Über den Umgang des Bundesamts für Verfassungsschutz mit der AfD ist in den vergangenen Wochen viel gestritten worden. Die Behörde setzt sich seit dem Amtsantritt von Thomas Haldenwang vehement gegen den Rechtsextremismus ein und warnt ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend auch vor nicht-gewalttätigen Bestrebungen. Insbesondere in Reaktion auf eine Pressekonferenz vor wenigen Tagen ist jedoch in konservativen Kreisen deutlich lauter zu hören, das Bundesamt überziehe und greife Meinungen an, denen man nicht beipflichten müsse, die aber zweifelsohne zulässig seien. Sicherlich ist es richtig, nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, das bei einem Medientermin durch einen Verfassungsschützer fällt – und doch sollte die Behörde berücksichtigen, dass sie am besten gegen echte Verfassungsfeinde vorgehen kann, wenn sie aufgrund auch rhetorisch klarer Abgrenzungen zu lediglich (sehr) konservativen Thesen möglichst breiten gesellschaftlichen Rückhalt erfährt.
In Bezug auf die AfD lohnt sich der Blick auf eine Entscheidung, die kürzlich nicht der Verfassungsschutz, sondern die unabhängige Justiz getroffen hat. Das Verwaltungsgericht (VG) Köln, örtlich für das Bundesamt zuständig, hatte die Einstufung der AfD-nahen Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ (JA) als „gesichert extremistisch“ zu bewerten. Formell im Eilverfahren, investierte das Gericht dennoch viel Arbeit – sein mehr als 70 Seiten langer Beschluss fällt eindeutig aus. Die Richter heben hervor, dass sie die „Junge Alternative“ ebenfalls mit „Gewissheit“ für verfassungsfeindlich erachten. Ihre Forderung nach einem Ausschluss aller „ethnisch Fremden“ verstoße gegen die Menschenwürde, die JA handele massiv ausländer- sowie islamfeindlich. Sogar gegen das Demokratieprinzip agitiere sie mit andauernden und unsäglichen NS-Vergleichen. Die Wortwahl des Gerichts ist hier sehr nahe an dem, was das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Ausschluss von der Parteienfinanzierung über die NPD geschrieben hatte. All jene, die sich eine weniger „woke“ Gesellschaft wünschen oder die Prioritätensetzung beim Klimaschutz für verfehlt halten und (nur) deshalb der AfD zugeneigt sind, sollten an dieser Stelle ernstlich darüber nachdenken, in wessen Reihen sie sich stellen.
Wer sich näher mit der AfD befasst, wird seit langem wissen, dass die JA neben dem von Björn Höcke dominierten und nur faktisch aufgelösten „Flügel“ am radikalsten auftritt. Vor diesem Hintergrund hat unter anderem der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum gefordert, statt eines komplexen Verbots der AfD zunächst ihre Um- und Vorfeldorganisationen in den Blick zu nehmen. In der Tat lässt sich nicht leugnen: Eine bloße Vereinigung lässt sich deutlich einfacher verbieten als eine politische Partei. Zuständig dafür sind die Innenministerien in Bund und Ländern. Allerdings meinen einige Stimmen, die JA profitiere aufgrund ihrer Nähe zur AfD vom Parteienprivileg und könne daher nicht durch ministerielles Vereinsverbot aufgelöst werden. So sei der Nachwuchsverband organisatorisch und personell mit der Partei verknüpft und offiziell durch die AfD anerkannt.
Zunächst mag dies überzeugend klingen, doch überdehnt eine solche Argumentation den verfassungsrechtlichen Schutz von Parteien. Überspitzt gesagt: Auf die Jugend- folgt als nächstes die Seniorenvereinigung, danach werden lokale Demonstrationsbündnisse aufgenommen, und am Ende gibt es vielleicht noch einen parteinahen Verlag, der auch unter den Schutzbereich fiele. Wären all diese Gebilde stets nur dann auflösbar, wenn das Bundesverfassungsgericht die Mutterpartei verboten hat, könnten politische Parteien alle Organisationen in ihrem Umfeld vom allgemeinen Zugriff des Vereinsrechts befreien. Das wäre bei AfD-nahen Gruppierungen aus staatsrechtlichen Erwägungen ebenso misslich wie bei allen anderen Parteien. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung bekräftigt, dass diese durch ihre parteiseitige Anerkennung zwar einen rechtlich relevanten Bezug zur AfD aufweise, nicht aber ein Teil von ihr sei. Wenn sich die „Junge Alternative“ bewusst als eigenständiger Verein und nicht innerhalb der AfD organisiert hat, sich damit also sogar von ihr lösen könnte – dann muss sie sich Maßnahmen nach dem Vereinsrecht gefallen lassen. Mit der Begründung, die das VG Köln geliefert hat, stünden die Aussichten alles andere als schlecht, dass die Justiz ein Vereinsverbot durch die Innenbehörden bestätigen würde.
Weshalb eine Ausweitung des grundgesetzlichen Schutzes von Parteien auf Gruppierungen in deren jeweiligem Umfeld so gefährlich ist, zeigt sich exemplarisch anhand weiterer Vereinigungen, die der AfD nahestehen. Früh hat die Partei die Bedeutung eigener Medien erkannt, in Social Media und klassisch auf Papier. Das „Compact“-Magazin oder „PI-News“ verbreiten gezielt Propaganda und gewinnen gerade über Online-Kampagnen teils beträchtliche Reichweiten. Sorgen machen sollten jedoch vor allem die Organisationen des neurechten Vordenkers Götz Kubitschek. Sein „Institut für Staatspolitik“ bietet ideologische Veranstaltungen an, in denen Rechtsextreme so zu argumentieren lernen, dass es bei konservativen Menschen Anklang findet. Auch eine eigene Zeitschrift mitsamt Online-Blog sowie einen Verlag hält Kubitschek vor. In Letzterem ist unter anderem das „Remigrations“-Buch von Martin Sellner erschienen, der als Vertreter der „Identitären Bewegung“ seit dem umstrittenen Potsdamer „Geheimtreffen“ in aller Munde ist. Um es klar zu sagen: Es sind die Netzwerke Kubitscheks und seiner Epigonen, in denen AfD-Kader radikalisiert und geschult werden.
Solche Akteure werden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, aber sie bereiten in enger Zusammenarbeit etwa mit der „Jungen Alternative“ jener Ideologie den Weg, als deren Inhalt das Kölner Verwaltungsgericht „rassisch motivierte Diskriminierung“ ausgemacht hat. Namentlich das Bundesinnenministerium sollte endlich den Mut haben, diese Strukturen zu zerschlagen: zum Schutz der von ihrem Hass betroffenen Minderheiten, aber auch und vor allem, um die Grenze zum Extremismus klar zu kennzeichnen.
Medium: Kölner Stadt-Anzeiger
Datum: 22.02.2024
Autoren: Markus Ogorek und Luca Manns (Gastbeitrag)