Die eine peilt den Kripo-Bachelor mit Schwerpunkt Cyberkriminalität an, der andere den Jura-Abschluss für Beamte der Rentenversicherung: Knapp 4.000 Menschen besuchen die Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS). Der Staatsgerichtshof in Wiesbaden befasst sich neuerdings mit der Frage, ob es die Bildungseinrichtung für den öffentlichen Dienst so überhaupt geben darf. Die Oppositionsparteien SPD und FDP haben am Dienstag gemeinsam Verfassungsklage eingereicht.
Denn die Hochschule mit Standorten in Wiesbaden, Kassel, Gießen und Mühlheim am Main gibt es in dieser Rechtsform erst seit diesem Jahr. Sie ist eine Fusion von drei bis dahin getrennten Einrichtungen. So sollten Aus- und Fortbildung bei der Polizei gebündelt werden. Doch die entstandene Mischung aus Hochschule und Polizeibehörde geht nach Meinung der Kritiker gar nicht.
Experte: Es geht ums Ganze
Auch wenn die Hochschule eher klein ist: Nicht weniger als die "Freiheit der Wissenschaft" und die "Balance von Freiheit und Sicherheit" in Hessen stehen nach Meinung des Kölner Jura-Professors Markus Ogorek auf dem Spiel. Der Experte für Öffentliches Recht hat im Namen der Fraktionen von SPD und FDP einen 50-seitigen Antrag auf Normenkontrolle verfasst, der nun beim Staatsgerichtshof im Briefkasten landete.
Der zugleich juristische wie politische Vorwurf: Die Landesregierung halte die in der Verfassung durch Artikel 10 und Artikel 60 gebotene Staatsferne im Fall dieser Hochschule nicht ein. Und das auf bundesweit einzigartige Weise, die nicht zum Muster werden dürfe: "Der Durchgriff ist viel weitreichender, als wir es bisher kennen", sagt Jurist Ogorek. Die Regierung wolle ihre Macht offenbar so weit wie möglich ausweiten, um mögliche Kritik in Forschung und Lehre an der Polizei "mundtot" zu machen.
Alles auf Linie bringen?
So sei der Einfluss auf Leitungsposten wie Präsident, Vize-Präsident und Kanzler zu groß. Letztlich könne der Innenminister den Präsidenten aussuchen - und nach Belieben auch entlassen. Im Senat als Entscheidungsgremium mit Professoren, Studierenden und Mitarbeitern werde der Einfluss der Professoren zugunsten von Dozenten geschwächt, die oft abhängiger vom Land seien.
Zudem sei der Präsident sowohl Hochschul-Chef als auch polizeilicher Dienstherr. In dieser zwiespältigen Rolle werde das Paradox des Unternehmens deutlich: In einer Polizeibehörde müsse gehorcht werden, an der Hochschule dagegen ein freier, kritischer Geist wehen. Das ist laut Ogorek gerade im Fall der wegen rechter Umtriebe in die Schlagzeilen geratenen hessischen Polizei wichtig: In Forschung und Lehre seien "Widerspruch, Kritik und objektiver Bewertung" geradezu geboten - ohne Einschüchterung von oben.
Beuth: Gewagt, aber gelungen
Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, hatte Schwarz-Grün per Gesetz 2021 beschlossen, die hessische Ausbildung für Polizei und Verwaltung neu aufzustellen. Motto: Aus drei mach eins. Die Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung, die Polizeiakademie Hessen und das Referat für Zentrale Fortbildung des Innenministeriums gehören inzwischen als HöMS zusammen. Eine Zentralverwaltung in Wiesbaden, ein gemeinsamer Lehrkörper– nach Meinung des Innenministers bedeutet das neben geldsparender Synergien auch mehr Qualität und einen besseren Transfer zwischen Praxis und Theorie in Ausbildung und Forschung.
Zwar hat Beuth seinerzeit im Landtag eingeräumt: "Wir wagen da einen Spagat." Das Nebeneinander von Hochschule und Polizeibehörde sei sehr wohl "herausfordernd". Grundsätzliche Bedenken wies er aber zurück: "Das Konzept ist durchdacht." So nehme dem Präsidenten sein Vize polizeiliche Aufgaben ab. Am Dienstag schob Beuth bekräftigend nach: Die Reform werde dazu führen, "dass das Land Hessen als Arbeitgeber und im Wettstreit um die klügsten Köpfe noch stärker und attraktiver wahrgenommen wird".
SPD: Verfassungsbruch wiederholt sich
Die Kläger dagegen sind zuversichtlich, dass Beuth die Reform zurücknehmen muss. "Eine Sicherheitsbehörde kann keine Hochschule sein", sagt SPD-Fraktionschef Günter Rudolph. Er verwies darauf, dass der Innenminister und die Landesregierung zuletzt wiederholt durch Verfassungsbruch aufgefallen seien.Der Staatsgerichtshof hatte das umstrittene Corona-Sondervermögen und der Verwaltungsgerichtshof die Beamtenbesoldung gekippt, die bei den unteren Gruppen nicht weit genug über der Höhe der Grundsicherung lag. SPD und FDP prüfen derzeit zudem eine Klage gegen den schwarz-grünen Beschluss, die Chefs von Landeskriminalamt (LKA) und der Polizeipräsidien zu politischen Beamten zu machen.
FDP: Grüne versagen
Es sei "erschreckend, wie wenig Wertschätzung CDU und Grüne unserer Verfassung entgegenbringen", sagte der FDP-Abgeordnete Stefan Müller. Er griff deshalb vor allem die Grünen an: Sie hätten als Korrektiv in der Koalition mit der CDU schon wieder versagt, die Freiheit von Hochschulen und Wissenschaft "dem Koalitionsfrieden" geopfert. Die Grünen wiesen das zurück. Die HöMS sei ein bundesweit einmaliges und zukunftsweisendes Projekt sei.
Medium: Hessischer Rundfunk
Datum: 28.06.2022
Autor: Wolfgang Türk