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Die Kommunalwahl wackelt nicht

Wer am 14. März in Hessen beim Bürger punkten will, der sollte vor allem wissen, wie er seine politischen Botschaften digital vermittelt. Die Pandemie lässt den Parteien für klassischen Wahlkampf nur noch wenig Zeit und Raum.

 

RHEIN-MAIN. Obwohl der Lockdown mindestens bis Ende Januar verlängert ist, sieht die Landesregierung keinen Anlass, die dann schon eineinhalb Monate später anstehenden Kommunalwahlen in Hessen zu verschieben. Das sagte ein Sprecher des Innenministeriums auf Anfrage. Die Direktwahlen von Bürgermeistern im Herbst hätten gezeigt, dass es möglich sei, die Stimmabgabe so zu organisieren, dass die Infektionsgefahr gering bleibe. Dass der Wahlkampf bis auf weiteres nicht nach klassischem Muster in Bürgerhäusern, auf der Straße oder an der Haustür geführt werden könne, sei kein Grund, den Termin zu verschieben. Es sei verfassungsrechtlich sogar geboten, am 14. März, zum Ende der Wahlperiode, zu wählen, heißt es im Ministerium. Einen Plan B, falls der Termin nicht zu halten sei, habe man nicht in der Schublade.

Allerdings lassen sich die Bedenken nicht so einfach vom Tisch wischen. Die Prinzipien einer freien, gleichen und geheimen Wahl gelten schließlich schon für die Nominierung der Kandidaten. Obwohl einige Parteitage aufgrund der Corona-Lage kurzfristig abgesagt oder zumindest verschoben und zum Teil virtuell organisiert wurden, liegen dem Innenministerium, dem die Organisation und Überwachung der Wahl obliegen, keine Beschwerden vor.

Stephan Gieseler, Direktor des Hessischen Städtetags, sagt, dass es inzwischen keine Gemeinde mehr gebe, die noch auf eine Verschiebung dränge: „Im November war das kurz ein Thema, hat sich dann aber schnell wieder erledigt.“ Einen Monat später, als die Infektionszahlen wieder deutlich stiegen, waren die Vorbereitungen schon angelaufen, die meisten Wahlzettel gedruckt und die Helfer ausgewählt. Alles wieder rückgängig zu machen hätte einen immensen Aufwand bedeutet und große Kosten verursacht.

Sowohl politisch wie verfassungsrechtlich ist es allerdings eine offene Frage, wie sehr gerade in den Wochen während der „heißen Phase“ des Wahlkampfes auf gewohnte Formen der Kommunikation zwischen Bewerbern und Wählern verzichtet werden kann, weil die Zwänge der Pandemie das direkte Aufeinandertreffen nicht zulassen. Darauf macht der Kommunalrechtler Markus Ogorek aufmerksam und fügt an, schon über die Zeit zuvor, bei der innerparteilichen Demokratie, müsse man darüber nachdenken. Der Kölner Professor hält es daher angesichts verschärfter Corona-Regeln für überlegenswert, zum Beispiel Fristen für die Benennung der Kandidaten und für die Wahllisten zu verlängern oder Quoren für die Beteiligung an den parteiinternen Abstimmungen zu senken. Im Innenministerium verweist man darauf, dass man die Kommunen schon früh gebeten habe, den Parteien diese Zusammenkünfte zu ermöglichen und in Hallen oder Bürgerhäusern Räume zur Verfügung zu stellen, in denen die Hygienevorschriften einzuhalten seien. In Frankfurt entschieden schon im August sowohl CDU als auch SPD im Fußballstadion über ihre Kandidaten für die Kommunalwahl.

Nach Ansicht von Ogorek, der vor seinem Wechsel an die Universität in Köln Präsident der privaten Hochschule EBS in Wiesbaden war, gehört gerade im Kommunalwahlkampf der möglichst unmittelbare Kontakt der Kandidaten mit dem Bürger essentiell zur politischen Willensbildung. Der wurde bisher vor allem durch Kundgebungen in Hallen oder auf Plätzen, durch öffentliche Diskussionsrunden, an Ständen der Parteien an Straßen oder, wie in den vergangenen Jahren zunehmend praktiziert, durch Besuche an der Haustür hergestellt. Wenn diese Möglichkeiten nun durch eine abermalige Verschärfung der Regeln zur Virus-Bekämpfung weiter eingeschränkt würden, sieht der Rechtswissenschaftler den „Wettstreit der Ideen“ sich einer Grenze nähern, an der die Frage, ob noch faire Bedingungen herrschten, politisch wie verfassungsrechtlich gestellt werden müsse. Die Medien, auch die privaten, sind Ogorek zufolge unter diesen Umständen aufgerufen, die politische Debatte noch stärker als bisher zu begleiten.

In einer Gesamtbetrachtung hält der Jura-Professor es dennoch verfassungsgemäß, die Kommunalwahl unter den Bedingungen der Pandemie durchzuführen. Entscheidend sei, dass für alle Parteien die gleichen Umstände herrschten und damit auch die gleichen Chancen, sich darauf einzustellen. Man müsse zudem bedenken, dass dem Gesetz- und Verordnungsgeber ein erheblicher Spielraum bei der Einschätzung und Gestaltung in der Frage zustehe, wie er die Pandemie bekämpfe. Im Innenministerium sieht man das Prinzip der gleichen Wahl durch die Kontaktbeschränkungen nicht verletzt und verweist ebenfalls auf die Möglichkeiten der Bewerber, über die Medien, die Werbung oder auf digitalen Kanälen ausreichend über sich und ihre Vorstellungen zu informieren. Die Rolle des Staates müsse darauf beschränkt bleiben, die Rahmenbedingungen für einen fairen Wettstreit zu schaffen, heißt es.

Der wichtigste Grund, der gegen eine Verschiebung der Kommunalwahl spricht, ist, wie Rechtswissenschaftler Ogorek es nennt, das „im Demokratieprinzip wurzelnde Gebot der Periodizität von Wahlen“. Soll heißen, der Bürger muss sich darauf verlassen können, am Ende der Legislaturperiode wieder neu darüber bestimmen zu können, wer ihn regiert. Darauf verweist auch das Innenministerium. Die eigentliche Wahl ist aus dessen Sicht so zu organisieren, dass die Infektionsgefahr möglichst klein gehalten wird. Für die Option der Briefwahl soll in den Städten und Gemeinden geworben, doch darf diese Möglichkeit nicht als einzige angeboten werden. Auch darüber hatte sich das Ministerium schon vor Wochen mit den kommunalen Spitzenverbänden ausgetauscht.

Laut Städtetag-Direktor Gieseler herrschte Konsens, wenn nur die Briefwahl angeboten würde, geriete man in Gefahr, gegen das Prinzip der geheimen Wahl zu verstoßen. Dabei spielt der Gedanke eine Rolle, in häuslicher Umgebung herrschten eben nicht überall Bedingungen, unter denen man völlig unabhängig seine Kreuzchen machen könne. Dazu ist für manche die Wahlkabine in einem Bürgerhaus der bessere Ort als am heimischen Küchentisch.

Ende März vergangenen Jahres, in der ersten Welle der Pandemie, hatte der Landtag mit großer Mehrheit die für 2020 noch anstehenden 69 Bürgermeister-Wahlen verschoben und dies mit dem Risiko begründet, sich in Wahllokalen oder davor zu infizieren. Weshalb nun, da das Virus an vielen Orten noch deutlich stärker verbreitet ist, diese Gefahr zu beherrschen sei, begründet das Ministerium mit den Erfahrungen, die man gerade bei den inzwischen weitgehend nachgeholten Direktwahlen gemacht habe.

Die Vorgaben lauten: In den Wahllokalen muss alles so arrangiert werden, dass ausreichend Abstand gewahrt werden kann – lieber größer denken ist das Motto, im Zweifel das Wahllokal in einer Sporthalle statt in einem Klassenzimmer einrichten. Desinfektionsmittel müssen ausreichend bereitstehen und Masken getragen werden. Auch die Wähler werden dazu verpflichtet sein, ansonsten begehen sie eine Ordnungswidrigkeit. Allerdings dürfen auch „Masken-Verweigerer“ wählen. Ihnen den Zutritt zu den Wahllokalen zu verwehren, würde voraussichtlich dazu führen, dass die Wahl angefochten wird. Das Innenministerium rät daher dazu, falls diese Personen nicht davon überzeugt werden können, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ihnen die Stimmabgabe unter besonderer Beachtung der Abstandsregel zu gestatten.

Die Wahlhelfer müssen ohnehin Masken tragen – das sei kein Verstoß gegen das Verhüllungsverbot. Eine Bitte hat Innenminister Peter Beuth (CDU) in diesem Zusammenhang an die Ehrenamtlichen, die am 14. März im Einsatz sind, um trotz der Pandemie die Demokratie am Laufen zu halten: Sie sollten darauf achten, dass auch auf der Maske nichts zu erkennen sei, was an der Neutralität der Helfer zweifeln lässt. Ein Parteilogo vor dem Mund kann zu ernsten Komplikationen führen.

 

Medium: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Datum: 09.01.2021
Autor: Helmut Schwan