Auch in Köln sorgten die Klimabockladen der „Letzten Generation“ zuletzt für Verkehrsstaus und Frust bei betroffenen Autofahrern. Einige der Aktivisten haben bereits Strafanzeigen wegen Nötigung erhalten. Rechtswissenschaftler Markus Ogorek von der Universität zu Köln erklärt, ob solche Proteste legal sein können, warum die Polizei die Versammlungen auflösen kann und was es mit der sogenannten „Zweite-Reihe“-Rechtsprechung auf sich hat.
Herr Ogorek, eine Handvoll Menschen setzt sich auf die Straße und blockiert den Verkehr, einige kleben ihre Hände auf der Fahrbahn fest, und die Polizei weiß von nichts. Ist das legal?
Markus Ogorek: In der Regel nicht. Zwar sind Demonstrationen entgegen einer landläufigen Meinung nicht genehmigungsbedürftig, unter freiem Himmel müssen sie jedoch spätestens 48 Stunden vor der Einladung zu der Versammlung angezeigt werden. Dadurch soll den Behörden beispielsweise ermöglicht werden, Auflagen zu erteilen. Da die „Klimakleber“ hieran naheliegenderweise wenig Interesse haben, unterlassen sie die Anzeige zumeist – auch wenn ordnungsgemäße Anmeldungen in Einzelfällen bereits zu legalen Straßenblockaden geführt haben.
Könnte man die Aktionen als „Spontanversammlung“ ansehen?
Richtig ist, dass eine Versammlung nicht anzuzeigen ist, wenn sie sich aufgrund eines aktuellen Anlasses augenblicklich bildet. Ob hiervon bei Verkehrsblockaden mit Stoßrichtung „Klimaschutz“ auszugehen ist, dürfte oftmals fraglich sein. Selbst wenn eine spontane Versammlung angenommen werden könnte, befreit dies die Aktivisten nicht von der Befolgung von polizeilichen Auflagen. Spätestens dann, wenn die Polizei die Beendigung der Sitzblockade im Interesse der im Stau Stehenden anordnet und dem nicht Folge geleistet wird, kann die Versammlung aufgelöst werden.
Ab dieser Stelle kann dann das Strafrecht greifen. Was ist der übliche Vorwurf?
Im Raum steht insbesondere die Nötigung gemäß Paragraf 240 StGB – also das Verhindern der Fortbewegung blockierter Autofahrer mittels Gewalt. Dabei ist die sogenannte „Zweite-Reihe“-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu beachten: Gewalt wird demnach nicht auf diejenigen Autofahrer ausgeübt, die unmittelbar vor den Blockierern zum Stopp kommen – denn diese werden am Weiterfahren nur psychisch gehindert, wollen sie doch niemanden überfahren.
Da diese Autos nun aber anhalten, wird für alle dahinterstehenden Wagen eine tatsächliche physische Hürde errichtet. Üblicherweise erfüllen Sitzblockaden mit großem Stauaufkommen daher den Tatbestand der Nötigung. Vielen Aktivisten ist das übrigens völlig klar. Sie machen sich bewusst strafbar, um auf das immens wichtige Thema des Klimaschutzes hinzuweisen, weil aus ihrer Sicht andere und legale Protestformen nicht ausreichen.
Welchen Unterschied macht es, ob sich jemand mit Sekundenkleber auf die Fahrbahn klebt?
Einige Juristen meinen, dass keine Nötigungshandlung vorliegt, wenn Dritte nur kurzfristig und im Rahmen des „sozial Hinnehmbaren“ zu bestimmtem Verhalten gezwungen werden, etwa zum Anhalten eines Autos. Wir sprechen hier über die Dauer von einer, vielleicht von zwei Ampelphasen. Ich halte das schon deshalb für sehr vernünftig, weil das Strafrecht nur die letzte Antwort des Staates sein und nicht leichtfertig zur Anwendung kommen darf. Die Klimaaktivisten zielen mit ihren Sitzblockaden jedoch auf eine möglichst lange Beeinträchtigung – wer sich dann noch festklebt, manifestiert diesen Willen ganz unmissverständlich. Mit anderen Worten: Beim Einsatz von Sekundenkleber ist ein Ausweg über die Sozialverträglichkeit quasi ausgeschlossen.
Manche meinen, die Blockaden seien für eine gute Sache und könnten deshalb keine Straftat darstellen.
Sie sprechen ein sehr spannendes Thema an, nämlich die Frage der Rechtswidrigkeit. Ich habe eben gesagt, dass der Tatbestand der Nötigung bei Klima-Sitzblockaden üblicherweise vorliegt. Das Gesetz spricht allerdings davon, dass zudem das angewandte Mittel, das verfolgte Ziel oder die Kombination aus beidem als „verwerflich“ anzusehen sein muss. Wichtig ist, dass mit „Ziel“ das konkrete Tatziel und nicht irgendein Fernziel gemeint ist. Ziel in diesem Sinne ist also das Entstehen von Staus mittels Gewalt, nicht aber die damit beabsichtigte mediale Aufmerksamkeit für den Klimaschutz. Vor diesem Hintergrund sind auch die wenigen Entscheidungen einzelner Amtsrichter, die eine Strafbarkeit mit Blick auf den „Klimanotstand“ verneinen, kaum vertretbar und werden richtigerweise durch die höheren Instanzen aufgehoben.
Haben Autofahrer, die durch die Wartezeit im Stau finanzielle Nachteile haben, Ansprüche auf Schadensersatz? Handwerker zum Beispiel, die an dem Tag nicht mehr alle Termine abarbeiten können oder Taxifahrer, die ihrer Arbeit nicht nachgehen können?
Diese Frage ist unter Juristen umstritten. Meine persönliche Auffassung ist, dass eine „sittenwidrige vorsätzliche Schädigung“ aus Paragraf 826 BGB durchaus vorliegen kann, bei der Schadensersatz zu leisten ist. Kaum zu bestreiten dürfte sein, dass blockierende Aktivisten Ausfallschäden von im Stau stehenden Personen zumindest billigend in Kauf nehmen. Es kommt daher nur noch auf die Frage der „Sittenwidrigkeit“ an.
Wie bei der Frage der „Verwerflichkeit“ im Nötigungs-Straftatbestand meine ich, dass die anerkennenswerten Fernziele den Blockierern keinen Persilschein ausstellen können, denn ihr unmittelbares Verhalten erweist sich als Missachtung der demokratischen Regeln. Anders wäre es natürlich, wenn Blockaden im Rahmen einer angezeigten Versammlung erfolgen würden – dann sähen die Ordnungsbehörden als eine Auflage aber sicherlich vor, den Protest nach wenigen Minuten zu beenden und die erwähnten Schäden träten nicht ein.
Einige Passanten oder Autofahrer versuchten bei Aktionen in Köln zuletzt, die Demonstranten von der Straße zu zerren oder ihnen Rucksäcke abzunehmen, um den Protest zu unterbinden. Sollte der Protest selbst eine Straftat sein – wären solche Maßnahmen dann erlaubt, um die Straftat zu verhindern?
In Betracht kommt die Notwehr beziehungsweise – wenn beispielsweise Passanten Autofahrern zu Hilfe kommen – die Nothilfe aus Paragraf 32 StGB. Voraussetzung ist, dass gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf ein Rechtsgut vorliegt. Im Falle einer Nötigung darf im Grundsatz jedermann diejenigen Maßnahmen ergreifen, die erforderlich und geboten sind. Wer aus Wut gegen Blockierer tritt oder ihr Gepäck stiehlt, dessen Handlung ist sicherlich von vornherein nicht erforderlich. Wer aber Blockierer mit einfacher Gewalt von der Straße trägt, um diese zu passieren, dürfte grundsätzlich rechtmäßig handeln.
Im Rahmen der „Gebotenheit“ sind allerdings noch weitere Umstände einzubeziehen. Wenn staatliche Hilfe zügig zur Verfügung steht, wie in Form der Polizei, dürfte gewalttätige Notwehr nicht „geboten“ sein. Eher dürfte die Notwehr geboten erscheinen, wenn Sie einen kranken Menschen eilig ins Krankenhaus bringen müssen; umgekehrt kann die „Gebotenheit“ fehlen, wenn Sie sich nur für einen unwichtigen Termin um wenige Minuten verspäten. Da diese Abwägungen einzelfallabhängig sind, wäre meine vorsichtige Faustformel: Einfaches Wegtragen nicht klebender Personen bei andauernder Blockade im Grundsatz zulässig, festgeklebte Aktivisten vom Boden reißen jedoch nur bei akuter Gefahr für überragende Rechtsgüter.
Schon vor den Aktionen wissen nicht nur die Teilnehmer, sondern auch andere Organisatoren und oft auch Journalisten, was wo geplant ist. Sollte der Protest selbst eine Straftat sein – machen sich alle „Mitwisser“ dann womöglich auch mit strafbar?
Das steht meines Erachtens nicht zu befürchten. Von einer Straftat zu wissen, sie aber nicht zu unterstützen, stellt keine Beihilfe dar. In Betracht kommt also nur die in Paragraf 138 StGB geregelte „Nichtanzeige geplanter Straftaten“ als eigenständiges Delikt. Wer Kenntnis von der geplanten Begehung der dort genannten Tatbestände hat und schweigt, verletzt das Recht. Angesprochen sind damit jedoch nur ausgewählte und besonders schwerwiegende Verbrechen, etwa Landesverrat, Mord oder Menschenraub. Mit Blick auf Straßenblockaden als Klimaprotest ist zumindest bislang kein entsprechender Ansatzpunkt erkennbar, der diese Tatbestände berührt.
Medium: Kölner Stadt-Anzeiger
Datum: 24.01.2023
Autor: Alexander Holecek (Interview)