Kölner Ringen und der Zülpicher Straße hat die Vermutungen der Sicherheitsbehörden bestätigt: Fast 350 Waffen wurden in den vergangenen zwölf Monaten gefunden, darunter Butterflymesser, Dolche, Einhandmesser, Springmesser, Taschenmesser, Reizstoffsprühgeräte, Schlagstöcke, Teleskopschlagstöcke, Totschläger, Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen.
„Sollte sich bislang noch jemand die Frage gestellt haben, ob Waffenverbotszonen einen Beitrag zur Sicherheit unserer Innenstädte leisten, dann ist dieses Arsenal die beeindruckende Antwort“, erklärt Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU), der Ende 2021 die Einrichtung dieser Zonen initiiert hatte. Häufig fallen dabei junge Männer auf, die bewaffnet auf die Partymeilen der beiden Städte gehen.
In Köln resümiert der Direktionsleiter für Gefahrenabwehr/Einsatz, Martin Lotz, auf WELT-Anfrage: „Die Einsatzkräfte erhalten regelmäßig positive Rückmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern zu den Waffenverbotszonen. Immer wieder wird auch um deren Erweiterung gebeten.“ Im Ergebnis seien die Zonen ein „probates Mittel“, so Lotz, „um das Tragen von Waffen und anderen unerlaubten Gegenständen zu unterbinden und so zur Sicherheit der Bevölkerung beizutragen“.
„Waffenverbotszonen“ sollen Gewaltspirale entgegenwirken
Die Bundespolizei richtet immer wieder solche zeitlich begrenzten Zonen an Bahnhöfen im ganzen Bundesgebiet ein und stößt dabei regelmäßig auf Stichwaffen. Zwischen 30. November und 5. Dezember waren etwa die Hauptbahnhöfe in Gelsenkirchen und Essen an der Reihe. „Trotz der Maßnahmen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie verzeichnete die Bundespolizei keinen nennenswerten Rückgang der Gewaltdelikte im Zusammenhang mit gefährlichen Gegenständen in den genannten Hauptbahnhöfen“, erklärte die Behörde in St. Augustin und verwies auf mehrere Fälle in der Vergangenheit.
Die Bundespolizeidirektion in Hannover verzeichnet nach wie vor „Steigerungsraten bei dem Einsatz von gefährlichen Gegenständen bei Streitigkeiten“. Direktionspräsident Michael Schuol beklagt, man habe nach der Corona-Pandemie einen erheblichen Anstieg an Auseinandersetzungen mit Waffen, insbesondere Messern, in den norddeutschen Großstadtbahnhöfen zu verzeichnen. Zeitlich befristete „Waffenverbotszonen“ in den Hauptbahnhöfen Hamburg, Bremen und Hannover sollen die Lage dort beruhigen.
„Waffenverbotszonen“ gelten bei Sicherheitsbehörden inzwischen als bedeutsames Instrument, um einer Gewaltspirale entgegenzuwirken und Kriminalitätsrisiken im öffentlichen Raum zu verringern. Das Instrument ist im Bundeswaffengesetz, Paragraf 52 Absatz 5 und 6, verankert. Deutschlands älteste Waffenverbotszone existiert seit 2007 auf der Reeperbahn in Hamburg. In der Hansestadt wird aktuell über die Einrichtung einer weiteren Zone um den Hauptbahnhof diskutiert.
In Hannover hat der Stadtrat vor wenigen Tagen neue „Waffenverbotszonen“ von 21 bis 6 Uhr an mehreren Standorten beschlossen. Nach Angaben der Polizei in Hannover hat sich die Zahl der Messerangriffe an den Standorten von 2021 auf 2022 um 54 Prozent erhöht. In Frankfurt/Main hat die Polizei eine solche Zone um den Hauptbahnhof angeregt.
„Insbesondere Messer spielen viel zu oft eine gefährliche Rolle bei nächtlichen Auseinandersetzungen“, beklagt der Frankfurter Polizeipräsident Stefan Müller. „Zu vorgerückter Stunde und unter Alkoholeinfluss wird häufig alles eingesetzt, was mitgeführt wird. Je früher wir also Waffen sicherstellen, desto besser, das ist unmittelbarer Opferschutz.“
„Besorgniserregende Entwicklung“
Bedenken gegen eine verstärkte Nutzung dieses Instruments äußert Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität Köln. Er sei „nicht pauschal gegen Waffenverbotszonen, nur muss man mit ihrer Einrichtung vorsichtig sein und sie im Falle ihrer Einführung zeitlich wie örtlich eng eingrenzen“, sagt der Jurist auf WELT-Anfrage.
Die „Waffenverbotszone“ zeige nach seiner Ansicht einen Trend im Gefahrenabwehrrecht auf, „wonach immer stärker auf konkrete Gefahrensituationen verzichtet und Eingriffsbefugnisse im Rahmen der Intervention vorverlagert werden. Das ist aus meiner Sicht eine besorgniserregende Entwicklung.“ Problematisch findet Ogorek, dass die erforderliche konkrete Gefahr, etwa die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat, als Begründung wegfalle.
Der Professor betont, dass die Polizei schlagkräftig sein müsse und bei neuen Gefahren auch manchmal neue Instrumente benötige. „Aber man muss beachten, dass durch jede neue Kompetenz bürgerliche Freiheiten erodieren. Anlasslose Kontrollen kehren das Verhältnis zur Freiheit um.“ In einer „Waffenverbotszone“ müsse man „ständig damit rechnen, kontrolliert und zumindest gefühlt auch kriminalisiert zu werden“. Der öffentliche Raum sei dann kein Raum der Anonymität mehr. „Man erhöht mit der begründungsfreien Kontrollmöglichkeit auch Risiko von Racial Profiling, dass also Personen wegen ihrer ethnischen Herkunft oder ihres Aussehens verstärkt betroffen sind“, sagt Ogorek.
Er stellt auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, denn in Köln und Düsseldorf wurden in den vergangenen zwölf Monaten insgesamt 17.191 Kontrollen durchgeführt, dabei stieß man auf 349 Waffen. Das bedeutet auch, dass der weitaus größte Teil der Betroffenen grundlos Kontrollen über sich ergehen lassen musste.
Leipzig schafft Verbotszone wieder ab
Ob solche Maßnahmen die Verbrechensrate dauerhaft senken, ist nicht einfach zu beantworten. In Leipzig etwa war das Ergebnis ziemlich ernüchternd, weshalb die „Waffenverbotszone“ in der Eisenbahnstraße, die als Kriminalitätsschwerpunkt gilt, wieder abgeschafft wird.
Sie wurde 2018 eingeführt und sollte die Sicherheit der Anwohner erhöhen. Das Sächsische Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung an der Hochschule der Sächsischen Polizei und die Universität Leipzig haben gemeinsam untersucht, welche Auswirkung die Zone auf das Kriminalitätsgeschehen in dem Gebiet hatte.
„Wir werden damit leben müssen“
„Die Auswertung der Daten zeigt, dass die Waffenverbotszone dazu beigetragen hat, bewaffnete, in der Öffentlichkeit begangene Angriffe zu senken. Auf der anderen Seite hatte die Waffenverbotszone kaum positive Auswirkungen auf das übrige Kriminalitätsgeschehen“, bilanziert Sachsens Innenministerium. Der damalige Innenminister Roland Wöller (CDU) meinte: „Die Ergebnisse der Evaluierung der Waffenverbotszone zeigen uns, dass es keinen Schalter gibt, den wir umlegen können, damit Kriminalität abnimmt. Deshalb lautet die Frage nicht in allererster Linie, ob die Waffenverbotszone bestehen bleiben oder abgeschafft werden soll, sondern wie die Sicherheit in dem Quartier erhöht werden kann.“
Für Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) ist die wichtigste Erkenntnis: Anwohnerinnen und Anwohner in der Eisenbahnstraße hätten „dieselben Fragen und Probleme wie in vielen anderen Stadtteilen auch: Sie wollen sichtbare Polizei, Zurückdrängung der Alltagskriminalität und ein sauberes Wohnumfeld.“
Medium: DIE WELT
Datum: 30.12.2022
Autor: Kristian Frigelj