Draußen ist es ungemütlich. Das liegt nicht nur am Schneegestöber und am eisigen Wind. Von Weitem sind am Montagvormittag Rufe auf der Universitätsstraße hören. „Viva, viva Palästina“ und „Stoppt den Genozid“ rufen ein paar Dutzend Demonstranten. Sie laufen mit Palästina-Fahnen und Schildern auf die Universität Köln zu. Polizisten begleiten sie. Es ist eine der zahlreichen propalästinenischen Demos, die in den vergangenen Wochen und Monaten quer durch die Republik stattfanden. Auch hier bricht irgendwann die Israel-Feindlichkeit durch – trotz aller behördlichen Auflagen. „Am Ende lebt Palästina. Und am Ende wird Israel verschwinden“, ruft ein Demonstrant übers Mikro. Die Botschaft ist unmissverständlich.
Auf dem Platz vor der Uni hat die Deutsch-Israelische Gesellschaft Köln (DIG) eine Kundgebung angemeldet. Fotos der von der Hamas entführten Geiseln wurden an einem Bauzaun befestigt. Ein Teilnehmer hält ein Transparent mit der Aufschrift „Nie wieder ist jetzt“, während kaum 100 Meter entfernt die andere Demo lärmt. „Wir stehen hier in Solidarität mit dem Staat Israel und den Jüdinnen und Juden, die Anfeindungen ausgesetzt sind. Wir stehen hier gegen den Versuch einer antisemitischen Raumnahme an dieser Universität“, sagt ein Redner. Vor wenigen Tagen wurden die Fenster des Bistros mit roten Lettern beschmiert „Kein Podium für Genozid“ stand da. Die Scheiben sind längst wieder sauber, doch die Botschaft bleibt: Israel-Feindlichkeit und Antisemitismus sind da, auch und unübersehbar im universitären Bereich. Kölns DIG-Vorsitzender Johannes Platz sieht das als erneuten Beleg für „linken Antisemitismus“ und dass „der israelische Verteidigungskrieg gegen die Hamas mit Genozid in Verbindung gebracht wird“.
Mehr als 100 Tage ist es her, dass Hamas-Terroristen am 7. Oktober israelische Zivilisten massakriert und misshandelt und einen Krieg ausgelöst haben. Während die Demonstranten draußen skandieren, betritt Israels Botschafter Ron Prosor den Hörsaal II. Es gibt starken Applaus zur Begrüßung. Alle Plätze sind belegt, etwa ein Dutzend Sicherheitsleute hat sich im Saal an den Wänden postiert. Prosor wurde zu den „Kölner Gesprächen zu Recht und Staat“ eingeladen, die das Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre unter Leitung von Markus Ogorek organisiert.
Die Universitätsleitung hat sich nach dem Hamas-Terrorangriff früh zur Solidarität mit Israel bekannt. In einem Grußwort bekräftigt Rektor Joybrato Mukherjee, dass man „unverbrüchlich“ an der Seite Israels stehe und dass für Israel-Feindlichkeit sowie Antisemitismus kein Platz an der Uni sei. Institutsleiter Ogorek betont, er wolle mit der Einladung an Prosor auch einen kritischen Diskurs ermöglichen. Die Uni wolle sich nicht den Vorwurf aussetzen, einseitig zu sein.
„Pflicht und Recht, uns zu verteidigen“
Botschafter Prosor hält einen kurzen Impulsvortrag und stellt sich dann den Fragen der Studierenden. Es geht dabei immer wieder um die Frage der Verhältnismäßigkeit beim Vorgehen Israels. Prosor sagt, dass die Zeit gegen Israel spiele, denn je länger der Krieg dauere, desto mehr gerate das Massaker vom 7. Oktober in Vergessenheit. Vor mehr als drei Monaten hatten Terroristen der Hamas mehr als 1200 Menschen auf oft bestialische Weise getötet und mehr als 200 weitere in den Gazastreifen verschleppt. Immer noch werden in dem Küstenstreifen 136 Menschen festgehalten. Von gut 100 Geiseln, die während einer einwöchigen Feuerpause im November im Gegenzug für 240 palästinensische Häftlinge freigekommen waren, beschreiben viele grauenhafte Bedingungen während ihrer Gefangenschaft.
Im Hörsaal betont Botschafter Prosor noch einmal, was der Terrorangriff für Israel bedeutet. „Israel wird nie wieder so sein wie vor dem 7. Oktober“, sagt er. Menschen, vom Baby bis zum Greis, seien wie Vieh geschlachtet und geschändet worden. Die Hamas habe Krankenhäuser, Moscheen, Schulen zu „Terrorinstitutionen“ gemacht. „Es ist unsere Pflicht und unser Recht, uns zu verteidigen, damit sie nie wieder die Möglichkeit haben, so was wieder zu tun.“ Die Hamas und ihre Führung müssten „beseitigt“ werden, sagt Prosor und erntet starken Applaus. Eine Jura-Studentin will wissen, wie Prosor Aussagen von israelischen Regierungsmitgliedern bewertet, die sich für eine Abwanderung von Palästinensern aus dem Gaza-Streifen in andere Länder ausgesprochen hätten. Prosor sagt, dass die Frage berechtigt sei. „Letztendlich“ komme es auf die Entscheidungen an, und das Kriegskabinett werde andere Entscheidungen treffen.
Ein Student fragt Prosor noch, wie eine Friedensordnung aussehen könne „Iran, Iran und wieder Iran“, sagt Prosor. „Iran in dieser Hinsicht ist der Schlüssel.“ Ihm mache die Hisbollah große Sorge, die den Libanon „als Geisel“ genommen habe und mit ihrem Raketenarsenal viel stärker sei als die Hamas. „Wir können es schaffen, wenn wir zusammenarbeiten“, sagt Prosor.
Auf die deutschen Verhältnisse und einen tief verwurzelten Antisemitismus hier im Lande angesprochen, betont der Botschafter, dass die deutsche Regierung viel gegen Antisemitismus tue. Er nennt drei Arten: den linken, den rechten und den muslimischen Antisemitismus. Beim rechten Antisemitismus wisse man sofort genau, womit man es zu tun habe. Beim linken sei das anders. Prosor nennt die Documenta-Kunstschau in Kassel 2022 als Beispiel. Da werde über Monate diskutiert, ob das antisemitisch sei, was da teilweise ausgestellt worden sei. Und beim muslimischen Antisemitismus dürfe erst einmal „From the river to the sea, Palestine will be free“ gerufen werden.
„Israelis und Juden in Berlin haben Angst“, sagt Prosor. Sie trauten sich nicht, draußen, in der U-Bahn, Hebräisch zu sprechen. „Wir müssen alle daran arbeiten.“ Auch dafür bekommt Prosor großen Applaus. Nachher sagt ein Student beim Hinausgehen: „Es war wichtig, dass der Botschafter hier war und ein Zeichen gesetzt hat.“ Draußen sind die Demonstranten inzwischen verschwunden. Ein Nachspiel könnte es noch für die Teilnehmer der propalästinensischen Demo geben. Es habe sich vereinzelt ein Anfangsverdacht auf Volksverhetzung aufgrund von skandierten Parolen ergeben, sagt ein Polizeisprecher. Das müsse noch abschließend bewertet werden.
Medium: DIE WELT
Datum: 15.01.2024
Autor: Kristian Frigelj