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Ein Verfassungstreuecheck für Abgeordnete geht zu weit

Berichte über extremistische Abgeordneten- und Fraktionsmitarbeiter haben eine breite Diskussion über den verstärkten Schutz der Legislative ausgelöst. Der demokratische Rechtsstaat darf dabei nicht über das Ziel des Selbstschutzes hinausgehen.

 

Im Rahmen der auf Ebene von Bund und Ländern verfassungsrechtlich garantierten Freiheit und Gleichheit des Mandats haben Abgeordnete und die von ihnen gebildeten Fraktionen einen Anspruch darauf, bei der politischen Arbeit unterstützt zu werden. Spätestens seit einem Bericht des Bayerischen Rundfunks aus dem März 2024, wonach die AfD mehr als hundert Extremisten im Bundestag beschäftigen soll, wird der Schutz der Parlamente vor genau diesen Mitarbeitern allerdings breit diskutiert.

Den Recherchen zufolge handelt es sich bei den in Rede stehenden Personen nicht nur um Anhänger der vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“, sondern auch um Mitglieder der von staatlicher Finanzierung ausgeschlossenen Partei „Die Heimat“ (vormals: NPD) sowie um rechtsextreme Aktivisten der „Identitären Bewegung Deutschland“.

Trennung von Geld- und Arbeitgeber

Was selbst manchem Politikkenner unbekannt ist: Abgeordneten- und Fraktionsmitarbeiter sind keine Parlamentsbeschäftigten, Amtsträger oder anderweitig für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete. Vor diesem Hintergrund scheiden etwa die Verletzung von Dienstgeheimnissen oder die Bestechlichkeit von vornherein aus. Dies mag überraschen, da zahlreiche Mitarbeiter regelmäßig Zugang zu sensiblen Informationen erhalten und im unmittelbaren Nahfeld von politischen Entscheidungsträgern tätig sind.

Die Arbeitsverhältnisse sind vielmehr privatrechtlicher Natur, auch wenn die Rahmenbedingungen größtenteils durch die Parlamente vorgegeben werden. Den Abgeordneten und Fraktionen steht das Recht zu, Arbeitsverhältnisse unmittelbar mit von ihnen frei ausgewählten Personen einzugehen, während der Staat die finanziellen Mittel hierfür bereitstellt. Diese Konstruktion dient in erster Linie der Statussicherung und der freien Mandatsausübung sowohl der einzelnen Abgeordneten als auch der Fraktionen. Regulierungen gegenüber Mitarbeitern können daher eine mittelbare Beeinträchtigung des freien Mandats zur Folge haben. Zwar handelt es sich bei der Funktionsfähigkeit, Sicherheit und Integrität des Parlaments sowie der freiheitlichen demokratischen Grundordnung um anerkannte Verfassungsgüter, welche grundsätzlich Einschränkungen rechtfertigen können. Bislang schöpfen die Parlamente in Bund und Ländern ihre Handlungsoptionen aber in sehr unterschiedlichem Maße aus.

Instrumentenkasten auf dem Prüfstand

Robustere Maßnahmen wurden inzwischen vor allem im Deutschen Bundestag und dem Landtag Baden-Württemberg implementiert. In den meisten Landesparlamenten haben die Beschäftigten der Abgeordneten und Fraktionen jedoch weiterhin grundsätzlich unbeschränkten Zugang zu allen Liegenschaften sowie der IT-Infrastruktur. Diese privilegierten Rechte werden zumeist – wenn überhaupt – an die Vorlage eines einfachen polizeilichen Führungszeugnisses geknüpft und lediglich bei konkreten Gefährdungen im Einzelfall wieder entzogen.

Vor diesem Hintergrund wird derzeit die Einführung ausgefeilter Zuverlässigkeitsüberprüfungen diskutiert. Dabei soll auch auf gespeicherte Datensätze über die betreffende Person zurückgegriffen werden können, beispielsweise in Informationssystemen der Polizei (Inpol) oder der Nachrichtendienste (Nadis). Dass derartige Überprüfungen grundsätzlich zulässig sein können, hat der baden-württembergische Verfassungsgerichtshof bereits im Jahr 2022 bestätigt und dabei konkrete Kriterien erarbeitet.

Verfassungstreuecheck für Abgeordnete

Einige jüngere Überlegungen gehen noch weiter und fordern formelle Verfahren nach den Sicherheitsüberprüfungsgesetzen – nicht nur für Mitarbeiter, sondern auch für Parlamentarier. Wer Zugang zu eingestuften Vorgängen erhalten oder Mitglied in sicherheitsrelevanten Ausschüssen und Gremien werden möchte, müsste demnach eine intensive Überprüfung seines Lebens durch den Verfassungsschutz über sich ergehen lassen, deren Ergebnisse die Parlamentsverwaltungen bewerten würden. Bislang sind Abgeordnete vom Anwendungsbereich der Sicherheitsüberprüfungsgesetze ausdrücklich ausgenommen. Angesichts der politischen Biographie einiger Parlamentarier wächst jedoch die Sorge, dass diese selbst Informationen an Extremisten oder fremde Mächte verraten könnten. So nachvollziehbar die Forderung nach einer Sicherheitsüberprüfung von Abgeordneten daher im Ansatz sein mag – bei näherem Hinsehen erweist sie sich als verfassungsrechtlich bedenklich und politisch unklug.

Auch wenn bei der Kontrolle nichts herauskommt, dürfte von ihr eine erhebliche Einschüchterungswirkung ausgehen. Da die betroffenen Abgeordneten vielfach mit nachrichtendienstlichen Informationen in Kontakt kommen und somit der höchsten Sicherheitsüberprüfungsstufe unterliegen würden, umfassten die Überprüfungen nicht nur umfangreiche Datenbanksuchen, sondern auch Befragungen von Freunden, der Familie oder Nachbarn. Wenn Parlamentarier sich ständig fragen müssten, welche potentiell kompromittierenden Erkenntnisse der Verfassungsschutz über sie gewonnen hat, könnte dies zu einer zurückhaltenden Kontrolle in Bezug auf die Dienste führen. Gerade weil das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren mehrfach die Stärkung der parlamentarischen Aufsicht eingefordert hat, wären derartige Effekte kaum hinnehmbar.

Weitreichender Ausschluss droht

Unklar ist zudem, welcher Maßstab für die Überprüfungsentscheidungen angelegt werden sollte: Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist stets das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos. Ein solches ist zumindest dann anzunehmen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die Zweifel am jederzeitigen Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung begründen. Die Schwelle ist somit (noch) niedriger angesetzt als bei der verfassungsschutzmäßigen Beobachtung, wo tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebung erforderlich sind. Bereits die Mitgliedschaft in einer als Verdachtsfall eingestuften Vereinigung – wie die AfD-Bundespartei – kann somit Zuverlässigkeitsbedenken rechtfertigen.

Es wäre zwar verfehlt, allzu pauschal an die bloße Mitgliedschaft in einer als Verdachtsfall eingestuften Organisation anzuknüpfen. Nach der Rechtsprechung bedarf es vielmehr einer konkreten verfassungsfeindlichen Betätigung des zu Überprüfenden. Bei lebensnaher Betrachtung geht aktives politisches Engagement für eine verfassungsfeindliche Bestrebung aber oftmals mit einem Eintreten für ihre Positionen einher. Insbesondere bei Bundestagsabgeordneten, die maßgeblich den Kurs ihrer Partei mitbestimmen und sich nicht von dortigen verfassungsfeindlichen Kräften klar abgrenzen, wird daher ein Sicherheitsrisiko regelmäßig bejaht werden müssen. Dies wird nicht zuletzt durch das in den Sicherheitsüberprüfungsgesetzen verankerte Prinzip „in dubio pro securitate“ untermauert, wonach im Zweifel dem Sicherheitsinteresse Vorrang einzuräumen ist.

Würden die geschilderten Pläne also Realität, wäre im Grunde kein Abgeordneter aus den Reihen der AfD mehr zu sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten befugt – obwohl die Partei eine relevante politische Kraft darstellt. Auch anderen Auskunftsansprüchen, etwa bei Kleinen Anfragen, könnten die Regierungen künftig entgegentreten, wenn ihre Antworten eingestufte Informationen enthielten. Dass der hierdurch ausgelöste Eingriff in den Abgeordnetenstatus ohne eine grundlegende Reform des Sicherheitsüberprüfungsrechts schlichtweg unangemessen wäre, liegt auf der Hand.

Kontrolleure von Gnaden des Verfassungsschutzes

Es ist aber auch verfassungspolitisch äußerst bedenklich, wenn gerade diejenigen, die die Nachrichtendienste umfassend kontrollieren sollen, selbst auf ein erfolgreiches Testat des Verfassungsschutzes angewiesen wären, um ihr Mandat auszufüllen. Plakativer ausgedrückt: Abgeordnete, die nur nach einem „Geheimdienst-TÜV“ mit Sicherheitsfragen betraut werden dürften, wären ein wahres Geschenk für die Propaganda deutsche Extremisten wie russischer Einflussagenten. Bereits heute gibt es in Teilen des Landes ein tief verwurzeltes, mitunter von Tatsachen losgelöstes Misstrauen gegenüber dem Verfassungsschutz, das durch die Beschränkung der „wahren Opposition“ (AfD-Selbstbezeichnung) ohne Not angeheizt würde.

Das Ziel, unsere Parlamente vor extremistischen Abgeordneten zu schützen, lässt sich zudem weitgehend mit gerichtlich anerkannten, wenngleich nicht unumstrittenen Mitteln erreichen. Schon heute sind in besonders sensiblen Parlamentarischen Kontrollgremien und Ausschüssen vielfach keine AfD-Abgeordneten vertreten. Das zugrundeliegende parlamentarische Vorgehen, die vorgeschlagenen AfD-Kandidaten schlichtweg im Plenum nicht zu wählen, hat bereits mehrfach justizieller Kontrolle standgehalten. Aufgrund der vom freien Mandat garantierten Wahlfreiheit können die faktisch diskriminierten Fraktionen trotz betroffener Rechtspositionen die Mitgliedschaft nicht einklagen.

Grenzen der Extremismusabwehr

Es ist richtig, dass derartige Einschränkungen bei der Besetzung von ordentlichen Ausschüssen wie dem Verteidigungsausschuss nicht in gleicher Weise möglich sind, da den Fraktionen hier vielfach nicht nur ein Vorschlags-, sondern ein Benennungsrecht zukommt. Ob es zulässig wäre, die Mitgliedschaft jedes Abgeordneten in jedem Ausschuss stets von der Wahl durch das Plenum abhängig zu machen, ist angesichts der damit möglichen, sehr weitreichenden Einschränkungen der formalen Gleichbehandlung fraglich. Vielleicht zeigen sich hier allerdings auch einfach die Grenzen, die der demokratische Rechtsstaat bei aller Wehrhaftigkeit nicht überschreiten darf.
 

Medium: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Datum: 06.09.2024
Autor: Markus Ogorek (Gastbeitrag)