Innenminister Herbert Reul und Bauministerin Ina Scharrenbach, die grundsätzlich auch in Frage kämen, verfügen nicht über ein Landtagsmandat. Ein Malus, der ihnen – nach bisheriger Lesart – alle Chancen nimmt, Laschet im Herbst zu beerben. Die Ausgangslage für Reul und Scharrenbach könnte sich durch einen Winkelzug aber auch plötzlich verbessern.
Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, gibt es in der Landespartei nun nämlich Überlegungen, einen anderen Weg als die Nachwahl zu finden, um das Laschet-Erbe zu regeln.
Der Grund seien Bedenken, ob ein Bewerber aus den Reihen des Parlaments auf die erforderliche Rückendeckung in den eigenen Reihen bauen könnte. Die Koalition von CDU und FDP verfügt im Landtag nämlich lediglich über eine Mehrheit von einer Stimme. Das Risiko, bei solch knappen Verhältnissen nur mit den Stimmen der AfD zu einer Mehrheit zu kommen, sei nicht von der Hand zu weisen, heißt es. Es gebe schließlich immer wieder Abgeordnete, die darüber verärgert seien, nicht wieder aufgestellt worden zu sein. Oder die dem Kandidaten die Zustimmung verweigern würden, weil sie noch eine alte Rechnung mit ihm offen hätten.
Ein Konstrukt soll nun Abhilfe schaffen. Man müsse prüfen, ob es nicht möglich sei, die Laschet-Nachfolge bis zur Landtagswahl im Mai 2022 durch einen geschäftsführenden Ministerpräsidenten zu überbrücken, heißt es. Dieser könne einfach aus der Riege der CDU-Minister bestimmt werden. Die Lösung hätte nicht nur den Charme, eine risikobehaftete Nachwahl überflüssig zu machen – sie böte zugleich Reul und Scharrenbach die Chance, auf den Sitz des Regierungschefs zu wechseln.
Überlegungen mit Sprengkraft
Die Überlegungen, die bislang hinter vorgehaltener Hand geäußert werden, bergen enorme politische Sprengkraft. Ob sie rechtlich umsetzbar sind, bleibt allerdings fraglich. Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Uni Köln, hat jedenfalls erhebliche Bedenken.
Die Ernennung sei nur über Umwege zu erreichen, sagte Ogorek unserer Zeitung. „Allenfalls dem Stellvertreter des Ministerpräsidenten billigt die Landesverfassung im Grundsatz eine Vertreterrolle zu, was andere Regierungsmitglieder von vornherein ausschließt.“ Derzeit bekleidet Joachim Stamp (FDP) dieses Amt. „Laschet stünde es rechtlich frei, vor seinem Rücktritt einen anderen Stellvertreter, zum Beispiel einen CDU-Minister, zu benennen.
Stellvertreter muss nicht Mitglied des Landtags sein
Im Gegensatz zu einem regulär gewählten Ministerpräsidenten muss der Stellvertreter kein Mitglied des Landtags sein“, stellt der Rechtsprofessor fest. Durch die Übernahme eines Amtes im politischen Berlin sei nach Auffassung Ogoreks zudem davon auszugehen, dass Laschet ausnahmsweise nicht selbst geschäftsführend bis zur Wahl eines Nachfolgers Ministerpräsident bleiben müsse. Zwar sei dies durch die Verfassung grundsätzlich vorgeschrieben, stünde aber im Widerspruch zur Unvereinbarkeit von bestimmten Bundes- und Landesämtern.
Stamp dürfte übernehmen
Eine Übernahme der Amtsgeschäfte durch den Stellvertreter wäre zur Auflösung dieses verfassungsrechtlichen Konflikts insofern wohl auch im Falle Laschets „als zulässig zu beurteilen; allerdings nur für einen überschaubaren Überbrückungszeitraum“, erklärt der Staatsrechtler.
Dies gelte schon deshalb, weil der durch einen Stellvertreter geführten Landesregierung „ein deutliches Legitimationsdefizit“ anhafte. „Insofern wird von einer durch den Stellvertreter geführten Regierung politische Zurückhaltung gefordert, die sie sehr stark in ihren Handlungsoptionen beschneidet“, so Ogorek. 2002 sei nach dem Wechsel des NRW-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement in die Bundespolitik bereits eine zweiwöchige Regierungszeit seines Stellvertreters kritisiert worden.
Nachfolger muss schnell gewählt werden
Das Fazit des Professors: Für die Zuweisung der Aufgaben des Ministerpräsidenten an ein „einfaches“ Regierungsmitglied fehlt es an einer Rechtsgrundlage. „Die Übernahme der Regierungsgeschäfte ist, wenn überhaupt, nur durch den Stellvertreter des Ministerpräsidenten und nur für einen eng begrenzten Zeitraum möglich“.
Der Landtag sei verfassungsrechtlich gehalten, zeitnah nach dem Ausscheiden Laschets einen Nachfolger zu wählen – und das Amt nicht über Monate hinweg aus parteipolitischen Gründen vakant zu lassen. „Dass hierdurch bestimmten Aspiranten Vorteile erwachsen können, wenn Mitbewerber mangels Landtagsmandats von einer Kandidatur ausgeschlossen sind, ist aus rechtlicher Sicht unerheblich“, sagte Ogorek.
Ob Laschet den Vize-Ministerpräsidenten Stamp durch einen CDU-Minister austauschen würde, ist derzeit politisch schwer vorstellbar. Es wäre ein böser Affront gegen die FDP und würde wohl das vorzeitige Ende der NRW-Koalition einleiten. Ein Knall, der keinen guten Start in den Landtagwahlkampf verspräche und angesichts der rechtlichen Bedenken wohl auch an der Verfassung scheitern dürfte.
Medium: Kölner Stadt-Anzeiger
Datum: 14.05.2021
Autor: Gerhard Voogt