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Ist der Verfassungsschutz gegenüber der Jungen Alternative eingeknickt?

Kürzlich hat der Verfassungsschutz die AfD-Nachwuchsorganisation als „gesichert extremistisch“ klassifiziert. Kurz danach setzte er die Einstufung wieder aus. Die Gründe dafür sind prozessualer Natur. Materiell bleibt die Bewertung richtig.

 

Bereits seit mehreren Jahren sieht das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verschiedene Organisationen und Leitfiguren des deutschen Rechtsextremismus als größte Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung an. Mediale Beachtung fand insbesondere die Entscheidung des Inlandsnachrichtendienstes, die AfD im Frühjahr 2021 als rechtsextremistischen „Verdachtsfall“ zu klassifizieren. Zwar klagte die Partei gegen ihre Einstufung, das Verwaltungsgericht Köln gab dem Bundesamt aber Recht. Trotz anhängiger Berufung darf das BfV die AfD somit auch unter Verwendung nachrichtendienstlicher Mittel in den Blick nehmen, etwa mittels Telekommunikationsüberwachungen.

Hinsichtlich der Nachwuchsorganisation – der Jungen Alternative – ging das BfV noch einen Schritt weiter und kam im April 2023 zu dem Ergebnis, es handele sich um eine „gesichert extremistische Bestrebung“. Zwar hat sich der Inlandsnachrichtendienst in Reaktion auf eine Klage der Jungen Alternative nun selbst verpflichtet, die Hochstufung zunächst nicht umzusetzen. Hintergrund dieser Entscheidung sind allerdings ausschließlich prozessuale Erwägungen. Neben ihrer eigentlichen Klage, die auf eine inhaltliche Überprüfung der Einstufungsentscheidung gerichtet ist, hat die Nachwuchsorganisation nämlich auch einstweiligen Rechtsschutz beantragt.

In diesem Verfahren nimmt das Verwaltungsgericht lediglich eine Rechtsfolgenprognose vor, bis in der Hauptsache ein Urteil gefallen ist. Da mit Blick auf die ständige Praxis der Justiz gilt, dass die Folgen rechtswidrigen Einstufungen als gravierender anzusehen sind als die verzögerte Umsetzung zulässigerweise erfolgter Kategorisierungen, hätte dem BfV ohne abgegebene „Stillhalteerklärung“ eine gerichtliche Entscheidung ins Haus gestanden, die von außen als Sieg der Jungen Alternative hätte gedeutet werden können. Für die gleiche Vorgehensweise hatte sich das Bundesamt übrigens entschieden, als die AfD gegen ihre „Verdachtsfall“-Einstufung vorging. Dennoch obsiegte es in der Hauptsache.

Radikale AfD-Jugend

Materiell sprechen viele gute Gründe für die Einstufung als „gesichert extremistische Bestrebung“. Im Jahr 2015 wurde die Junge Alternative als Vereinigung durch die AfD offiziell anerkannt. Zu dieser Zeit wechselte auch die politische Ausrichtung ihrer Führungsspitze; nach einem heftigen Richtungsstreit gewannen nationalistisch gesinnte Kräfte die Kontrolle. Ausgerechnet die Unterstützung eines AfD-internen Verfahrens gegen den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke wurde dem bis dahin die Führungsspitze stellenden konservativ-liberalen Lager zum Verhängnis. Seither agiert die Junge Alternative fortwährend radikaler als die Gesamtpartei und geriet dementsprechend auch früher in das Visier des BfV.

Grundlage der aktuellen Bewertung sollen insbesondere Erkenntnisse sein, wonach die Nachwuchsorganisation gezielt Ethnien ausgrenze und Menschen mit Migrationshintergrund abwerte. Die Thesen der Jungen Alternative sind von einem Verständnis geprägt, wonach Muslime massiv diskriminiert werden sollen. Den politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern hält die Organisation einen „Bevölkerungsaustausch“ vor und will gegen die Auflösung des aus ihrer Sicht wahren deutschen Volkskörpers vorgehen. In der Vergangenheit sprachen führende Repräsentanten der Jungen Alternative davon, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe keine Deutschen sein dürfen. Der aktuelle Vorsitzende des AfD-Nachwuchses, Hannes Gnauck, zugleich einflussreicher Bundestagsabgeordneter der Partei, kündigte an, man wolle sich „Deutschland zurückholen“ und sprach von einer „gesellschaftszersetzenden Asylmaschinerie“.

Keine Anzeichen für Gewalt

Auffällig ist indessen, was in den Vorhalten des BfV fehlt: Nämlich das Vorliegen von Hinweisen für eine Orientierung oder gar Appellen zur Gewalt. Deutschland hat – worauf Vertreter der AfD allzu gerne hinweisen – wohl als einziger westlicher Staat einen Inlandsnachrichtendienst, der konsequent auch die Ideologie von unmittelbar gewaltlosen politisch tätigen Parteien sowie Gruppierungen in den Blick nimmt.

Dies ist kein Grund zu rechtsstaatlichen Zweifeln, sondern vielmehr Ausdruck der besonderen historischen Erfahrungen und der daraus mit dem Grundgesetz gewachsenen besonderen Wehrhaftigkeit des deutschen Rechtsstaats. Dennoch hatte es der Verfassungsschutz vor den Gerichten in der Vergangenheit nicht immer leicht, wenn er (vermeintlich) friedliche Gruppierungen mit grundrechtsinvasiven Instrumenten beobachten wollte, zu denen neben der elektronischen Aufklärung insbesondere auch der Einsatz von Vertrauenspersonen zählt.

Vor diesem Hintergrund entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass entscheidende Argumente zugunsten einer Bewertung der Jungen Alternative als verfassungsfeindliche Bestrebung ausgerechnet dem Urteil in Sachen „Verdachtsfall“-Einstufung der AfD zu entnehmen sein dürften. In dieser Entscheidung hatte das Kölner Verwaltungsgericht etwa die Differenzierung zwischen bloßen „Passdeutschen“ sowie „richtigen“ Deutschen als mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar bewertet.

Die Tatsache, dass Einwanderung nicht gänzlich und in jeder Hinsicht abgelehnt werde, heißt es dort weiter, legitimiere nicht einen an ethnisch-abstammungsmäßigen Kriterien anknüpfenden Volksbegriff. Die Forderung nach dem Erhalt einer so gelesenen „deutschen Identität“ sei nicht erst dann verfassungswidrig, wenn sie in der Umsetzung auf Ausgrenzung oder gar auf Gewalt ziele. Im Volkbegriff der AfD sei somit nicht nur ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz sowie die Religionsfreiheit zu sehen, sondern auch ein immanenter Angriff auf die Menschenwürde.

Geringe Erfolgsaussichten vor Gericht

Wer diese Kriterien nun auf die sehr ähnlichen Äußerungen der Jungen Alternative anwendet, vermag die Erfolgsaussichten einer kürzlich durch die Nachwuchsorganisation vor derselben Kölner Kammer erhobenen Klage zu bewerten, die sich gegen die Hochstufung richtet. Maßstab für eine Einordnung sowohl als „Verdachtsfall“ wie auch als „gesichert extremistisch“ sind gleichermaßen Erkenntnisse über eine gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebung. Bereits eine Einstufung als „Verdachtsfall“ kommt also nur infrage, wenn die Positionierungen der in Rede stehenden Gruppierung in inhaltlicher Hinsicht die Grenzen des grundgesetzlich Zulässigen überschreiten.

Für die Einstufung als „gesichert extremistisch“ ist zusätzlich zu fordern, dass die für verfassungsfeindlich befundende Ideologie umfassend und dauerhaft vertreten wird. Angesichts zahlloser diskriminierender Äußerungen von führenden Vertretern der Jungen Alternative über viele Jahre hinweg dürfte es jedoch keine allzu hohe Hürde für das Bundesamt sein, hinreichende Belege dafür beizubringen.

Geht man nach alledem davon aus, dass das BfV genügend Belege für die skizzierten verfassungsfeindlichen Positionierungen vorlegen und die Einstufung der Jungen Alternative schließlich halten kann, wird dies schon aufgrund zahlloser inhaltlicher und personeller Verbindungen kaum folgenlos für die Gesamtpartei bleiben können. Mögliche Zweifel an ihrer ideologischen Verbundenheit hat die AfD jedenfalls bereits ausgeräumt: BfV-Präsident Thomas Haldenwang sei der „neue Goebbels“, „widerlich und demokratiefeindlich“, ließ der Vorsitzende des parteieigenen Bundesschiedsgerichts nach Veröffentlichung der Hochstufungsmeldung zur Jungen Alternative verlauten.

Haldenwang wiederum betonte kurz darauf gleich zweimal, dass Deutschland bereits vor neunzig Jahren durch eine gewählte extremistische Partei in den Abgrund geführt worden sei. Er spricht immer wieder von „geistiger Brandstiftung“ und macht klar, dass er die AfD auf dem Weg ins Abseits sieht. Wer die Äußerungen des Verfassungsschutzpräsidenten aufmerksam verfolgt, dürfte kaum mehr daran zweifeln, dass die Einstufung der Partei als „gesichert extremistisch“ lediglich eine Frage der Zeit ist.

Professor Dr. Markus Ogorek ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln. Luca Manns ist sein Referent und arbeitet auf dem Gebiet des Nachrichtendienstrechts. 
 

Medium: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Datum: 27.06.2023
Autoren: Markus Ogorek und Luca Manns (Gastbeitrag)