WIESBADEN. Für SPD und FDP im Landtag geht es um einen von „zahlreichen“ Verfassungsbrüchen der hessischen Landesregierung, für den Juristen Markus Ogorek um die „Zukunft der Wissenschaftsfreiheit in Hessen“. Am Dienstag haben die beiden Oppositionsfraktionen einen gemeinsamen Antrag auf Normenkontrolle beim Hessischen Staatsgerichtshof eingelegt.
Jurist: Präsident kann vom Minister bestellt werden
Seit 1. Januar 2022 können Beamte der hessischen Polizei und Tarifbeschäftigte für den allgemeinen Verwaltungsdienst an der neuen hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS) studieren. Diese entstand aus der Fusion der hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung sowie der Polizeiakademie Hessen und der zentralen Fortbildung Hessen – für die Opposition ein „organisatorischer Hybrid“ aus Hochschule und Polizeibehörde, an der Freiheit der Wissenschaft und streng hierarchische Organisation aufeinandertreffen. Der Prozessbevollmächtigte Ogorek, an der Uni Köln Leiter des Instituts für öffentliches Recht und Verwaltungslehre, formuliert es drastischer: hier „Befehl und Gehorsam“, dort die Freiheit der Gedanken, Staatsferne und ein kritischer Blick auf die Polizei – was gerade in Hessen angesichts diverser Polizeiskandale wünschenswert wäre.
Der Jurist macht mehrere Besonderheiten an der HöMS aus. Diese habe die Landesregierung nach der parlamentarischen Anhörung im vergangenen Jahr, die von viel Kritik begleitet worden sei, mit Vorschriften im hessischen Hochschulgesetz verankert, wo sie wie ein Fremdkörper wirkten. „Die HÖMS soll wie eine normale Hochschule wirken, das ist sie aber nicht.“ So könne ihr Präsident theoretisch vom Innenminister ohne Berücksichtigung der Vorschläge von Senat und Kuratorium bestellt und aus „wichtigem Grund“ abberufen werden. Im Kuratorium sind laut Ogorek sieben von 16 Mitgliedern direkt weisungsgebunden, auch im Präsidium gebe es einen „Machtblock“ zur Durchsetzung und Forcierung ministerieller Interessen. „Eine äußerst bedenkliche Konstruktion“, folgert Ogorek, der einen „Dammbruch“ befürchtet, wenn das „negative Vorbild“ der HÖMS Schule mache. Ein weiterer „Etikettenschwindel“ sei die Ausweitung der Statusgruppe der Professoren, die in Hochschulgremien laut Verfassung immer eine Mehrheit haben sollten, um die Selbstverwaltung der Hochschulen zu gewährleisten. An der HöMS gehörten dazu auch Hochschuldozenten ohne wissenschaftliche Befähigung, die leichter beamtenrechtlich abzuordnen seien.
Schwarz-Grün lobt die HöMS als innovatives Projekt
Eine Polizei-Hochschule sei an sich eine „super Sache“, betonte Ogorek. Dazu dürfe man ihr aber kein Label aus Marketinggründen ankleben, sondern müsse auch Kritik zulassen. Daran müsse auch die Polizei nach dem NSU-Skandal, den Vorfällen von Hanau und diversen rechtsextremen Polizei-Chats ein Interesse haben. „Ich hoffe, dass der Staatsgerichtshof die Bedeutung dieses Einzelfalls für den Wissenschaftsstandort Hessen erkennt“, formulierte Ogorek.
Für SPD und FDP reiht sich die „Grenzüberschreitung“ des Verfassungsministers Beuth ein in eine Reihe von tatsächlichen oder vermeintlichen Verfassungsbrüchen der schwarz-grünen Landesregierung – angefangen vom Corona-Sondervermögen über die Alimentierung der Beamten bis zum hessischen Verfassungsschutzgesetz, das teils wortgleich aus Bayern übernommen worden sei, – dort hatte das Bundesverfassungsgericht im April dem Verfassungsschutz mit einem Urteil deutliche Grenzen gesetzt. „Das sind keine Lappalien“, betonte Stefan Müller (FDP), und Günter Rudolph (SPD) sprach von einer „Verrohung der Sitten“, bei welcher der grüne Koalitionspartner erneut nur zuschaue.
Man habe sich „bei dem umfangreichen und äußerst komplexen Gesetzgebungsverfahren“ zur Gründung der neuen Hochschule „intensiv mit den verfassungsrechtlichen Fragestellungen, insbesondere auch mit den im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Bedenken, befasst“ und sei „von der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes überzeugt“, betonte die CDU-Fraktion in einer Reaktion. Ähnlich äußerte sich das Innenministerium auf Anfrage: Das mit der HöMS verbundene Ziel der hessischen Landesregierung sei „die Schaffung einer modernen und zentralen Aus-, Fort- und Weiterbildungsstätte für den gesamten öffentlichen Dienst“. Die Grünen-Fraktion wies darauf hin, die neue Hochschule sei „ein bundesweit einmaliges, innovatives und zukunftsweisendes Projekt“. Dabei sei die Wissenschaftsfreiheit „ein hohes Gut, dessen Wahrung für uns von größter Bedeutung ist“.
Medium: Wiesbadener Kurier
Datum: 28.06.2022
Autor: Sascha Kircher