Drohbriefe des "NSU 2.0", rechte Chatgruppen in Dienstverbänden und immer wieder durchgestochene Interna – Skandale scheinen in der Hessischen Landespolizei keine Seltenheit zu sein. Meine Kölner Kollegin Angelika Nußberger, Vorsitzende der unabhängigen Expertenkommission des Wiesbadener Innenressorts, mahnte jüngst: "Für die Polizei in Hessen ist ein kritischer Moment erreicht", und weiter: "Hessen muss ein Exempel statuieren".
Wer im Sinne des Kommissionsauftrags "die gute Arbeit der Polizeibeamten stärken, Fehlverhalten frühzeitig erkennen und ahnden" will, sollte dort anfangen, wo Nachwuchsbeamte auf ihren Dienst vorbereitet werden.
Von einer selbstbewussten, sachlich unabhängigen und konstruktiv-kritischen Ausbildungsstätte könnten wichtige Impulse für ein neues Selbstverständnis und Leitbild der Innenbehörden ausgehen. Die aktuellen Pläne zur Reform der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung (HfPV) weisen indes in eine andere Richtung.
Verschachtelte Polizistenausbildung
Wer den hessischen Ansatz verstehen will, muss sich zunächst die Struktur der Polizeiausbildung in den einzelnen Ländern vergegenwärtigen. Hier finden sich einige Gemeinsamkeiten: Klassische Behörden übernehmen oftmals die Einstellungs- und Vorgesetzten-Aufgaben für Anwärter, Theorie und Praxis werden dagegen an landeseigenen Hochschulen vermittelt. Wer schließlich Beamter ist, kann Fort- und Weiterbildungsangebote bei zentralen Stellen wahrnehmen.
Der nicht unkomplizierte Aufbau des Ausbildungssystems trägt den Unterschieden, die zwischen strenger Polizeiführung einerseits und offenem Wissenschaftsdialog innerhalb der Hochschulen andererseits bestehen, Rechnung und sieht insoweit eine institutionell-organisatorische Trennung vor.
Reform zum Guten?
Hessen hat sich dazu entschlossen, mit der Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS) einen Alleingang zu wagen und einen neuen, so bislang ungekannten Hochschultyp zu schaffen. Neben der HfPV sollen darin auch die – ihrem Namen nach irreführende, weil rein organisatorisch agierende – Polizeiakademie sowie die bislang im Innenministerium angesiedelte Zentrale Fortbildung aufgehen.
Ausweislich des seitens der Landesregierung erarbeiteten Gesetzentwurfs soll die Reform "die Nachwuchsgewinnung fördern und den Wissenschaftsstandort Hessen stärken". Der Entwurf lässt allerdings vermuten, dass die schwarz-grüne Koalition in vielen Punkten ihre selbst gesteckten Zielen nicht erreichen wird.
Selbstverwaltung im Abseits
Bereits die zunächst unscheinbar wirkenden Regelungen zur Besetzung der künftigen Hochschulleitung entpuppen sich bei näherem Hinsehen als handfeste Machtfrage. Abweichend von den allgemeinen Grundsätzen des Hochschulgesetzes bestimmt nicht der Senat den Präsidenten. Vielmehr wählt das Innenressort ihn aus einer von Senat und Kuratorium zu erstellenden Liste aus.
Anders als klassische Hochschulräte, die mit externen Experten besetzt werden, soll das HöMS-Kuratorium hälftig aus weisungsgebundenen Vertretern des Landes bestehen. Gelingt zwischen diesem wenig unabhängigen Gremium und dem Senat die Fertigung einer gemeinsamen Liste, kann das Ministerium ohne Sachgrund von der Reihung abweichen und die Liste wohl auch in Gänze zurückweisen.
Kommt es insofern nicht zu einer Bestellung und ist auch eine weitere vorzulegende Liste aus ministerieller Sicht ungeeignet, darf das Innenressort selbst eine ihm opportune Persönlichkeit bestellen. Hier zeigt sich: Entgegen dem Leitgedanken der akademischen Selbstverwaltung sind es nicht die Lehrenden, Studierenden und Mitarbeitenden, die am Ende über die Hochschulspitze entscheiden.
Der Präsident der HöMS wird Vorsitzender des Senats, akademischer Vorgesetzter und hat die Eilfallkompetenz für alle nicht gesondert bestimmten Regelungsgegenstände. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen insbesondere bei substanziell wissenschaftsrelevanten Personalentscheidungen die Selbstverwaltungsgremien – hier vor allem der Senat – eine zentrale Rolle übernehmen. Gemessen an diesen Maßstäben dürften die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen nicht mehr akzeptabel sein.
Schier unauflösliches Spannungsfeld
Die Ausgestaltung des Präsidentenamtes lässt zudem einen strukturell kaum zu überwindenden Konflikt erkennen. Durch die Zusammenlegung der HfPV als Hochschule, an deren Spitze eine akademische Leitungsperson steht, mit Polizeiakademie und Zentraler Fortbildung, deren Führungen die Verantwortung für polizeibehördliche Angelegenheiten innehaben, treffen den HöMS-Präsidenten grundverschiedene Rechte und Pflichten.
Wer sich vom gesetzgeberischen Reißbrett ab- und den behördlichen Realitäten zuwendet, stellt fest: Die Bündelung von hochschulischen und polizeilichen Aufgaben wird schwerlich als Stärkung des akademischen Teils der HöMS anzusehen sein.
Dies hat wohl auch die schwarz-grüne Koalition erkannt und mit der Einführung eines Vizepräsidenten für polizeiliche Aufgaben versucht, Abhilfe zu schaffen. Er wird in Eigenregie durch das Innenministerium bestellt, muss nicht Fakultätsmitglied sein und "vertritt" den Präsidenten hinsichtlich der bislang von der Polizeiakademie übernommenen Aufgaben, etwa der Dienstherrenrolle gegenüber den Polizeianwärtern.
Hierdurch sollen die in der HöMS zusammengeführten Aufgabenbereiche (wieder) getrennt werden. Verfassungsrechtlich geht diese Rechnung freilich nicht auf. Zum einen bleibt der Präsident als "Vertretener" weiterhin letztverantwortlich für die polizeibehördlichen Belange, zum anderen wird der ministerielle Einfluss auf das Präsidium sogar noch stärker.
Keine Synergien in Sicht
An diesem Konflikt ändern auch die im Gesetzentwurf vorgesehenen drei weiteren, ordentlichen Vizepräsidenten nichts. Diese sind von vornherein nur mit "weichen" Themen wie der Weiterbildung oder Innovationsförderung betraut.
Verwaltungsverschlankungen sind mit dieser aufgeblähten Konstruktion zudem nicht zu erreichen. Das Präsidium der 4.000 Studierende umfassenden HöMS wird künftig größer sein als etwa jenes der Universität Gießen mit ca. 28.000 Studierenden.
Schließlich: Die mit Gründung der HöMS erhofften inhaltlichen Synergien werden sich kaum heben lassen. Grund hierfür ist, dass für hochschulische und polizeibehördliche Aufgaben grundverschiedene Aufsichtsregime gelten. Während die HöMS im akademischen Bereich lediglich einer Rechtsaufsicht unterläge, unterstünde sie hinsichtlich ihrer polizeilichen Aufgaben der ministeriellen Fachaufsicht. Um ein Übergreifen des Innenressorts auf die von der Wissenschaftsfreiheit geschützten Selbstverwaltungsangelegenheiten zu verhindern, wird eine strikte Trennung beider Aufgabenbereiche erforderlich sein. Das Schaffen von Synergien schließt dies beinahe denklogisch aus.
Mutlosigkeit statt Reformwille
Insgesamt kann der Gesetzentwurf nicht überzeugen. Polizeibehörden und Hochschule werden trotz fundamentaler Organisationsunterschiede in einer Einrichtung zusammengefasst. Der Charakter der bisherigen HfPV droht dabei verloren zu gehen. Zugleich sind Ausübung und Umfang der Wissenschaftsfreiheit in Gefahr. Die verfassungsrechtlich notwendigen Trennungen lassen kaum Raum zur Schaffung der gewünschten Synergien und sorgen auch innerhalb der Führungsgremien für umständliche Strukturen.
Hessen braucht stärker als je zuvor eine echte, konstruktiv-kritische und freie Polizeihochschule. Die schwarz-grüne Regierungskoalition sollte die eindeutigen Ergebnisse der Expertenanhörungen aufgreifen und auf die Gründung der HöMS verzichten.
Darüber hinaus bedarf es mehr "echter" wissenschaftlicher Stellen in dem durch Abordnungen geprägten Lehrkörper der HfPV. Zudem wäre der Aufbau eines akademischen Mittelbaus ratsam, der die im jetzigen Gesetzentwurf einzig begrüßenswerte Einführung des Promotionsrechts mit Leben erfüllen könnte.
Medium: Legal Tribune Online
Datum: 20.08.2021
Autor: Markus Ogorek (Gastbeitrag)