Markus Ogorek leitet das Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Uni Köln. Dennis Scherer hat mit ihm über Integration und Wahlrecht gesprochen.
Warum müssen Ausländer in Deutschland eigentlich Steuern zahlen, dürfen aber nicht wählen?
Ogorek: Das hängt damit zusammen, dass man im Verfassungsrecht dem Gedanken anhängt, das Staatsvolk bilde in gewisser Weise eine Schicksalsgemeinschaft. Grundsätzlich dürfen also nur Deutsche wählen. Eine Ausnahme gilt für EU-Ausländer, die auf kommunaler Ebene an Wahlen teilnehmen dürfen. Dies ist schon seit 1992 in unserer Verfassung geregelt. Dahinter steht die Überlegung, dass uns Europäer etwas Besonderes verbindet.
Für Menschen die nicht EU-Bürger sind, gilt das aber nicht.
Ogorek: Das ist richtig. Allerdings bleibt Nicht-EU-Ausländern auf der lokalen Ebene die Wahl des Integrationsrates. Natürlich kann man fragen: Warum wird diesen Menschen nicht die Möglichkeit gegeben, die Geschicke des Ortes zu beeinflussen, in dem sie leben? Das war auch ein Grund dafür, dass 1994 der Integrationsrat eingeführt wurde, der damals noch Ausländerbeirat hieß. Er soll dazu dienen, die politische Teilhabe dieser Gruppe zu stärken und ihnen das Gefühl zu geben: Wir gehören dazu, wir können uns einbringen, wir finden Gehör.
Finden Sie, es gehen gute Impulse von den Integrationsräten aus?
Ogorek: Das hängt immer von den Mitgliedern der einzelnen Räte ab: Es gibt Frauen und Männer, die sind extrem engagiert, für sie ist die Tätigkeit geradezu Lebensaufgabe. Andere sind mehr oder weniger in das Amt hineingerutscht. Problematisch ist natürlich: Am Ende hat der Integrationsrat keine echte Kompetenz, Entscheidungen zu treffen, sondern ist auf den Stadtrat angewiesen.
Wird nicht die Integration von Einwanderern verhindert, wenn sie bei Wahlen nicht abstimmen dürfen?
Ogorek: Sie wird jedenfalls nicht erleichtert. Gerade auf kommunaler Ebene ist es politisch wünschenswert, auch Nicht-EU-Ausländer einzubinden. Deutschland hat sich aber immer schwergetan anzuerkennen, dass wir im Grunde ein Einwanderungsland sind. Ich glaube, wenn jemand über eine längere Zeit in einer Stadt gelebt hat und bereit ist, sich einzubringen, sollten wir ihm auch die Möglichkeit geben. Das Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer wäre dafür ein geeigneteres Mittel als die unverbindliche Teilhabe über einen Integrationsrat.
Was müsste passieren, damit Nicht-EU-Ausländer bei der Kommunalwahl abstimmen können?
Ogorek: Das ist eine verfassungsrechtliche Frage, die unter Juristen umstritten ist. Die einen sagen: Es bedarf einer Änderung des Grundgesetzes. Die anderen meinen: Eine Änderung des Wahlrechts in den Bundesländern würde genügen. Falls es einer Verfassungsänderung bedarf, halte ich sie für geboten.
Die Menschen sind heute mobiler als je zuvor. Ist ein solches Wahlrecht überhaupt noch zeitgemäß?
Ogorek: Es erscheint in der Tat antiquiert, was sicher auch der Brexit deutlich macht. Zum Beispiel verliert ein Brite in Bonn nun sein Wahlrecht, weil sein Heimatland die Europäische Union verlässt – auch wenn er vielleicht seit 20 Jahren nur selten auf der Insel war. Will man ernsthaft behaupten, dass der Brexit seine Verbundenheit zur Stadt Bonn infrage stellt?
Welche Konsequenzen hätte es, wenn Nicht-EU-Ausländer bei der Kommunalwahl abstimmen dürften? Welche Parteien würden vermutlich davon profitieren?
Ogorek: Wenn man den Kreis der Wahlberechtigten verändert, hat das natürlich politische Folgen. Das zeigt sich auch bei der Frage, ob das Wahlalter heruntergesetzt werden sollte. Junge Menschen wählen vermutlich weniger häufig konservativ als ältere. Es würde aber sicher zu Veränderungen kommen. Das sieht natürlich nicht jeder gerne. Aber es ist Aufgabe der etablierten Parteien, auch Nicht-EU-Ausländer politisch zu integrieren. Es wäre daher eine positive Entwicklung, wenn ein erweitertes Kommunalwahlrecht dafür sorgen könnte, dass diese Menschen stärker von der Kommunalpolitik wahrgenommen werden. Einige leben schließlich schon seit Jahrzehnten in Deutschland und identifizieren sich sehr stark mit ihrer Heimatstadt.
Medium: Bonner General-Anzeiger
Datum: 27.01.2021
Autor: Dennis Scherer