FRANKFURT. Recht hat der AStA mit dem, was er über Anfeindungen durch Neonazis schreibt: „Solche Bedrohungen können alle Menschen treffen, egal ob sie Studierende oder Politiker:innen sind.“ Paradoxerweise setzen sich die Studentenvertreter der Goethe-Uni mit dieser Aussage selbst ins Unrecht. Bringt sie doch unfreiwillig auf den Punkt, was den Facebook-Post vom 27. Mai, aus dem das Zitat stammt, juristisch angreifbar macht: Mit Hochschulpolitik hat der Appell zur Solidarität mit Politikern wie Nancy Faeser, die kürzlich einen mit „NSU 2.0“ unterzeichneten Drohbrief erhielt, wenig zu tun. Indem er das gesamtgesellschaftliche Problem des Rechtsextremismus aufgreift – von dem Universitäten wohl eher unterdurchschnittlich betroffen sind –, verstößt er wahrscheinlich gegen das Verbot allgemeinpolitischer Stellungnahmen, das der verfassten Studentenschaft auferlegt ist.
Auch davor hat es den Frankfurter Uni-AStA des Öfteren gedrängt, sich zu Geschehnissen ohne erkennbaren Hochschulbezug zu äußern. Nach den Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei am 1. Mai in Frankfurt schrieb er auf Facebook, die Polizisten seien „enorm brutal“ gegen Demonstranten vorgegangen, „schlugen auf Köpfe ein und brachen Knochen, darunter auch einen Schädel(!)“. Letztere Behauptung ist bis heute unbewiesen. Zunächst enthielt der Post auch noch eine notdürftig maskierte Verbalinjurie gegen den hessischen Innenminister: „In den sozialen Medien erfreut sich derzeit unter dem Hashtag #ffm0105 die Parole ,Peter Beuth ist ein Schwein‘ großer Beliebtheit.“ Als neutrale Link-Information ließ sich das kaum rechtfertigen. Inzwischen hat der AStA diesen Satz entfernt.
Besonders riskant wirkt der Mitteilungsdrang der Jung-Aktivisten angesichts der Tatsache, dass sie erst im Februar vom Frankfurter Verwaltungsgericht über die Grenzen ihres Mandats belehrt worden waren: Die Richter bestätigten weitgehend die Korrektheit einer aufsichtsrechtlichen Verfügung des Uni-Präsidiums, das die Studentenvertreter wegen diverser allgemeinpolitischer Einlassungen auf Facebook und in der AStA-Zeitung abgemahnt hatte.
Kyra Beninga ist es erkennbar unangenehm, dass die jüngsten Facebook-Botschaften ihrer Mitstreiter auch außerhalb des Gerichtssaals kritisch gewürdigt werden. Die AStA-Vorsitzende, die nicht zur Krawallfraktion gehört, hat Mühe, die thematisch weit gefassten politischen Statements plausibel zu rechtfertigen. Mit Blick auf die Stellungnahme zum 1. Mai verweist sie darauf, dass dies auch immer ein studentischer Protesttag gewesen sei – eine historisch gesehen zumindest gewagte These. Einen Facebook-Aufruf zur Klima-Fahrraddemo am 2. Mai (die Erderwärmung ist wohl ebenso wenig ein hochschulspezifisches Unglück wie der Rassismus) verteidigt Beninga mit der Bemerkung, dass am Ende des Beitrags auf die Fahrradwerkstatt des AStA verwiesen werde.
Ob solche Argumente auch die Uni-Leitung überzeugen, wird sich weisen. Das Präsidium hat die Facebook-Posts überprüft und lässt wissen, das Resultat gebe Anlass, „mit dem AStA im Rahmen des turnusmäßigen Jour fixe in eine neuerliche Erörterung über die Grenzen seiner Aufgabenkompetenzen einzutreten“. Man werde die Verantwortlichen daran erinnern, dass geltendes Recht zu respektieren sei, und behalte sich weitere Schritte vor. Beninga wiederum erweckt den Eindruck, dass sie keine Eskalation wünsche. „Wir versuchen, unser hochschulpolitisches Mandat einzuhalten.“ Dass der AStA den Streit nicht fortsetzen wolle, zeige sich auch daran, dass er gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts keine Rechtsmittel eingelegt habe.
Ein fortgesetzter Feldzug gegen die Beschränkungen, die ihnen Universität und Gesetz auferlegen, wäre für die Repräsentanten der Studentenschaft wohl auch wenig erfolgversprechend. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts, die mit Zwangsbeiträgen finanziert werden, steht den ASten nach herrschender juristischer Meinung kein allgemeinpolitisches Mandat zu. Paragraph 77 des Hessischen Hochschulgesetzes gibt ihnen auf, die hochschulpolitischen Belange ihrer Kommilitonen wahrzunehmen, aber auch, deren politische Bildung und staatsbürgerliches Verantwortungsbewusstsein zu fördern.
Wo genau die Grenze zwischen allgemeiner und unispezifischer Politik verläuft, ist nicht immer leicht zu sagen. Nach Worten von Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität Köln, ringen die Gerichte darum, „die abstrakten gesetzlichen Vorgaben zu konkretisieren“. Erlaubt seien Äußerungen zu Studienbedingungen auch in allgemeiner Form und Stellungnahmen, bei denen hochschulpolitische Belange deutlich erkennbar im Mittelpunkt stünden. Richter hätten Studentenvertretern auch schon das Recht zugesprochen, „Professorenthemen“ zu kommentieren – etwa die Frage, ob sich Viren als Biowaffen nutzen ließen. Die Entscheidungen zusammenfassend, versucht sich Ogorek an einer eigenen Definition: „Es muss um Themen gehen, von denen die Studenten als Studenten betroffen sind und nicht als Staatsbürger.“
Für Wilhelm Achelpöhler ist noch ein anderes Kriterium wichtig, um die Zulässigkeit von AStA-Statements zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte maße sich eine Studentenvertretung dann ein allgemeinpolitisches Mandat an, wenn sie sich „nachhaltig“ und „uneingeschränkt“ zu solchen Themen äußere. Achelpöhler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht aus Münster, hat den Frankfurter Uni-AStA vor dem Verwaltungsgericht vertreten. Ob die jüngsten Facebook-Posts rechtswidrig sind, will er nicht ad hoc beurteilen, er ist aber der Ansicht, dass die Frankfurter Richter bei der Beurteilung der AStA-Aktivitäten insgesamt ziemlich strenge Maßstäbe angelegt hätten. Unstrittig ist indes auch für ihn, dass Hinweise auf Schmäh-Links wie jener zu Innenminister Beuth in Stellungnahmen einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft nichts zu suchen haben.
Verwaltungsrechtler Ogorek, früher Präsident der EBS-Universität in Wiesbaden, ist der Meinung, man solle die Redegrenzen für Studentenvertreter „nicht zu rigide und griffelspitzerisch ziehen“. Dass sich junge Leute am politischen Dialog beteiligten, sei ja grundsätzlich wünschenswert. Doch ein zwangsfinanzierter AStA dürfe sich nicht in Agitation verlieren. Der Professor hält denn auch nichts davon, den Konflikt aus der Welt zu schaffen, indem den verfassten Studentenschaften ein allgemeinpolitisches Mandat zugestanden wird – dies hatte unter anderen der Frankfurter Uni-AStA verlangt. Dass sein Wunsch mit der anstehenden Novelle des Hessischen Hochschulgesetzes erfüllt wird, ist (trotz grüner Führung im Wissenschaftsministerium) wenig wahrscheinlich: Im Entwurf für die Neufassung des Gesetzes ist der einschlägige Paragraph bisher unverändert geblieben.
Medium: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Datum: 01.06.2021
Autor: Sascha Zoske