Joachim Drees ist sauer. Das hört man am Telefon, das merkt man beim Treffen in seinem Büro, und das räumt der Arnsberger Unternehmer auch offen ein. Der Geschäftsführer einer Immobilienfirma schimpft mitunter wie ein Rohrspatz. Drees ärgert sich über die gehackte Südwestfalen-IT, über die daraus resultierenden Systemausfälle bei Kreisen und Kommunen in Südwestfalen, von deren Folgen auch seine Vesda GmbH getroffen wurde. Vor allem aber regt sich Drees über den Hochsauerlandkreis (HSK) auf, dem er massive Versäumnisse und „Borniertheit“ vorwirft. Deshalb hat Drees nun den HSK am Landgericht Arnsberg verklagt.
Einerseits geht‘s laut Klageschrift, die der WESTFALENPOST vorliegt, um Schadenersatz in Höhe von lediglich 1633 Euro und 59 Cent, also eine Summe, die „uns nicht in die Insolvenz treibt“, wie Drees sagt. Andererseits geht es um viel mehr, nämlich „ums Prinzip“. Und weil‘s ums Prinzip geht, klagt Drees den HSK nun auch öffentlich an. „Mir geht es um Aufarbeitung – sowohl die Aufarbeitung von Haftungsansprüchen als auch um die politische Aufarbeitung der Ursachen und Folgen der Hackerattacke. Ich möchte nicht, dass die Sache im Sande verläuft. Die Fahrlässigkeit von Behörden bei IT-Themen muss aufhören“, sagt Drees, der findet: „Wenn beim HSK keine Köpfe rollen oder neue Zuständigkeiten eingeführt werden, wird der Schlendrian nie enden.“ Der Arnsberger ist nicht der Einzige in Südwestfalen, der wegen der Systemausfälle infolge des Hackerangriffs auf die SIT Forderungen gegen Kreise oder Kommunen stellt (siehe Infobox weiter unten). Die Erfolgsaussichten der Klage schätzt ein Experte allerdings als gering ein. Das hält Drees aber nicht ab. Es geht ja ums Prinzip.
Unternehmer fordert Kosten-Erstattung
Die Klageschrift von Drees´Firma, der Vesda GmbH, datiert vom 14. März. Das Landgericht Arnsberg bestätigt den Eingang der Klage, äußert sich aber nicht zum Inhalt, da die Klage dem Hochsauerlandkreis noch nicht zugestellt worden sei (wie auch der HSK bestätigt). Laut Drees und Klageschrift geht es um die Übernahme der Kosten für einen Mietwagen. Auf diesen habe die Vesda GmbH zurückgreifen müssen, weil die Zulassung eines Firmenwagens für einen Außendienstmitarbeiter im Herbst infolge des Ende Oktober bemerkten Hackerangriffs auf die Südwestfalen-IT zunächst nicht möglich gewesen sei. Den Firmenwagen habe die Vesda GmbH erst nach Ablauf von 22 Tagen anmelden können, die Mietwagenrechnung habe sich auf 1570,80 Euro belaufen, hinzu kämen beispielsweise Kosten für Reinigung des Mietwagens sowie für Übernahme und Rückgabe. In Summe: 1633,59 Euro (nebst Zinsen).
Wie der HSK bestätigt, hatte seine Versicherung zuvor eine Kostenübernahme abgelehnt. Deshalb klagt Unternehmner Drees nun. Aber auch hierbei geht es ihm wohl weniger um den eigentlichen Schaden, sondern, siehe oben, ums Prinzip. „Was mich wahnsinnig macht, was mich auf die Palme gebracht hat, ist die Borniertheit beim HSK, die fehlende Kooperationsbereitschaft des HSK“, sagt Drees. Er habe dem Kreis die Rechnung für den Mietwagen geschickt. Diese sei vom HSK „stumpf“ an die Versicherung weitergeleitet worden. „Bei mir hat sich nie jemand vom HSK gemeldet“, erzählt Drees.
Der Hochsauerlandkreis – der ab Mitte November Kfz-Zulassungen durch Amtshilfe bei den Kreisen Paderborn und Waldeck-Frankenberg ermöglichte– hält sich bei seiner Stellungnahme zu den Vorwürfen mit Verweis auf das laufende Verfahren zurück, erklärt aber, dass man „mündlich und auch schriftlich“ dem Vesda-Geschäftsführer „kommuniziert“ habe, dass der Fall an die Versicherung (GVV Kommunal) gemeldet worden sei. Diese habe sich mit Drees in Verbindung gesetzt. Im Falle einer Klage würde die Versicherung die Interessen des Hochsauerlandkreises vertreten. Die GVV Kommunal äußert sich auf Anfrage unter anderem aus Gründen des Datenschutzes und der Vertraulichkeit nicht. Von einer Klage wisse man nichts.
Jurist widerspricht
Prof. Dr. Markus Ogorek geht das zu weit. Der Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln erkennt in dem Fall keine Pflichtverletzung des HSK. „Der Vorwurf, der Kreis habe mit dem Ausfall des von vielen Kommunen genutzten IT-Dienstleisters rechnen und eine Ersatz-Infrastruktur aufbauen müssen, überspannt die Anforderungen an den Betrieb staatlicher Infrastruktur“, erklärt der Jurist auf Anfrage. Kfz-Zulassungen und ähnliche kommunale Verwaltungsleistungen beträfen keine besonders kritischen Bereiche wie die Innere Sicherheit, die Energie- oder die Krankenversorgung, für die in Deutschland besondere gesetzliche Anforderungen gelten würden (z.B. redundante Systeme).
„Auch in der Reaktion des Kreises nach dem IT-Angriff kann ich keine Amtspflichtverletzung erkennen, denn innerhalb weniger Wochen wurden diverse Verwaltungsleistungen wieder selbst oder in Nachbarkreisen angeboten. Hierbei handelt es sich um einen hinnehmbaren Zustand, es besteht kein Anspruch des Bürgers auf eine sofortige und jederzeitige Verwaltungsleistung“, so Ogorek weiter. Ohne Kenntnis der genauen Aktenlage sei ihm zwar keine abschließende Einschätzung möglich. Für den – in seinen Augen unwahrscheinlichen – Fall eines Erfolgs der Klage weist der Verwaltungsrechtler darauf hin, dass damit kein „Grundsatzurteil“ vorläge. Jedoch könnte es dazu führen, „dass sich Bürger in anderen, von der Hackerattacke betroffenen Kreisen und Gemeinden zur Klage motiviert sähen“, so Ogorek.
Medium: Westfalenpost
Datum: 02.04..2024
Autor: Jan Reinold