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Deal zwischen Stadt Kerpen und RWE offenbar rechtswidrig

Mehr als fünf Jahre war die Rahmenvereinbarung unter Verschluss, der WDR machte sie öffentlich. Nun zeigt sich: Der Beschluss verstößt wohl gegen Gesetze und ist deshalb nichtig.

 


Die umstrittene Rahmenvereinbarung zwischen der Stadt Kerpen und dem Kohlekonzern RWE Power ist offenbar rechtswidrig zustande gekommen. Zu diesem Ergebnis kommen unabhängig voneinander zwei renommierte Rechtsexperten. Interne Dokumente der Stadt Kerpen untermauern dies.

Stadtratsbeschluss unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Der WDR hatte die Rahmenvereinbarung vergangene Woche öffentlich gemacht. Seitdem tobt eine Schlammschlacht in der Kerpener Lokalpolitik. 

Zur Erinnerung: In der Vereinbarung sagt die Stadt mit Blick auf den Tagebau Hambach zu, "dass die Weiterentwicklung des Tagebaus von der Stadt Kerpen nicht in Frage gestellt wird". Im Gegenzug ist vereinbart, dass RWE der Stadt "Hilfestellungen und konkrete Projekte" zukommen lässt, darunter "Spenden und Sponsoringmaßnahmen" für Kerpener Vereine.

Eingefädelt hatte den Deal Kerpens Bürgermeister Dieter Spürck (CDU). Am 14. November 2017 hatte der Rat das Papier unter Ausschluss der Öffentlichkeit beschlossen. Die Nichtöffentlichkeit der Sitzung wurde in Spürcks Auftrag als Bürgermeister veranlasst, der Stadtrat erhob damals keine Einwände dagegen. Seitdem war das Papier unter Verschluss. 

Kein eigener Tagesordnungspunkt

Das Zustandekommen der Rahmenvereinbarung steht nun im Mittelpunkt der juristischen Kritik, und zwar in zweierlei Hinsicht.

Einerseits, weil die Rahmenvereinbarung nicht als eigener Tagesordnungspunkt (TOP) im Rat debattiert wurde. Sie wurde stattdessen nur als eine von insgesamt 43 Anlagen mitbeschlossen unter dem sehr anders lautenden Tagesordnungspunkt "Kooperation mit Innogy SE zur Weiterentwicklung der Strom- und Gasnetzgesellschaften". 

Unter diesem TOP wurde damals die Gründung der Kerpener Stadtwerke in Zusammenarbeit mit Innogy behandelt. Innogy war damals eine RWE-Tochterfirma. Genau dazu hatte die Rahmenvereinbarung jedoch keinen inhaltlichen Bezug, bemängelt Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der BSP Business and Law School in Berlin: "Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass sich der Abschluss einer Rahmenvereinbarung unter der Überschrift 'Kooperation mit innogy SE' verbirgt. Dieser Teil hätte daher in einem gesonderten TO-Punkt behandelt werden müssen" teilt er auf WDR-Anfrage mit. 

Zum gleichen Ergebnis kommt Professor Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität Köln. "Die Formulierung des Tagesordnungspunktes gab gar nicht zu erkennen, was am Ende des Tages behandelt wurde. Und das ist rechtlich sehr problematisch", sagt er. Der WDR hat beiden Rechtsexperten die relevanten Dokumente vorgelegt und sie um Einschätzung gebeten.

Spürcks Rathaus war sich Problem offenbar bewusst

Pikant: Ein internes Papier macht deutlich, dass das Rathaus von CDU-Bürgermeister Spürck sich offenbar darüber im Klaren war, dass die Rahmenvereinbarung nichts mit der Innogy-Kooperation zu tun hatte. Das Dokument liegt dem WDR exklusiv vor. In dieser Beschlussvorlage zum Tagesordnungspunkt "Kooperation mit Innogy SE"wird die Rahmenvereinbarung auf der fünften Seite erwähnt - als Anlage mit der laufenden Nummer 40, und zwar unter der Überschrift "Verträge, die den KoopV nicht betreffen". 

Der Beschlussfassung ist zudem ein "Schaubild Verträge" angehängt, auf dem die zahlreichen Anlagen in Beziehung zur Kooperation mit Innogy dargestellt sind. Als einziges Dokument findet sich vollkommen separat, ohne jegliche Verbindungslinie zu anderen Verträgen, die "Rahmenvereinbarung mit RWE Power".

Nichtöffentlichkeit nur unter strengen Voraussetzungen

Als zweiten Punkt bemängeln die Juristen, dass die Rahmenvereinbarung in einer nichtöffentlicher Ratssitzung beschlossen wurde. Dies führte dazu, dass die Vereinbarung selbst sowie der Stadtratsbeschluss dazu für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Kerpen mehr als fünf Jahre lang verborgen blieben.

Denn für Stadtratssitzungen gilt: Sie müssen grundsätzlich öffentlich sein. Jede Einwohnerin und jeder Einwohner muss Zugang dazu haben können. Dadurch soll die Arbeit der Politik transparent sein, die Demokratie gefördert werden. Räte können aber laut Gesetz im Einzelfall entscheiden, dass ausnahmsweise nichtöffentlich getagt wird. Das ist laut Geschäftsordnung des Rates in Kerpen zum Beispiel dann möglich, wenn die Interessen der Stadt oder von Dritten betroffen sind. Also etwa, wenn durch eine öffentliche Sitzung Geschäftsgeheimnisse preisgegeben würden.

"Das setzt allerdings voraus, dass es wirklich um eine vertrauliche Angelegenheit geht", sagt Professor Ogerek. Er könne aber "an diesem Rahmenvertrag mit RWE Power nichts erkennen, was jetzt für besondere Vertraulichkeit sprechen würde".Zu diesem Ergebnis kommt auch Professor Thiele: "Der Umstand, dass diese Rahmenvereinbarung politisch hoch umstritten gewesen sein dürfte und die Öffentlichkeit bewegt hätte, ist dabei (natürlich) kein Grund für einen Ausschluss der Öffentlichkeit – im Gegenteil", teilt er mit.

Rechtsexperten: Ratsbeschluss nichtig

Die damalige nichtöffentliche Beratung verstößt demnach gegen das Transparenzgebot, das dem Schutze der Öffentlichkeit dient - also auch der Information der Wählerinnen und Wähler über das politische Vorgehen der Stadt. Zusammenfassend stellt Professor Ogorek mit Blick auf Tagesordnung und Nichtöffentlichkeit fest: "Diese beiden Rechtsfehler führen meines Erachtens zur Nichtigkeit des Ratsbeschlusses." Auch Professor Thiele zieht diese Schlussfolgerung, er hält den Beschluss für rechtswidrig.

Stadt Kerpen lehnt Stellungnahme ab

Der WDR hat die Stadt Kerpen mit den Feststellungen der Juristen konfrontiert und CDU-Bürgermeister Spürck um Stellungnahme gebeten. Sein Büro lehnte das ab.

Spürck habe nach Korruptionsvorwürfen aus dem Urlaub veranlasst, dass "der Sachverhalt umfassend mit Blick auf alle rechtlich relevanten Dimensionen, die betroffen sein könnten, geprüft wird" und dass "der Rat der Kolpingstadt Kerpen sich in seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause (29. August 2023) mit dieser Thematik beschäftigen wird. Diese Prüfung bitte ich abzuwarten", hieß es in der Antwort aus dem Rathaus. In früheren Stellungnahmen hatte Spürcks Büro den Beschluss der Rahmenvereinbarung stets verteidigt.

Vom WDR konfrontierte Juristen sind unabhängige Fachleute

Zu Beginn der Woche hatte der Rechtsanwalt Hans Decruppe, der auch Fraktionschef der Linken im Kreistag Rhein-Erft ist, Zweifel daran angemeldet, dass die Rahmenvereinbarung rechtmäßig zustande gekommen ist. Der Kölner Stadtanzeiger und die Kölnische Rundschau hatten darüber berichtet. 

Zudem lässt sich die Ortsverbands-Vorsitzende der Kerpener Grünen, Annika Effertz, mit dem Satz zitieren: "Diesen Vertrag nichtöffentlich zu verabschieden ist meiner Rechtsansicht nach einfach rechtswidrig gewesen." Auch sie ist Juristin. Effertz und Decruppe müssen sich aber vorwerfen lassen, parteipolitische Interessen zu verfolgen. Das ist bei den beiden Rechtsexperten, die der WDR konsultiert hat, anders.

Rahmenvereinbarung besteht dennoch fort

Obwohl die vom WDR befragten Juristen den Beschluss des Stadtrats für rechtswidrig halten: Auswirkungen hat das erst einmal nicht. Der Beschluss hat nur "Innenwirkung". Die Rahmenvereinbarung, die die Stadt mit RWE geschlossen hat, besteht unabhängig davon fort. 

Und auch die Ratsmitglieder können wohl nicht mehr gegen den Beschluss klagen. Dafür hätten sie wohl schon in der Sitzung im November 2017 Bedenken anmelden müssen.
 

Medium: Westdeutscher Rundfunk (WDR5 / WDR.DE)
Datum: 21.07.2023
Autoren: Tobias Zacher und Philip Raillon