Unlängst wurde an dieser Stelle Position gegen Pläne bezogen, Jurastudierenden auf dem Weg zum Staatsexamen auch den Erwerb eines integrierten Bachelor of Laws anzubieten (Tiziana Chiusi, „Ein Jodeldiplom?“, F.A.Z. Staat und Recht vom 30. Juni 2022). Eine vermeintlich technische, auf den ersten Blick nur Fachkreise berührende Frage. Dennoch schlug der Beitrag hohe Wellen – in Jurablogs, sozialen Medien und nicht zuletzt den Fluren von Universitäten, Kanzleien und Justiz. Angesichts des im Artikel angeschlagenen, von vielen als sehr harsch empfundenen Tons verwunderte die breit geäußerte Stilkritik nicht. Überraschend war indessen, dass die inhaltliche Verteidigung des Reformansatzes maßgeblich durch Juristen erfolgte, die selbst beide Staatsexamina abgelegt haben und daher nicht in Verdacht stehen, auf einen weiteren Abschluss angewiesen zu sein. Die aktuelle Resonanz beweist, dass die Diskussion um den integrierten Bachelor nicht allein eine Studienreform betrifft, sondern zugleich eine antiquierte Geisteshaltung offenlegt, die zunehmend auch unter Volljuristen für Irritationen sorgt.
Worum geht es in der Sache? Die klassische deutsche Juristenausbildung fußt weitgehend auf einem zweistufigen System nach preußischem Vorbild und sieht neben dem universitären Studium – um das es hier geht – auch ein heute knapp zweijähriges staatliches Rechtsreferendariat vor. Am Ende beider Abschnitte stehen sogenannte Examensprüfungen, die sich unter anderem aus mehreren fünfstündigen Aufsichtsarbeiten sowie einer mündlichen Prüfung zusammensetzen. Nicht nur in Juristenkreisen ist bekannt, dass diese Art der Ausbildung mit enormem Arbeitsaufwand sowie mit teils hohen psychischen Belastungen verbunden ist, Versagens- und Zukunftsängste schwingen fast immer mit. Wer dies pauschal in Abrede stellt, verklärt entweder seine eigene Examenszeit oder hat ganz einfach nie eine deutsche Staatsprüfung abgelegt. Wenn junge Menschen nun aus den verschiedensten Gründen ihr Jurastudium unbeendet lassen (müssen), haben sie bislang nicht selten nach vier, fünf oder bei längerem Studienverlauf gar sechs Jahren lediglich ihr Abitur in der Tasche. An dieser Stelle setzt der integrierte Bachelor of Laws an.
Zwar wurde im Rahmen der Bologna-Prozesse, also der Umstellung fast aller Studiengänge auf das Bachelor- und Master-System, das traditionelle rechtswissenschaftliche Studium ausgeklammert. An den Fachhochschulen hat sich aber längst ein Parallelsystem etabliert, das juristische Programme anbietet, die mit einem Bachelor enden und Namen wie „Wirtschaftsjurist“ tragen. Dorthin weichen schon heute manche aus, die das klassische Staatsexamensstudium abbrechen; ihnen wird sodann ein Teil der universitär erbrachten Leistungen angerechnet und nach wenigen weiteren Semestern ein Bachelor of Laws verliehen. Dieser akademische Grad soll, so die aktuellen Pläne, nun auch ohne den eigentümlichen Umweg und im Rahmen des klassischen Ausbildungswegs erworben werden können. Die im Jurastudium absolvierten Prüfungen zählen nach diesem Ansatz zugleich für das integrierte Bachelorstudium, das nach circa vier Jahren und damit für sehr viele Studierende deutlich vor dem Ende der Ersten Examensprüfung absolviert wäre. Kurzum: Der Bachelor ist keine neue Erfindung, er würde bloß an anderer Stelle angeboten, nämlich an einer Universität und dort integriert in das traditionelle Jurastudium. Private Fakultäten wie die Bucerius Law School und die EBS Law School handhaben dies bereits seit Langem mit großem Erfolg.
Bachelor-Absolventen stehen fast alle Türen offen
Anders als es in der aktuellen Debatte bisweilen anklingt, stünde keineswegs zu befürchten, dass der Abschluss für ein nicht angetretenes oder gar ein nicht bestandenes Staatsexamen vergeben werden und damit einen „Loser-Bachelor“ darstellen könnte. Erbracht werden müssten zu einem Großteil schließlich genau jene Studienleistungen, die auch von Examenskandidaten nachzuweisen sind. Dementsprechend wäre der integrierte Abschluss ganz sicher nicht weniger anspruchsvoll als sein an einer Fachhochschule bislang schon erwerbbares Pendant und entspräche dem in Deutschland überwiegend bestehenden Abschlussniveau, beenden doch fast zwei Drittel aller Studierenden der verschiedensten Fächerkombinationen ihre akademische Ausbildung mit dem Erwerb eines Bachelors. Letzte Zweifel an der Sinnhaftigkeit des alternativen juristischen Abschlusses sollte ein Blick auf die Statistik ausräumen: Zwar bestehen nur fünf Prozent das Erste Examen endgültig nicht, dennoch geht jeder vierte Studierende auf dem Weg zur Staatsprüfung von Bord, im Durchschnitt erst nach fast sieben Semestern. Dass viele dieser jungen Menschen nach bereits mehrjährigem Studium nicht einen spontanen Wunsch zum Fächerwechsel verspüren dürften, sondern sich im System des klassischen Jurastudiums nicht zurechtfinden, ist eine durchaus naheliegende These.
Wer nun behauptet, dies alles sei zwar zutreffend, der Bachelor of Laws mangels adäquater Berufsaussichten allerdings wenig attraktiv, den könnte man leicht mit Hinweis auf an Universitäten bereits angebotene Bachelorprogramme wie „Antike Sprachen und Kulturen“ oder „Linguistik und Phonetik“ widerlegen. Ein solcher abwertender Vergleich ist jedoch weder angezeigt noch vonnöten, denn bis auf die Tätigkeiten als Richter, Staats- und Rechtsanwalt stehen den Bachelor-Absolventen in Zeiten zunehmender Personalknappheit fast alle Türen offen – etwa in den Rechts,- Compliance- oder Personalabteilungen von Unternehmen, Banken, Versicherungen, Kammern oder Verbänden sowie im gehobenen Dienst der öffentlichen Verwaltung. Folgt dann noch ein Masterstudium, was im Ausland nicht selten nur ein Jahr in Anspruch nimmt, wird vielfach sogar eine Promotion möglich.
Bloß am Rande erwähnt sei, dass dort, wo es den integrierten Bachelor schon gibt, auch gen Examina orientierte, leistungsstarke Studierende von der Verleihung profitieren, können sie so doch schon früh als Wissenschaftliches Personal in Kanzleien oder an (zumindest manchen) Universitäten und Hochschulen eine attraktive Nebentätigkeit aufnehmen.
Nach alledem ist es verfehlt, zu unterstellen, es gehe bei der Einführung des integrierten Bachelors allein oder zumindest vorrangig darum, auf irrationale Ängste Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil vermittelt die Diskussion zuweilen den Eindruck, im Mittelpunkt stünden irrationale Ängste einiger Volljuristen, die sich beharrlich gegen beabsichtigte Änderungen im Ausbildungswesen wehrten – ganz nach dem Motto, nur das von ihnen gemeisterte klassische Jurastudium könne als Garant für eine hohe Qualität in juristischen Berufen dienen. Um an dieser Stelle kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Niemand stellt das Staatsexamen infrage, das sich trotz mancher Verbesserungswürdigkeit insgesamt bewährt hat. Es geht auch nicht darum, den Volljuristen vorbehaltene Berufe für Bachelor-Absolventen zu öffnen. Das berechtigte Anliegen der für den universitär-integrierten Bachelor-Streitenden ist es, erbrachte Studienleistungen zu honorieren und ungerechtfertigte Brüche in den Bildungsbiographien junger Menschen zu vermeiden. In der aktuellen Debatte sollte uns nicht die Furcht vor (vermeintlich) Neuem leiten, sondern die Freude, vielen Jurastudierenden endlich mehr Handlungsoptionen bieten zu können.
Medium: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Datum: 14.07.2022
Autor: Markus Ogorek (Gastbeitrag)