Wiesbaden/Köln - Fast 190 Millionen Corona-Impfungen wurden in Deutschland durchgeführt. Bei den meisten Menschen ist dabei alles gut gegangen. Impfschäden sind sehr selten – aber es gibt sie. Noch immer würden sich täglich Betroffene mit schweren Erkrankungen in seiner Kanzlei melden, die nach der Corona-Impfung aufgetreten sind, erzählt der Wiesbadener Rechtsanwalt Joachim Cäsar-Preller. Er vertritt mittlerweile mehr als 500 Mandanten, die Komplikationen erlitten haben. In 18 Fällen hat er Klage eingereicht. Es geht um Schadensersatz und Schmerzensgeld infolge schwerer Impfnebenwirkungen wie Thrombosen, Herzerkrankungen, Schlaganfälle und Autoimmunerkrankungen.
Die Hürden für die Kläger seien hoch, berichtet Cäsar-Preller. Die Kläger müssten den Impfstoffherstellern nämlich grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz nachweisen – anders als üblicherweise im Arzneimittelgesetz geregelt. Denn grundsätzlich müssen pharmazeutische Hersteller immer haften, wenn durch das von ihnen in Verkehr gebrachte Arzneimittel ein Mensch zu Schaden kommt.
Anwalt kritisiert „Doppelprivilegierung der Hersteller“
Diese sogenannte Gefährdungshaftung hatte der Gesetzgeber jedoch, lange bevor die ersten Impfstoffe auf den Markt kamen, außer Kraft gesetzt. Im Mai 2020 hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Rechtsverordnung, die sogenannte MedBVSV, erlassen: Diese dient der Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus Sars-CoV-2 verursachten Epidemie. Zu diesem Zweck wurden auch Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz verfügt, die unter anderem auch die Haftung betreffen.
„Das hat es noch bei keinem anderen Arzneimittel gegeben“, sagt Rechtsanwalt Cäsar-Preller. Den Herstellern sei damit in zweifacher Hinsicht eine Privilegierung eingeräumt worden. „Einerseits haften sie nur bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz und andererseits – wenn sie dann doch mal zahlen müssen – bekommen sie den Schaden auch noch vom Staat erstattet. Das ist eigentlich eine Doppelprivilegierung. Das ist absolut einmalig.“
Um die Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 zu fördern und die von den Herstellern hierbei eingegangenen finanziellen Risiken zu reduzieren, sehen die von der Europäischen Kommission mit den Herstellern geschlossenen Verträge vor, dass die Mitgliedstaaten bei Haftungsfällen aufgrund von Nebenwirkungen finanzielle Verpflichtungen für die Hersteller in bestimmten Fällen übernehmen, bestätigt das Bundesgesundheitsministerium (BMG).
Spahns Verordnung trotz breiter Impfstoffverfügbarkeit verlängert
Einige Patientenanwälte ärgert das – so auch Cäsar-Preller. Mit Blick auf die Milliardengewinne der Impfstoffhersteller kritisiert er: „Die Gewinne werden privatisiert und die Risiken sozialisiert. Der Staat zahlt, also die Steuerzahler.“ In seinen Augen gibt es keinen sachlichen Grund für diese Privilegierung der Impfstoffhersteller. Dass diese ein „Riesengeschäft“ machen würden, sei doch von Anfang an klar gewesen. Es sei unverständlich, warum man sie vor den Risiken schützen wollte, denn diese seien in Anbetracht der hohen Gewinne durchaus bezahlbar. „Wir halten diese Verordnung für verfassungswidrig und gehen mit unseren Klagen auch dagegen vor“, sagt Cäsar-Preller. Nicht nachvollziehbar sei auch, warum die Verordnung von Bundesgesundheitsminister Lauterbach bis Ende 2023 verlängert worden ist.
Das BMG begründet die Verlängerung der Geltungsdauer damit, dass damit bewährte Instrumente zur Sicherstellung des medizinischen Bedarfs verfügbar gehalten werden. Dies sei auch mit Blick auf das derzeitige Infektionsgeschehen zwingend erforderlich.
Bundesregierung unterstützte rasche Impfstofffertigung
„Durch die MedBVSV werden die praktischen Hürden, sich gegen Impfschäden rechtlich zur Wehr setzen zu können, eindeutig erhöht“, sagt auch Markus Ogorek, Leiter des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln. Diese Erhöhung sei allerdings nicht willkürlich, vielmehr sei es der Bundesregierung gerade darauf angekommen, die Impfstoffhersteller in Teilen von einer Haftung zu befreien.
„Die Bundesregierung, der durch den Deutschen Bundestag auch eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage an die Seite gestellt wurde, hat mit einem nachvollziehbaren Sachgrund gehandelt. Aufgrund der zu Beginn der Pandemie unheimlich engen Zeitanforderungen für die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes war es wichtig, den Herstellern Sorgen zu nehmen, sie könnten gegebenenfalls in erheblichem Umfang zur Haftung kommen. Hierbei geht es nicht um den Schutz von unwissenschaftlichen Erprobungen oder gar von Betrug – dies würde weiterhin eine Haftung auslösen. Allerdings können im Arzneimittelrecht aufgrund der sehr komplexen Vorschriften zur Marktreife eines Impfstoffes unter Umständen bereits kleinere Fehler zu Konsequenzen führen. Durch die teilweise Befreiung der Hersteller von diesen jedenfalls subjektiv gut vorstellbaren Vorbehalten unterstützte die Bundesregierung die rasche Impfstofffertigung und damit mittelbar den Schutz von Leben und die Gesundheit der Bevölkerung, also Güter von Verfassungsrang“, sagt Ogorek.
Er könne aber politisch gut nachvollziehen, dass angesichts der breiten Impfstoffverfügbarkeiten inzwischen die Frage gestellt werde, wie weit diese Sonderregel noch verlängert werden sollte. „Weil Corona jedenfalls aktuell noch eine Pandemie darstellt und die Hersteller weiterhin auf einem schnell entwickelten Ursprungsimpfstoff aufbauen, auch wenn dieser inzwischen in Masse verfügbar ist, bleibt zumindest die aktuelle Verlängerung aus meiner Sicht rechtlich nicht zu beanstanden. Klar ist allerdings: Solche Verlängerungen werden schwerlich noch für viele weitere Jahre begründbar sein.“
Medium: Wiesbadener Kurier
Datum: 25.11.2022
Autorin: Ute Strunk