Handwerkliche Mängel, vage Regelungen und Zweifel an der Vereinbarkeit mit der Verfassung: Mehrere Sachverständige haben im Innenausschuss des Hessischen Landtags deutliche Kritik am Entwurf eines Gesetzes geübt, mit dem CDU und Grüne Veränderungen im Bereich der Polizei, des Verfassungsschutzes und der öffentlichen Sicherheit vornehmen wollen.
Sie habe „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“ etwa bei der Idee, der Polizei die Videoüberwachung von Flughäfen, Bahnhöfen, Sportstätten, Einkaufszentren und Packstationen zu erlauben, weil dort generell mit Straftaten zu rechnen sei, sagte die Juristin Stefanie Grünewald von der Hamburger Akademie der Polizei am Freitag bei einer Anhörung. Ein „massiver Grundrechtseingriff“ an Orten des alltäglichen Lebens müsse gut begründet sein. Michael Bäuerle von der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (Höms) sagte, diese Regelung würde eine Prüfung durch das Verfassungsgericht „nicht überleben“.
Experte kritisiert „Entgrenzung der Gefahrenabwehr“
Der Rechtswissenschaftler Markus Ogorek von der Universität Köln nahm die Idee sogar als Beispiel für eine von den Sicherheitsbehörden favorisierte „Entgrenzung der Gefahrenabwehr“, die nur durch die „Fiktion einer Gefahr“ legitimiert werde. Insgesamt biete das Gesetz an vielen Stellen zu wenige Anhaltspunkte, wie es von Verwaltung und Gerichten ausgelegt werden solle, kritisierte Ogorek.
Benjamin Rusteberg von der Universität Freiburg urteilte, es gebe zahlreiche „handwerkliche Fehler“ in dem Gesetzesentwurf. An vielen Stellen würden zudem lediglich Regelungen von der Bundesebene übernommen; der hessische Gesetzgeber komme seiner Aufgabe nicht nach. „Es ist überhaupt kein Anspruch mehr da, was Eigenes zu regeln“, beklagte Rusteberg. Der Absatz zur Videoüberwachung sei zudem so allgemein gehalten, „dass der sowieso verfassungswidrig ist“. Auch die vorgesehene automatisierte Analyse von Autokennzeichen sei mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren.
An vielen Stellen geht das Gesetz in die richtige Richtung
Die Hamburgerin Stefanie Grünewald kritisierte auch den Ansatz, eine sogenannte elektronische Fußfessel bei Fällen von häuslicher Gewalt anzuwenden. Hier stelle sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Die vorgesehene Regelung, dass die Polizei die Träger einer Fußfessel bei Problemen telefonisch kontaktieren solle, könne zudem als problematische „Pflicht zum Telefonieren“ aufgefasst werden. Die in dem Gesetzesentwurf enthaltene Vorschrift zur Speicherung von IP-Adressen nannte Michael Bäuerle von der Höms „rechtstechnisch verunglückt“, da sie viel zu allgemein gehalten sei. Auch dass der Verfassungsschutz in Zukunft erst nach zehn Jahren prüfen solle, ob gespeicherte Daten noch gebraucht würden, sei problematisch, so Bäuerle. Es gehe hier erkennbar um „Arbeitserleichterung“ für den Inlandsgeheimdienst, dieser Zweck rechtfertige aber keine Eingriffe in Grundrechte.
Bei aller Kritik bescheinigten die Expert:innen der schwarz-grünen Regierungskoalition, an vielen Stellen in die richtige Richtung zu gehen. So wurde etwa gelobt, dass nach dem Gesetz alle Polizeianwärter:innen vor ihrer Verbeamtung vom Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz überprüft werden sollen. Es sei auch sinnvoll, dass der Verfassungsschutz die Kompetenz bekommen solle, Einzelpersonen zu beobachten, sagte etwa Markus Ogorek von der Uni Köln. Stefanie Grünewald hielt es für sinnvoll, dass die Polizei sich bei präventiven Maßnahmen auch nach richterlichen Entscheidungen aus anderen Bundesländern richten könne, sofern die jeweils geltenden Gesetze ähnliche Kompetenzen vorsähen.
Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist noch nicht berücksichtigt
Die geplanten Neuregelungen zum Verfassungsschutz wurden in der Debatte fast gänzlich ausgespart. Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte nämlich zu Beginn darauf verwiesen, dass das geplante Gesetz wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz vom April noch einmal angepasst werden müsse. Dies werde aller Voraussicht nach über einen Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf geschehen, zu dem es dann im Herbst eventuell eine neue Anhörung geben müsse. Aus der Opposition kam während der Ausschusssitzung die Frage auf, ob es nicht sinnvoll sein könne, den gesamten Gesetzentwurf lieber zurückzuziehen.
Parallel zur Anhörung fand vor dem Landtag eine kleine Kundgebung der Jusos und der „Jungen Liberalen“ statt, die sich vor allem gegen die Ausweitung der Videoüberwachung richtete.
Medium: Frankfurter Rundschau
Datum: 17.06.2022
Autor: Hanning Voigts