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Eltern fühlen sich im Job diskriminiert

Kündigung nach der Elternzeit, Benachteiligung wegen Familiengründung – immer häufiger werden Mütter und Väter an ihrem Arbeitsplatz benachteiligt, sagt Anwältin Sandra Runge. Mit breiter Unterstützung ihrer Initiative will sie eine Gesetzesänderung anstoßen. Ist das sinnvoll?

 

Die Vorfälle ereignen sich unerwartet, unauffällig und oft auch unterschwellig. Das ist das Perfide an Diskriminierung im Allgemeinen. Besonders am Arbeitsplatz, der den Lebensunterhalt garantiert, sind systematische Benachteiligungen aufgrund individueller oder gruppenspezifischer Merkmale mitunter existenzbedrohend. Neben Minderheiten, wie Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderungen zählen immer häufiger auch Mütter und Väter zu Arbeitnehmern, die aufgrund ihres Elterndaseins benachteiligt werden. Dagegen will ein breites Bündnis, die Elterninitiative #proparents, nun vorgehen – und eine Gesetzesänderung erwirken.

Da ist die junge Mutter, die nach der Elternzeit auf einen schlechteren Posten gesetzt wird, da sind frisch gebackene Väter, denen der nächste Karriereschritt verweigert wird, weil sie zwei Monate Elternzeit genommen haben, was inzwischen üblich, aber nicht überall gern gesehen ist. Und da sind die vielen vermeintlich kleinen Sticheleien von Vorgesetzten oder Kollegen gegen Eltern, die öfter fehlen, eher gehen oder später kommen, wenn etwas mit den Kindern ist. Sandra Runge, Arbeitsrechtlerin und Initiatorin der Kampagne #GleichesRechtfüralle, kennt das nur zu gut, auch aus eigener Erfahrung. Nachdem sie vor einigen Jahren Mutter wurde, erhielt sie noch am Tag ihrer Rückkehr in der Kanzlei die Kündigung – ohne jeden betrieblichen Grund.

Mit einer Petition soll nun eine Gesetzesänderung auf Bundesebene angestoßen werden. Das Elternbündnis #proparents fordert die Aufnahme des Diskriminierungsmerkmals „Elternschaft“ in § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) beziehungsweise eine entsprechende Ergänzung des AGG. Dort werden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bisher schon vor Benachteiligung aus sechs Gründen geschützt: ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter, sexuelle Identität. Das Merkmal Elternschaft soll allen mit Kindern zugute kommen – unabhängig von Familienstand und vom Geschlecht: Mütter, Väter, egal ob alleinerziehend oder in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft.

„Diskriminierung von Eltern zieht sich durch alle Unternehmensbereiche und Branchen“, sagt Runge, die solche Fälle als selbstständige Fachanwältin seit nunmehr zehn Jahren hauptberuflich betreut. Zu ihren Mandanten zählten Menschen aus der Kreativbranche, Beschäftigte in mittelständischen oder börsennotierten Firmen, aber auch Zahnärztinnen und Buchhalter. „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem“, sagt Runge. Vor allem Väter rückten zunehmend in den Fokus, weil auch sie immer öfter Elternzeit oder allgemein mehr Erziehungs- und Betreuungsarbeit übernehmen. „Es passiert durchaus, dass auch Männer zum Aktensortieren eingesetzt werden, während sie vorher verantwortungsvolle Posten hatten“, so die Berlinerin. Teilzeitmodelle würden häufig abgelehnt.

Laut Statistischem Bundesamt sind von 20 Millionen Eltern in Deutschland 80 Prozent erwerbstätig, und zwar beide Teile. Die Gruppe der potenziell Betroffenen ist also riesig. Aber ist die Änderung des AGG wirklich zielführend oder wäre sie vielmehr ein Feigenblatt, weil die Arbeitgeber doch immer einen Weg fände, Angestellte loszuwerden? Und welche Chancen hat das Begehren im Petitionsausschuss des Bundestages überhaupt?

Dass es durchaus Sinn macht, das Merkmal Elternschaft ins AGG aufzunehmen, davon ist Jurist Markus Ogorek überzeugt. Der Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln meint: „Es wäre ein modernes System, das Eltern vor Diskriminierungen schützt. Aus meiner Sicht ist die Initiative sehr begrüßenswert.“ Entscheidend im Arbeitsalltag sei, dass sich im juristischen Sinne die Beweislast umkehren würde: Aktuell müssen Betroffene nachweisen, dass sie z.B. am Arbeitsplatz wegen ihrer Kinder diskriminiert wurden, was bislang schon für Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts gelte. Arbeitgeber müssen im Falle von Beschwerden nach jetzigem Stand etwa auch nicht nachweisen, dass es ein faires Bewerbungsverfahren gegeben hat.

Zumindest was Mütter und Väter betrifft, müssten Arbeitgeber nach der geforderten Gesetzesänderung im AGG dann nachweisen, dass alle Mitarbeiter gleich behandelt würden – ob mit oder ohne Kinder. „Eine Diskriminierung zu verschleiern“, so Jurist Ogorek, „werde erheblich erschwert, denn das Unternehmen steht künftig in der Rechtfertigungs-Pflicht. Dadurch würde sich die Rechtsposition der Eltern stärken.“Was Juristen, Politiker und Gesetzgeber nicht verordnen können, ist ein gelebter Kulturwandel. Dabei bedingt alles einander: Je selbstverständlicher und gleichberechtigter Männer wie Frauen, Väter wie Mütter zugleich erfolgreich im Beruf sein können, desto weniger Diskriminierung wird es womöglich geben. Arbeitsstrukturen hängen an Rollenvorstellungen und umgekehrt. Und nicht immer ist Wandel eine Frage der Generation.

„Gesetze sind Motoren für Veränderungen“, meint Sandra Runge. Wohl wissend, dass die Umsetzung der Forderungen auch vom Wohlwollen der Regierenden abhängen. Rund 17.000 Unterschriften haben sie zusammen, das Ziel sind 50.000 bis Ende Mai. Prominente Unterstützer wie CSU-Politikerin Dorothee Bär, Model Marie Nasemann und zahlreiche Blogger rühren die Werbetrommel für die Aktion. Aber selbst wenn die Zielmarke erreicht und die Unterschriften im Petitionsausschuss eingereicht werden, ist noch nicht viel gewonnen. Noch ist offen, ob das Thema etwa im Wahlkampf aufgegriffen und angegangen wird.

Fest steht, dass Deutschland eine EU-Richtlinie zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern zugestimmt hat – zu dessen Inhalt unter anderem ein besserer Kündigungsschutz für Eltern und pflegende Angehörige zählt. „Man wird jetzt etwas tun müssen“, sagt Rechtsexperte Ogorek, „weil die beschlossene EU-Vereinbarkeitsrichtlinie bis spätestens Ende 2022 umgesetzt werden muss.“ Die Elterninitiative sei nicht nur deshalb gut, weil sie ein Thema erkannt habe, sondern weil sie einen konkreten und rechtssicheren Lösungsvorschlag biete.

 

Medium: Rheinische Post
Datum: 01.05.2021
Autorin: Julia Rathcke