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„Kanzlerin und Minister keine Totschläger“

Exportverbot von Corona-Impfstoffen: Kölner Jura-Professor widerspricht Mainzer Strafrechtler.

 

KÖLN / MAINZ. Macht sich die Bundesregierung des Totschlags durch Unterlassung schuldig, wenn sie im Inland produzierten Corona-Impfstoff außerhalb von Deutschland und der EU exportiert? Dieser vom Mainzer Strafrechtler Professor Volker Erb in einer sechsseitigen Studie veröffentlichten These, die er auch in einem Interview mit dieser Zeitung äußerte, widerspricht der Kölner Staatsrechtsprofessor Markus Ogorek vehement. „In Deutschland wird kein Gericht die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung wegen Totschlags mit der Begründung verurteilen, ein Exportverbot für Impfstoffe sei nicht erlassen worden, oder es sei unterlassen worden, genügend Impfstoff einzukaufen“, sagt der Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität Köln. Das sei eine viel zu verengte Sichtweise.

Der Grund dafür, dass kein Strafverfahren eingeleitet werde, sei nicht etwa, dass die Staatsanwälte Angst vor Repressalien oder beruflichen Nachteilen hätten, sondern weil an den von Erb geäußerten Vorwürfen „juristisch einfach nichts dran“ sei, stellt Ogorek fest. Dass sein Mainzer Kollege, der ein sehr renommierter Strafrechtler sei, seine Studie nicht zunächst in der Fachöffentlichkeit zur Diskussion gestellt habe, bedauert Ogorek. Denn durch den direkten Weg über die Presse entstehe nun „bei weiten Teilen der Bevölkerung ein völlig falscher Eindruck, nämlich dass die Kanzlerin und ihre Minister Totschläger sind“. Das sei faktisch nicht so und aus Ogoreks Sicht rechtlich auch nicht herleitbar.

Erb stütze sich in seiner Argumentation maßgeblich auf den Amtseid der Kanzlerin. Doch die vage Formulierung, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, könne nicht Grundlage strafbewehrter Handlungspflichten sein. Die politisch Verantwortlichen müssten sich vor dem Hintergrund der Grundrechte schützend vor die Bürger stellen. Das sei unstrittig. „Aber solche grundrechtlichen Schutzpflichten sind genauso wie der Amtseid selbst wenig konkret“, sagt der Staatsrechtler.

Regierung hat Abwägungsspielraum

Von der Verfassung gefordert sei ein generelles Mindestmaß an Schutz der Bürger vor dem Virus. Und hier sei die Bundesregierung in den letzten Monaten erwiesenermaßen nicht tatenlos geblieben. Ogorek verweist unter anderem auf Einreisebeschränkungen, Quarantänebestimmungen, Bund-Länder- Gespräche – und auch „auf die vielleicht verunglückte Beschaffung von Impfstoffen“. Von einer strafbewehrten Pflichtverletzung könne daher nicht die Rede sein. Das Bundesverfassungsgericht räume der Regierung bei der Frage, wie sie ihre Schutzpflichten erfülle, ohnehin einen ganzen weiten Abwägungsspielraum ein. „Das sind komplexe und vielschichtige Belange, die abgewogen werden müssen, und da kann es nicht nur eine richtige Lösung geben, die Exportverbot von Impfstoffen heißt“, verdeutlicht Ogorek.

Träfe Erbs Argumentation zu, hätten sich definitiv auch die Länderchefs schuldig gemacht, weil sie nicht frühzeitig einen härteren Lockdown verhängt hätten. „Auch die Mitglieder des Bundestags könnten sich nach dieser Logik strafbar gemacht haben, sie hätten Exportverbote schließlich per Gesetz anordnen können“, stellt Ogorek fest. Praktisches Regierungshandeln sei so nicht mehr möglich. Ogorek weiter: Lägen solche Schutzpflichten vor, würde sich die Bundesregierung auch über die Corona- Maßnahmen hinaus allzu schnell strafbar machen. So würde beispielsweise die Verteidigungsministerin persönlich haften, wenn Sturmgewehre nicht funktionierten. Man könne zudem überlegen, ob die Bundesregierung die Krebsforschung hinreichend finanziert habe. „Das führt zu Ergebnissen, die nicht mehr nachvollziehbar sind“, bringt es der 46- jährige Rechtswissenschaftler auf den Punkt.

 

Medium: Allgemeine Zeitung (Mainz)
Datum: 10.02.2021
Autor: Thomas Ehlke