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Wasserbad statt Vor-Ort-Verzehr

Studentenwerk wollte Mensen in Gießen, Friedberg und Fulda eigentlich ab Montag wieder öffnen / Jurist meldete „erhebliche Zweifel“ an.

 

GIESSEN - Die Corona-Zahlen sinken und immer mehr Menschen sind geimpft. Zwangsläufig führt das dazu, dass Lockerungen gefordert werden, nicht zuletzt für die krisengebeutelte Gastronomie. In Hessen ist eine Entscheidung darüber auf nächste Woche vertagt worden. Zumal im Moment ohnehin noch die "Bundesnotbremse" greift, die eine normale Öffnung von Restaurants, Cafés und Kneipen gar nicht gestattet. Die Mensen an den Hochschulstandorten Gießen, Friedberg und Fulda sollten ab Montag, 10. Mai, aber zumindest wieder hungrige Studierende sowie Hochschulbedienstete an Ort und Stelle mit zwei warmen Mittagessen, Salatbowls und Desserts versorgen. Der Rechtswissenschaftler Prof. Markus Ogorek sah das kritisch. Zwar sei grundsätzlich zu begrüßen, wenn das Studentenwerk die Lebenssituation der sehr stark unter der Pandemie leidenden Studierenden verbessern wolle. Aus seiner Sicht bestanden aber "erhebliche Zweifel", ob die angestrebte Maßnahme zulässig sei. Am späten Freitagabend hat nun auch der Landkreis Gießen als zuständige Behörde auf Anfrage des Anzeigers mitgeteilt, dass die Auslieferung sowie ein Abverkauf zur Mitnahme erlaubt seien, nicht jedoch der Vor-Ort-Verzehr. Mit "Mensa@home" gibt es dafür noch eine weitere Alternative.

"Endlich können wir gemeinsam wieder einen kleinen Schritt in Richtung Normalität auf dem Campus gehen", informierte Ralf Stobbe, Geschäftsführer des Studentenwerks, Mitte der Woche. Das bewährte Hygienekonzept mit ausreichend Platz auf den zur Verfügung stehenden Flächen sorge dabei "für eine entspannte und sichere Mittagspause". In der Großen Mensa in der Otto-Behaghel-Straße seien dafür knapp 400 Sitzplätze im Innen- und Außenbereich vorhanden, in der Mensa der THM Friedberg insgesamt 50 und an der Hochschule Fulda 130 Plätze. Möglich werde dies dadurch, dass gemäß der am 30. April veröffentlichten Auslegungshinweise zur "Verordnung zur Beschränkung sozialer Kontakte und des Betriebs von Einrichtungen und Angeboten aufgrund der Corona-Pandemie" Hochschulmensen mit nichtöffentlichen Kantinen gleichgesetzt sind. "Und warum sollte das Land dies explizit so aufführen, wenn damit kein Zweck verbunden ist?", zeigte sich Stobbe irritiert ob der geäußerten Bedenken. Gleichzeitig verwies er auf den "gesetzlich vorgegebenen Versorgungsauftrag gegenüber Studierenden". Selbstverständlich sei man damit systemrelevant. Ohnehin habe das Studentenwerk monatelang bewiesen, "dass wir dank unseres strengen Hygienekonzeptes unsere Mensen sicher betreiben können". Maskenpflicht, Abstandsgebot, Händehygiene und das Erfassen von Kontaktdaten seien obligatorisch. Dieser Ansicht schlossen sich Justus-Liebig-Universität und Technische Hochschule Mittelhessen (THM) an. Man vertraue auf funktionierende Hygiene- und Sicherheitskonzepte und gehe davon aus, dass die Rechtslage geprüft worden sei.

Für Markus Ogorek hat diese Argumentation zu kurz gegriffen. Der Jurist ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln und befasst sich mit den Corona-Schutzvorschriften in Bund und Ländern. Seit Einführung der "Bundesnotbremse", so macht er deutlich, gelte in allen Regionen mit einer Inzidenz über 100 vorrangig das Infektionsschutzgesetz (IfSG), dessen Regelungen zu Mensen bewusst sehr eng gefasst seien. Demnach existieren dafür, dass nichtöffentliche Kantinen respektive Mensen in Hochschulen von der Corona-bedingten generellen Schließung ausgenommen sind, klare Vorgaben. Das wäre zum einen, den Zugang ausschließlich auf "Mitglieder der Hochschulen" zu beschränken. Doch das allein reiche nicht aus. Zum anderen müsse der "Betrieb zur Aufrechterhaltung der Arbeitsabläufe beziehungsweise zum Betrieb der jeweiligen Einrichtung zwingend erforderlich" sein (Paragraf 28b Abs. 1 Nr. 7 IfSG). Dies ziele insbesondere darauf ab, die Versorgung in Werkshallen oder dem produzierenden Gewerbe sicherzustellen, erläutert der Staatsrechtler. "Es geht um solche Situationen, in denen für anwesende Mitarbeiter die individuelle Speiseneinnahme nicht in getrennten Räumen möglich ist." Bei Mitarbeitern einer Hochschule treffe das jedoch kaum zu, weil sie die Gerichte aus der Mensa auch in ihren Büros verzehren könnten.

Für ausgeschlossen hält es Markus Ogorek, Hochschulmensen pauschal für alle Studierenden zu öffnen. Denn: "Fast die gesamte Lehre findet online statt, die allermeisten Studierenden sind also gar nicht auf dem Campus." Es könne daher keine Rede davon sein, dass der Hochschulbetrieb zwingend von einer Mensa abhänge, in der gegessen werden kann. "Die Studentenwerke erfüllen an dieser Stelle unzweifelhaft einen wichtigen Auftrag, der sich allerdings unabhängig von dem Betrieb vor Ort darauf richtet, Studierenden möglichst günstige Speisen anzubieten." Dies könne jedoch auch durch einen "To Go"-Service geschehen. Daran änderten selbst belastbare Hygienekonzepte nichts. Solche hätten nämlich auch viele Restaurants erarbeitet, die dennoch geschlossen bleiben müssen. "Das ist schlichtweg kein gesetzliches Kriterium." Die Grenzen setze vielmehr das Infektionsschutzrecht, dessen Ziel es sei, die Grundrechtseinschränkungen für alle möglichst zeitnah zu beenden. Das ursprünglich geplante Angebot des Gießener Studentenwerks "würde hier echte Fehlanreize schaffen, die die 'Bundesnotbremse' verhindern wollte."
 

Medium: Gießener Anzeiger
Datum: 08.05.2021
Autor: Benjamin Lemper