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Herr Höcke und das Haus Deutschland

Äußerungen führender AfD-Repräsentanten in Thüringen zeigen, wie extremistisch die Partei mittlerweile ist. Nur in einem Bereich gibt sich die äußerste Rechte scheinbar zurückhaltender. Ein Gastbeitrag von Markus Ogorek.

 

Vor knapp einem Jahr steht Björn Höcke auf einer Bühne in Erfurt. Viele hören dem thüringischen AfD-Landesvorsitzenden, für den der Gegenprotest auf der anderen Seite des Platzes längst Routine scheint, an diesem Tag zu. »Liebe Freunde«, beginnt Höcke, »es ist nicht einfach, bei einer Demonstration ein Bild zu setzen. Aber ich möchte ein Bild zeichnen von einem Haus, ich nenne es das Haus Deutschland.« Im Laufe der Jahre sei es von mehreren »Hausgemeinschaften« in guter Koexistenz bewohnt worden. Die aktuelle Bundesregierung aber richte das Gebäude als »wild gewordener Hausmeister« mithilfe von »Taugenichtsen« und »Mietnomaden« zugrunde – eine offensichtliche Anspielung auf Einwanderer. »Deutschland schafft sich nicht ab«, schließt der AfD-Landeschef, »Deutschland wird gemordet.«

Wahl aus Überzeugung

Der Auftritt ist in gewisser Weise ein Höcke-Klassiker. Er steigert sich in eine wütende Rede hinein und verliert sich dabei in pseudo-philosophischen Ausführungen. Immer wieder kritisiert er staatliche Entscheidungsträger nicht nur scharf, sondern dämonisiert sie regelrecht. Dabei hetzt er gegen ganze Bevölkerungsgruppen und pauschalisiert in extremer Weise. Zugleich macht er deutlich, wen er tatsächlich als dem Staatsvolk zugehörig ansieht – und dass viele Menschen für ihn nicht dazugehören, obwohl sie den deutschen Pass besitzen.

Wer so spricht, den wird man bei nüchterner Betrachtung als Extremist bezeichnen müssen. Der thüringische Verfassungsschutz hat den AfD-Landesverband auf Grundlage eines nicht öffentlichen Gutachtens als »gesichert extremistisch« eingestuft. Dennoch ist die AfD in Thüringen unter Höckes Führung bei der Landtagswahl am vergangenen Sonntag stärkste Partei geworden. Macht das auch seine Wähler zu Verfassungsfeinden? Die schmerzhafte Antwort lautet: in Teilen ja. Die Nachwahlumfragen haben am vergangenen Sonntag ergeben, dass die Mehrheit der AfD-Wähler der Partei nicht mehr aus »Protest«, sondern inhaltlicher Überzeugung die Stimme schenkte.

Freilich wollen sich das viele nicht eingestehen und bemühen Rechtfertigungsnarrative: So wird etwa behauptet, dass einzelne Äußerungen von Parteivertretern durch politisch-mediale Eliten künstlich aufgebauscht würden und dass den Einschätzungen des vermeintlich »von oben« gesteuerten Verfassungsschutzes ohnehin nicht zu trauen sei. Solche Behauptungen verfangen auch deshalb, weil der Verfassungsschutz öffentlich nicht im Einzelnen aufschlüsselt, welche Belege er für seine Bewertung herangezogen hat.

Rund 150 extremistische Beiträge

Vor diesem Hintergrund haben mein Team und ich uns vor einigen Monaten entschlossen, die Äußerungen bedeutender Repräsentanten der AfD Thüringen aus den letzten zwei Jahren systematisch auf ihre potenzielle Verfassungsfeindlichkeit zu prüfen. Dazu zählen Beiträge von Abgeordneten im Bundestag, Europaparlament, Landtag und Kreistagen sowie von Mitgliedern der Landes- und Kreisvorstände. Berücksichtigt wurde nur öffentlich Zugängliches, beispielsweise auf Facebook, YouTube oder Telegram.

Aus über 1000 gesichteten Beiträgen konnten rund 150 Postings, Podcasts und Videos identifiziert werden, die im Hinblick auf elementare Werte unseres Grundgesetzes als problematisch einzustufen sind – etwa, weil sie Fremdenfeindlichkeit propagieren oder die verfassungsmäßige Ordnung aktiv infrage stellen. Diese Belege können ab sofort unter extremismusmonitor-thueringen.de einschließlich ausführlicher rechtlicher Einordnungen eingesehen werden.

Massive Agitation gegen den (Rechts-)Staat

Besonders alarmierend ist die Art und Weise, wie die Thüringer AfD den demokratischen Rechtsstaat attackiert. Höcke hat wiederholt behauptet, die Justiz sei politisch beeinflusst, das Demokratiefördergesetz als »DDR 2.0« diffamiert und Thüringens Innenminister Georg Maier als »totalitär« sowie die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel als »Deutschlandverächterin« beschimpft. Den sogenannten »Kartellparteien« wirft er vor, ein »Vernichtungswerk« zu betreiben. Diese Äußerungen sind in der AfD keine Einzelfälle: So ließ etwa der wichtige Kreisverband Kyffhäuser-Sömmerda-Weimar verlautbaren, dass die Coronaimpfungen Teil eines umfassenden »Programms zur Zerstörung Deutschlands« seien, und zog dabei Parallelen zum sogenannten Kaufman-Plan von 1941, der die Sterilisation aller deutschen Männer forderte.

Die Feindseligkeiten gegenüber (Rechts-)Staat und politischem Wettbewerb bilden die größte Gruppe der identifizierten Belege. Der ExtremismusMonitor Thüringen untersucht jedoch auch die Vorstellungen des Landesverbands zur Zusammensetzung des deutschen Volkes sowie den häufig beobachteten Fremden- und Minderheitenhass. Höcke nutzt beispielsweise Gewalttaten immer wieder, um pauschal von einer »Messerkultur« und einer »Unkultur der Gruppenvergewaltigung« zu sprechen, die seiner Meinung nach erst infolge der Migration von Menschen aus »kulturfremden Räumen« in Deutschland Einzug gehalten habe.

Zurückhaltung bei direkter Juden- und Muslimfeindlichkeit

Die Studie bringt jedoch auch Überraschendes ans Licht: Zwar lassen sich antisemitische und muslimfeindliche Tendenzen weiterhin dokumentieren, doch im Vergleich zu älteren öffentlichen Äußerungen des Landesverbands zeigt sich hier eine gewisse Zurückhaltung. Wenn das Thüringer Parteiprogramm den orthodoxen Islam pauschal als »politische Religion« diffamiert oder Höcke den Bau eines Minaretts in Erfurt als »Zeichen der Landnahme« bezeichnet, sind dies – so schwer es zu glauben ist – im Vergleich zu früheren Zeiten eher zurückhaltende Töne. Dokumentiert wurde natürlich auch die Parole »Alles für Deutschland«, die sich teils mehrfach und mit Abwandlungen wie »Alles für Weimar« in der Studie findet. Doch inzwischen scheint es sich hierbei eher um eine Provokation infolge der strafrechtlichen Verurteilung Höckes zu handeln. Nur zur Erinnerung: Früher hatte er vom Holocaustmahnmal als einem »Denkmal der Schande« gesprochen.

In gewisser Weise zeigt sich hier die taktische Vorgehensweise der AfD: Angesichts der aktuellen Herausforderungen in der Migrationspolitik verfängt nationalistisches Gedankengut offenbar besser als offener Antisemitismus. Und natürlich sind die Belege unserer Studie auch nur solche, die vonseiten des Landesverbands bewusst für jeden zugänglich gemacht werden. Was in internen Chats oder abendlichen Runden besprochen wird, können wir dagegen nicht nachvollziehen.

Kein Präjudiz für Parteiverbot

Der ExtremismusMonitor Thüringen bestätigt in vielerlei Hinsicht den Eindruck, den man punktuell bereits durch Presse und Rundfunk gewinnen konnte. Die Studie geht aber darüber hinaus, indem sie alle Ebenen des AfD-Landesverbands erfasst und ein detailliertes Gesamtbild zeichnet, das so vielen Bürgerinnen und Bürgern nicht bekannt sein dürfte. Nicht zuletzt Menschen, die der (Thüringer) AfD gegenüber aufgeschlossen sind, soll er Gelegenheit bieten zu hinterfragen, ob die dokumentierten Äußerungen in Inhalt und Ton rechtlich wie politisch akzeptabel sind.

Nach den Landtagswahlen sollte die aufgeheizte Stimmung in den betroffenen Bundesländern nun einer sorgfältigen Analyse weichen – auch und insbesondere unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Koalitionsfähigkeit der AfD. Die Untersuchung zeigt deutlich auf, warum es für unsere Demokratie ein beunruhigendes Signal wäre, den Höcke-Verband in mögliche Regierungsbündnisse einzubeziehen, falls die angestrebten Sondierungen der anderen Parteien zu keinem Ergebnis kommen sollten. Zweifellos stützt der ExtremismusMonitor Thüringen auch die Einschätzungen des Erfurter Verfassungsschutzes, der die Landes-AfD bereits vor einiger Zeit auf Grundlage eines nicht öffentlichen Gutachtens als »gesichert extremistisch« eingestuft hat.

Doch wer glaubt, dies würde den Weg zu einem AfD-Verbot ebnen, verkennt die hohen Hürden des Bundesverfassungsgerichts. Ob es überhaupt zulässig wäre, einen Antrag auf Verbot eines einzelnen Landesverbands zu stellen, ist ebenso unklar wie die Frage, ob die in unserer Studie ermittelten Belege tatsächlich für einen Nachweis seiner Verfassungsfeindlichkeit »in der gesamten Breite« genügten. Vorläufig bleibt daher nur eines: vor Verfassungsfeinden zu warnen – und durch bessere politische Angebote der rechtsextremistischen Partei den Wind aus den Segeln zu nehmen. In Thüringen allein wird dies angesichts der komplizierten Verhältnisse und einer AfD-Sperrminorität im Landtag sicherlich nicht zu lösen sein.
 

Medium: DER SPIEGEL
Datum: 04.09.2024
Autor: Markus Ogorek (Gastbeitrag)